Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Ahnung, wie andere Leute leben. Von außen sieht das immer prima aus: ordentliche Wohnung oder Haus, wohlgeratene Kinder mit guten Schulnoten und beruflicher Perspektive, eine stabile Beziehung…. Und klar, dann und wann etwas Stress auf der Arbeit oder im sozialen Umfeld. Manchmal sogar ein Schicksalsschlag. Unter jedem Dach ein Ach, sagt man doch so, oder ?
Manchmal mache ich es mir leicht und sage mir: das ist alles Fassade, in Wirklichkeit sieht es da auch nicht besser aus als hier. Das ist eine nette Beruhigungspille. Die nicht lange hält. Beruhigen würden mich statt ca. 2 Mini-Katastrophen monatlich
(ablehnenden Bescheide, Krankenhausbulanzen, Overload usw. ) nur 2 pro Jahr.
Pro Familie, nicht Person, versteht sich.
Das könnte ich aushalten. So stelle ich mir ein leichtes Leben vor. Ist das gemein, gelegentlich so zu denken?
Mängelexemplar Deutschland
Vielleicht bilde ich mir das nur ein: Mir scheint als würde es fast keine Freizeit-und Kontaktmöglichkeiten für junge Leute ohne Geld außerhalb der Bildungseinrichtungen
(nebst Leistungsanspruch) mehr geben. So offene Angebote meine ich. Da, wo man auch als Sonderling hin kann. Irgendwie dabei sein und mit Chance gleichaltrige kennen lernt .
Von politischer Jugendbewegung will ich gar nicht erst träumen.
Oder Sozialsprechstunden auch für Menschen überhalb des ALG II -Satzes.
Gibt es Unterstützung für belastete Familien außerhalb des Therapie-Business?
Selbsthilfe scheint im stillen Kämmerlein zu passieren, nach außen wird gar nicht oder erfolgreich ( politisch) aufgetreten: Leid verkauft sich nicht gut.
Die Krankenstände in den Betrieben sprechen eine andere Sprache. Die Wartezeiten in den Psycho-Ambulanzen und psychosomatischen ( Reha ) Kliniken auch. Die Anzahl der sehr jungen Leute dabei erschreckend.
Privatisierung und Individualisierung
Familien, die einen Menschen mit Behinderung in ihrer Mitte haben, müssen weitgehend allein klar kommen. Oft ist das verbunden mit der Aufgabe/Reduzierung der Berufstätigkeit eines weiteren Familienmitglieds. Leistungen werden mehr und mehr gekürzt und müssen privat eingekauft oder selbst geleistet werden. Wenn es niemanden gibt , der die ökonomische Seite sichert, heißt das Armut oder Durchhalten.
Wer noch Unterstützung von professioneller Seite bekommt , trifft auf überlastete Helfer. Manche retten sich in die ‚ professionelle Abgrenzung‘ und andere reiben sich mehr und mehr auf. Auch hier rechnet das System mit verantwortungsvollen Menschen, die Hilfe nicht versagen. So wird die Unterstützungsverantwortung individualisiert, hängt vom Engagement des Unterstützers ab, und dieser muss seinerseits aufpassen, nicht in den Strudel der Überlastung zu geraten.
Mobbing statt Ausbeutung
Die Individualisierung von gesellschaftlichen Systemfehlern macht auch vorm Arbeitsplatz nicht halt. Es ist erschreckend , wie junge , von Schule und Uni neoliberal geprägte mittlere Führungskräfte agieren. Mitbestimmung halten die für ein Relikt aus der Steinzeit. Aber mag der Arbeitsdruck auch noch so groß sein , für kollektive Verbesserungen macht sich heute kaum ein Arbeitnehmer stark. Jeder wurschtelt irgendwie für sich rum, geht in Deckung, gibt Druck weiter wenn möglich, macht mit so gut und so lange er kann. Bis man selbst der gelackmeierte ist, krank wird oder sich gemobbt fühlt.
Saure-Trauben-Strategie?
Wo ist denn nun das Glück von dem ich eigentlich schreiben wollte?
Ich weiß es gerade selbst nicht.
Aber ab und an taucht es auf: wenn wir wieder eine Hürde im Sozialleistungs-Abwehr-Dschungel genommen habe, Teenie selbstbewusst mit ihrem So-Sein umgeht, ich im Rückblick sehe, was wir alles schon bewältigt haben, zwischen all den immer wieder neuen Anforderungen lustige, entspannte und kreative Momente erleben.
Wenn ich spüre, wie ich selbst zunehmend entlastet bin, weil das Kind seinen Weg geht. Es doch immer wieder Berührungspunkte mit anderen engagierten Menschen gibt, sei es im real-life oder digital.
Ich an die gar nicht so wenigen Menschen denke, die für mich im Verlaufe meines Lebens zur rechten Zeit am rechten Ort waren und ich sehe, dass auch ich das zuweilen für andere Menschen sein durfte.
Dann stellt sich sogar so etwas wie Zufriedenheit ein.
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