Reingefallen?

Bluff – Die Fälschung der Welt.
Ein Buch von Manfred Lütz

Irgendwas hat mich neugierig auf dieses Buch gemacht.
Vielleicht der Titel.
Der Autor, dessen Buch “ Irre – Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen “ mir gut gefallen hat.
Eine interessante Aussage in dem hier beschriebenen Interview.

Nun hab‘ ich es gelesen.

„Es wird mit einigem Aufwand für verunsicherte Zeitgenossen eine künstliche Welt erzeugt, die sehr real erscheint, eine schöne neue Welt, in der natürlich nichts unklar sein darf und in der es dank Google keine unbeantworteten Fragen mehr gibt, in der Drogenabhängige besonders aufwendig therapiert und psychisch Kranke in professionelle Ghettos abgeschoben werden können, eine Welt, in der also die absolute Normalität herrscht, in der alle Tyrannen als verrückt gelten und unsereins selbstverständlich als total normal ……. eine Welt, in der Kunst ein Geschäft und Kinder Erziehungsobjekte sind, mit anderen Worten eine Welt, in der es keine existienzielle Beunruhigungen gibt, weil es in ihr scheinbar absolut sicher nur eine einzige reale Welt gibt, die man sehr gut kennt und in der daher auch nichts wirklich Unerwartetes geschehen kann….
Aber Moment mal.
War da nicht noch etwas?“
(alles S. 16 )

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In den 5 Hauptabschnitten behandelt Lütz jeweils für sich abgeschlossene Welten(sichten):

Wissenschaftswelt
Psychowelt
Medienwelt
Finanzwelt
Gesundheitswelt

anhand derer es ihm darum geht aufzuzeigen, wie man sich von echtem Erleben verabschiedet, geht man auch nur in einer dieser Welten zu sehr auf, hält sie ausschließlich für das A und O des Lebens.
Total der Wissenschaftsgläubigkeit verfallen, werden bisher unerklärte Phänomene wie z.B. Gefühle auf neurobiologische Prozesse reduziert und damit ihres Wesentlichen beraubt.
Wer sich den ganzen Tag den Medien aussetzt und glaubt, was Photoshop & Co, Reality Soaps und Nachrichten uns als Realität verkaufen wollen, verliert womöglich den Blick und die Akzeptanz für die Vielfalt menschlichen Aussehens, Verhaltens und Handlungsvarianten.
Arm dran ist, wer Reichtum für das allein selig machende hält.
Menschen, die dem Gesundheitswahn verfallen sind, sind oft kränker als sie denken.
Auch eine esoterische Sicht auf die Welt und womöglich entsprechend strenge Lebensweise sind nicht unbedingt bewusstseinserweiternd, sondern oft das Gegenteil.

Zu Recht stellt Lütz bei der Beschreibung dieser Welten die Frage:

Wo ist der Ausgang?

Auch seinen Überlegungen, dass man nicht allen Aspekten dieser Welten komplett entsagen muss, um das „echte“ Leben nicht zu verpassen, sondern es auf die Dosierung ankommt, stimme ich zu.

Womit wir beim „Aber“ sind.
Bislang habe ich ihn nur als Psychotherapeuten wahrgenommen, nicht aber als Theologen. Dafür kann er ja nichts.
Also wundert es nicht, dass das Thema Gott und Glaube in diesem Buch eine Rolle spielt, ich aber nicht damit gerechnet habe.
Das allein finde ich nicht besonders tragisch, es sind ja durchaus Themen, mit denen man sich auseinandersetzen kann und sollte.
Wirklich genervt hat mich hingegen, dass er eine Scheinwelt nach der anderen auseinander nimmt um an jedem Kapitelende die Nagelprobe anhand der Frage: kommt Gott darin vor, ist dort Raum für Glaube? vorzunehmen.
Natürlich nicht.
Seine Wahrheit:

Wer das wahre Leben nicht verpassen will, darf Gott nicht verpassen.

Dies empfand ich als aufdringlich und auch als Bluff.
Denn weder auf dem Klappentext des Buches, noch in dem mir bekannten Interview wurde ein solcher Zusammenhang auch nur angedeutet.

Es bleibt die Frage: Was will Lütz?
Die eine Scheinwelt durch eine aus meiner Sicht andere Scheinwelt ersetzen?
Ich habe das Buch nicht in die Ecke gepfeffert ( wonach mir ab und an war ), sondern bis zum Ende gelesen.
Und bin froh darüber.
Lütz geht nicht unkritisch mit der Institution Kirche um.
Angesichts unserer eher wüsten Vergangenheit tut sich Westeuropa, insbesondere Deutschland, schwer mit dem Rückgriff auf kollektive, historisch gewachsenen Wertvorstellungen, welche dem Einzelnen eine Orientierung geben könnten.
Was es Scheinweltschöpfern erleichtert, Fuß zu fassen.

Im letzten Teil des Buches , Finale , werden durchaus interessante Überlegungen angestellt, wie es möglich ist, sich von diesen scheinbar perfekten Weltbildern zu emanzipieren. Selbstredend erwähnt er dort wieder diverse Begegnungen mit Gott, unspektakuläre Offenbarungen desselben bei einigen prominenten Menschen.
Aber eben auch Lebensumstände, die einen auf das Wesentliche zurück werfen, eine Krankheit, Tod eines geliebten Menschen oder unfassbares simples Glück.

Es mag sein, dass manche Menschen dafür Gott brauchen.
Viele Menschen haben einen besonderen Sinn des Lebens, der z.B. in gesellschaftlichem Engagement liegen kann.

Wie auch immer Lütz es nennt: unser Dasein hat etwas mit Emotionen, Moral und Werten, Gut und Böse, Leben und Tod zu tun.
Darüber ab und an einmal nachzudenken, vielleicht auch mal den Versuch des Perspektivwechsels zu unternehmen, kann nicht schaden.
Dabei ist das Buch auf jeden Fall behilflich.

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Großstadtrevier

Das im TV gefällt mir besser, ehrlich.
Wenn da jemand reinkommt, wird er gleich nett begrüßt, selbst der wunderliche ältere Herr, der jeden Tag kommt, um über seinen Nachbarn zu schimpfen oder die alte Dame, die mittels Anzeigenerstattung zu ihrem täglichen Plausch vorbei schaut.

Heute morgen noch in ähnlicher Umgebung, aber völlig anderer back – zone.
Dort technische Geräte, Rollwagen mit Laufakten, Essen- und Wäschewagen, reges Treiben der Hellblau- und Weißgekleideten sowie Menschen wie mich.

Hier ist alles beamtisch weg geräumt……nichts steht im Weg.
Der Wartebereich klar erkennbar.
Wir sitzen brav aufgereiht, daddeln an unseren Phones.
Eine Ordnungshüterin in korrektem dunkelblau hält die Stellung.
Wenigstens ist sie freundlich.
Mit wem sie wohl abends ihr Bier in der Kneipe mit Hafenflair trinken geht?

Wären wir hier im Supermarkt, würde jetzt noch eine Kasse aufgemacht werden. Mittlerweile hat sich im Einzelhandel herumgesprochen, dass zügige Abfertigung der Schlüssel zur Kundenzufriedenheit ist.
Wir hingegen verwaisen gerade.
Auch die tapfere Beamtin von vorhin ist nun verschwunden.

Wenn Lothar (1) jetzt hier wäre, dann könnte ich ihm erzählen wie blöd das war, als ich aus dem Krankenhaus kam, zum Fahrradständer vorm Haupteingang ging und für einen Augenblick den Verdacht einer retrograden Amnesie hegte. War ich vielleicht doch mit dem Bus oder zu Fuß gekommen? Nein, das schicke schwarze Herrenfahrrad mit dem superhoch gestellten Sattel habe ich doch vorhin schon bewundert- als ich meins mit dem besonders niedrig gestellten Sattel hier parkte und anschloss. Jawohl.

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Dirk würde angelatscht kommen und “ komm ma mit, min Deern “ sagen und wir würden einfach mal rumfahren, zum Tatort. Schauen, ob mein Rad nur in die Büsche geflogen ist oder sowas.
Uns würde ein Bengel über’n Weg laufen – alter Bekannter von Dirk versteht sich – mit ’ner Geschichte über die eilige Lieferung von Medikamenten an die Omi, welche seine Mutter, die im Krankenhaus putzt, aus Versehen in die Tasche gesteckt hat.

Polizeiobermeisterin Harry könnte sich daran erinnern, wie ein junger Mann auf einem schwarzen Rad auf ihr vorbei gerast ist, gerade als sie Mads von alten Einsätzen mit Henning erzählte.
Natürlich würden wir alle dort hin fahren, zur Omi, die schon ganz verlegen ist, weil ihr lieber Enkel so verdächtig schnell zurück war.

“ Oh Gott , oh Gott, was hat er denn nun schon wieder angestellt, er ist doch eigentlich ein guter Junge“ …..

Den Knaben würde sich Dirk noch mal zur Brust nehmen, so ganz sutje auf der Treppe vorm Haus sitzend. Schnell wäre klar, dass die Geschichte im Prinzip stimmt, der Knabe seiner Omi helfen werden wollte und nebenbei sich selbst auch. Aber nun sieht er ein, dass das Mist war, gelobt Besserung und Dirk schickt ihn zu mir. Entschuldigen und so.

Die Küppers hat natürlich schon Wind davon bekommen, dass ihr komplettes Revier sich mit einem Fahrraddiebstahl vergnügt und es bleibt mal wieder an Marc hängen, sie mit leckeren Kochrezepten aufzuhalten.

Ich lass mich von dem Omi-Retter nicht lange bitten……“ der nächste bitte! “
Äh, was?
Ach so, ich bin dran.
Superwoman hat einen Helfer bekommen, der jetzt zur Tat schreiten will.
Vorne an seinem Tresen sehe ich, dass es um die Sicherheit der Bürger am Sonntag nachmittag doch nicht so schlecht bestellt ist: hinter einer Glaswand ist konzentriertes Arbeiten einer kleinen Dienstgruppe angesagt.. Es wird nicht mehr mit 1 Finger-Such-System auf den Rechnern herumgehackt, das Ganze sieht eher flüssig aus. Wimpel oder andere Orden sehe ich nicht . Einer arbeitet mit Head-Set.
Das hier könnte auch genauso gut der Platz sein, an dem ich arbeite, meine Freundin oder jeder andere Büromensch.
Schade.

Ich unterschreibe meine Anzeige und werde selbstverständlich nicht mit dem Polizeiauto nach Hause gebracht, weil das zufällig auf dem Weg liegt.

Was bleibt?
Irgendwie das Gefühl eines doppelten Verlusts.

(1) auch wenn er gerade auf Kreuzfahrt ist, ohne Lothar… lohnt sich dasTräumen nicht 😉

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