Bella Ciao

Ein Raum voller Medizintechnik.
In der Mitte eine Spanische Wand.
Kein Schallschutz.

„Ne Wilfried, du weißt doch, dass ich da bin… was Wilfried, das wird schon, mach mal die Augen auf, Wilfried, das klappt schon… du hörst mich doch, he Wilfried, du, das wird schon……..“

Bei uns ist es still.
Ich sehe Maschinen mit diversen Anzeigen. Alles läuft ruhig und gleichmäßig.
Im Spielfilm sieht das immer so selbstverständlich aus.
Angehörige besuchen ihre Lieben, lesen ihnen vor, reden.
Irgendwie wollte ich das auch.

Das ‚Wilfried‘ von nebenan macht mich kirre.
Ich komme mir blöd vor. Will nicht, dass jemand zuhört, wenn ich dem zu mir gehörenden leblosen Menschen Dinge erzähle….von der Sonne, die heute scheint, von der Reise, die ich ihm wünsche.

Der Weg ist noch nicht zu Ende.
Ich betrachte all die Maschinen. Bedenke die vielen ‚ Baustellen ‚, die zu diesem Zustand geführt haben. Höre einen Arzt reden.
Verstehe.
Warum sage ich nicht zum Doc : dürfen wir das Alles hier?

Halte die kühle, leblose Hand.
Summe leise Lieblingslieder.
Lasse Ringelnatz träumen.

Sommerfrische

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.
Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser
Weil`s wohltut, weil`s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir,
dann spiel, was dir kommt.

Und lass deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiss dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf.

Später, im sonnigen Krankenhaus-Café.
Stimmengewirr. Gesunde und kranke Menschen verbringen gemeinsame Zeit, tauschen sich aus, warten auf den Abend.
Die Sonne wärmt schon durch die Glasscheibe.
Wenn ich den Kopf auf meine auf dem Tisch verschränkten Arme lege, und nach draußen blicke, fühlt sich alles wie im Film an.
Mir doch egal, was die Leute denken. Für einen Augenblick kann ich dieses Gefühl sogar genießen….Abschiedsgedanken begleitet vom Erwachen der Natur und dem Klangsalat menschlicher Stimmen.
Bis sie mir zu viel werden.

The Portland Cello Projekt feat. Laura Gibson mit ‚Hands in Pockets‘ lassen die Menschen um mich herum stumm werden.
Machen den Film echter.
Es ist kein schöner Film, aber es ist der Meine.

Noch einmal auf die Station.
Ich habe unbekannte Gesellschaft bekommen.
Wir reden über und mit der ‚Schlafenden‘.
Verabschieden uns mit ‚auf Wiedersehen‘.

S-Bahn.
Voll.
Multi-Kulti.
Kinder lachen, Eltern schimpfen.
Sorgenvolle Gesichter neben flirtenden Teenies.

I’ll be tired conversation
I’ll be waiting, get home …..

PS: Infos zur Patientenverfügung hier

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Ü-berraschung-50+

Gestern war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.
Dafür hat es gar nicht viel gebraucht.

Als ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig wunderbar,
Unter Wasser zu schweben….. (1)

Wer schon öfter in den Seiten meines blogs geklickt hat, weiß dass ich eine soziale Aufsteigerin bin. Verglichen mit dem, was heute viele Kinder aus Niedrig- (oder Null ) lohn-Familien an Unterstützung erhalten, habe ich viel bekommen.
Ich erinnere noch gut, dass meine Oma, überlebende zweier Weltkriege immer sagte: was du weißt, das kann dir keiner nehmen.
Sie wußte viel.
All die Balladen, die sie im Kopf hatte ….nicht nur diese habe ich geliebt. Auch den Disput über Geschichte, Politik, das Leben allgemein.
Wir waren selten einer Meinung, aber das schadete nicht.
Ihr Geigenspiel war ein Geheim ihrer Vergangenheit, blieb mir verborgen, und fand doch in ihrer Liebe zur Musik an mich weiter gegebenen Ausdruck.
Da war mein Vater, ein sehr kreativer Mann, der die Fremdbestimmung unserer Arbeitswelt nicht gut aushielt. Der mit 15 Jahren in den Krieg ziehen musste und danach einfach weiterleben sollte, als wäre nichts geschehen.
Gestützt wurde das Ganze durch meine Mutter: sie gab den ökonomischen Rahmen, damit wenigstens ein wenig Entfaltung für die vielen Familienmitglieder möglich war.
Aber um welchen Preis!

Am ehesten kann man unsere Familie wohl mit Migranten, die in ihrer Heimat durchaus zur Mittelschicht zählten, und auch hier ihren Kindern viel Kultur und zumindest den Anspruch an gesellschaftlicher Teilhabe mitgeben, vergleichen.

Kinder aus seit Generationen sozial schwachen Familien kennen ihn nicht, den forschenden elterlichen Blick auf der Suche nach Begabungen und Talenten, die es zu fördern gilt. Hätten die Eltern doch sowieso nicht die finanzielle Möglichkeit, diesen Entdeckungen gerecht zu werden. Und haben oft auch nicht die Fähigkeit, diese zu sehen.
Den Wunsch aber haben sie durchaus – Kinder Casting Shows sind u.a. ein Indiz dafür.

Kita und Schule könnten das ausgleichen. Wenn es denn gewollt würde.
Unsere Gesellschaft leistet sich lieber underachiever, womit ich nicht nur die IQ-getesteten meine.

Ich habe mich ganz gut durchs Leben gewurschtelt und mir meistens Nischen erhalten, in denen ich meinen Neigungen wenigstens etwas nachgehen konnte.
Beruflich wie privat.
Ich stehe nicht an dem Punkt zu sagen : hätte ich doch bloß…nein, das ist es nicht.
Mir wird nur so erschreckend klar, was unseren Kids angetan wird, wenn sie nicht in dem bestärkt werden, wofür auch ihr Herz brennen kann und nicht nur der Kopf raucht.
Talente nicht erkannt und aufgegriffen oder bewußt zur Seite geschoben werden.
Wenn abgewürgt wird, was nicht in ökonomischem Sinne Erfolg versprechend ist.

Lollo hat das vertrocknete, kleine,
schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen (2).

Während einiger Minuten der eigenen beruflichen Fortbildung habe ich begriffen, warum sich dieses Thema und mein Engagement dafür wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben zieht.

Viele ADHSler kennen das ebenso: ein Leben mit gezogener Handbremse, weit unter ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten. Weil sie anecken und der elterliche, schulische und gesellschaftliche Blick ihre unausgewogene Selbststeuerung in den Fokus nimmt.
Fähigkeiten gar nicht wahrgenommen werden.
Sie an den Rand geschoben werden.

Teenie ist gerade genervt, weil sie noch nicht genau weiß, wo sie in ihrem Leben hin will.
Alte Pläne nicht mehr gut sind.
Andere schon mit 16 wissen, dass sie Bankkauffrau werden wollen.
Teenie, ein höchst sensibler und kreativer Mensch mit gelegentlichen special effects, wird sich wohl noch etwas gedulden müssen, auf ihrer Suche.
Ich werde den Teufel tun und sagen: mach doch dies, dann hast du ausgesorgt.

Aber vielleicht erzähle ich ihr von meinem gestrigen Glücksmoment.
Als ich im Innersten verstanden habe, was mein Teenie meint, wenn er von Kindesbeinen an gelegentlich aussprach : heute fühle ich mich ganz wie – es folgt ihr Vorname.

Ja, gestern fühlte ich mich ganz wie Leidenschaftlichwidersynnig und das war unsagbar schön.

20131103-121822.jpg

(1) Ringelnatz, Das Seepferdchen
(2) ebenda

PS : was das Gedicht mit diesem Text zu tun hat, erzähle ich vielleicht ein anderes Mal….

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