Des Kaisers neue Kleider

Via twitter bekam ich gerade einen etwas längeren Artikel , erschienenen in brand eins 6/2013 auf den Bildschirm.
Manfred Lütz, Psychotherapeut , Chefarzt des Kölner Alexandria Krankenhauses sowie Autor u.a. von “ Irre-wir behandeln die Falschen“ (das mir gut gefallen hat) dort zum Thema Burn Out anlässlich seines neuen Buches “ Bluff -die Fälschung der Welt“.

Nun soll das ja hier kein Werbeblog werden…..wer aber zum ruhigen Sonntagsfrühstück auf Allerwelts-Totschlags-Klatsch und Tratsch-Nachrichten verzichten kann oder gerne selber entscheidet, worüber er/ sie sich Gedanken machen möchte, schreckt vllt. nicht vor diesem etwas längeren Artikel zurück:

Wir leben in einer Fleißgesellschaft, nicht in einer Leistungsgesellschaft.

Es ist keine Leistung, etwas zu tun, was andere einem vorschreiben. Leistung ist, wenn Arbeit und Tätigkeit Sinn stiften, wenn sie für den Menschen einen Zweck haben, der sich von selbst erklärt.

Eine Leistungsgesellschaft bestünde demnach aus Menschen, die für das, was sie tun, brennen, und nicht von dem, was sie tun müssen, verbrannt werden.

Man muss lange googeln, um wenigstens ein paar halbwegs positive Wendungen des Wortes Leistungsgesellschaft zu finden. Leistung, das ist im Fußball, unter der Motorhaube, beim Marathon okay.

Wer aber für seine Arbeit brennt, für das, was er tut, Begeisterung entwickelt, sich dafür einsetzt und diesen Sinn und Zweck – auch gegen große Widerstände – verteidigt, gilt abseits aller Innovationsrhetorik immer noch als Spinner, Querulant und Maniker.

Wer heute behauptet, dass Leistung die wichtigste Voraussetzung für Gerechtigkeit und Fairness ist, muss damit rechnen, dass man ihn einen neoliberalen Sack nennt.
Soll man sich darüber ärgern? Kaum. Denn wenn es so wäre, dann wären auch alle Sozialrevolutionäre – von den Aufklärern über Karl Marx bis Ernesto „Che“ Guevara – neoliberale Säcke.
Worin sonst bestünde der gemeinsame Nenner ihrer Theorien, als darin, eine Leistungsgesellschaft an die Stelle alter Privilegienwirtschaft zu setzen? Leistung ist die Zündkerze der Gerechtigkeit. Den „Tüchtigen gehört die Welt“, und die Tüchtigen sind nicht immer jene, die die Welt nur von ihren Eltern geerbt haben. Das Leistungsprinzip ist ein Herzstück der Emanzipation. Wer sich dafür aussprach, wollte immer das Beste aus den Menschen herausholen – zu ihrem eigenen Vorteil. Quelle

Die Gedanken von Lütz sind durchaus streitbar.
Allein schon dadurch, dass er behauptet, Burn-Out gäbe es gar nicht, zumindest nicht als Krankheit.
Selbst mit dem Thema Dauerbelastung durch Kind, Arbeit usw. konfrontiert
und auch schon einmal an dem Punkt angekommen, an dem ich die Reißleine gezogen habe, kann ich seinen Überlegungen jedoch viel abgewinnen:

Allerdings sagt der Nervenheilkundler nicht, dass den Leuten, die sich schlecht fühlen, nichts fehlt. Möglicherweise leiden sie an einer Depression, die als solche auch zu behandeln wäre. Oder jemand, der meint, an Burnout zu leiden, steckt in einer tiefen Lebenskrise, die Folge einer Scheidung, eines Todesfalls in der Familie, eines ungeliebten Jobs oder ekelhafter Kollegen ist. Und es kann auch sein, dass man schlicht zu viel gearbeitet hat. Man braucht Ruhe und Zeit, sich wieder zu besinnen. Doch für einen solchen Rat sei kein Burnout-Experte notwendig, sagt Lütz. „Das wusste meine Oma auch. ( Quelle: ebenda)

Genau wie meine. Aber die hätte mich nicht bei der Arbeit entschuldigen, nicht meine Miete zahlen können und auch nicht mein Kind ernährt.
Solange der “ gelbe Zettel“ für alle, die keine Finanzreserven haben, die einzige Möglichkeit ist, hinreichend Zeit, Ruhe und Unterstützung zu finden, bis Kraft und Kreativität wieder da sind, denn diese brauchen wir, um überhaupt Veränderungen einleiten können, ist der Bluff gerechtfertigt.
Wir sollten nur wissen, dass es Bluff ist.

Oder schon mal umsteuern, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Dazu braucht es heutzutage aber geradezu schon Widerstandsgeist.
Nur zu!

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Lesenswert auch dieses Interview mit Lütz zum Thema.

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