Wer hat, der hat

Ein kleiner Nachlass beschert uns ein paar Tage in einer angenehm ruhigen Welt.
Unser weihnachtliches Domizil, fast schon in Polen, ganz dicht am Meer und noch dichter an den Tieren, deren Rücken das Glück der Erde verheißt, ist alles andere als grau.

Der Parkplatz überwiegend gefüllt mit SUV‘ s und Kraftfahrzeugen gehobener Klasse.
Niemand außer uns reist mit der Bahn an.
Neben nicht mehr ganz jungen Paaren sind auch viele Familien hier.
Solche, die mindestens einen Vierertisch benötigen.

Im Restaurant bahnt sich zu Beginn ein kleiner Konflikt an: die Platzierung der Zweiertische gefällt mir nicht, ich möchte ans Fenster mit Blick auf die Weiden….aber da sollen wir nicht hin.
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Hmm…. freundlich setzte ich mich durch.
Dieser Platz eröffnet mir neben dem weiten Blick die Möglichkeit des Verhaltens-und Sozialstudiums der anderen Gäste. Sowas mach ich gerne, besonders wenn ich ohne Gesellschaft reise ( Teenie zählt hier nicht, denn bei den Mahlzeiten glänzt sie weitgehend durch Abwesenheit, wenn nicht körperlich, dann gedanklich…).

Nicht zu übersehen der Pascha vor Ort.
In Begleitung einer Dame in passendem Alter nebst 10-jähriger Tochter.
Was so eigentlich nicht stimmt, denn ich sehe überwiegend D: sie deckt jeden morgen fleißig den Tisch, nicht das Geschirr, das steht schon immer da, aber sie bringt den Brötchenkorb, Wurst-und Obstteller, Saft und überwacht die Zubereitung von P’s morgendlichem Tee. Dann kommt die kleine Madame und darf schon mal Platz nehmen.

Und dann ER.
Nimmt Platz, speist, verkündet den Tagesplan.
D und M nicken.

Am zweiten morgen hatte ich ja noch gehofft, D würde nun verwöhnt werden…. leider Fehlanzeige.
Wie ich dank indiskreter M erfahren habe, handelte es sich um ein selbstständiges Arztehepaar, P sei der Chef von D und diese Chefin der Arzthelferinnen.
M, einst ebenso wie ihre Eltern Besitzerin eines eigenen Pferdes, traut sich nicht mehr so Recht hinauf aufs Roß und muss nun im Hotel allein rumhängen, da D und P jetzt ohne sie auf ihren mitgebrachten Tieren spazieren reiten.
Ein wenig erstaunt mich M schon: sie wäre schon gern öfter beim reiten, sagt sie, so 2x in der Woche, aber das ginge alles nicht mehr seit sie in der 5. Klasse sei, wegen Mathe.
Wie einsichtig.
Wo ist nur das : ‚meine Eltern sind ja soooo gemein!‘ ?

Mein Tagesablauf erschöpft sich in wechselnden Wald-und Strandspaziergängen, Sauna, lesen, essen und trinken.
Die Leute/ Familien hier bleiben unter sich.

Nett anzusehen die beiden alten Brüder. Der eine bestimmt schon über 70 aber noch immer im coolen schwarzen Kapuzen-Shirt und Nikes.
Sie reden miteinander, lachen, sitzen einfach nur da.

Man kommt hier nur begrenzt in ’s www.
Zu erst bin ich etwas genervt, aber dann genieße ich es. Erwachsene wie Kids treiben sich für’s daddeln im Foyer herum… so etwas sieht man sonst nur bei den Kids mit Gameboys, dass alle auf einem Haufen hocken.
Allerdings wird die Frauenquote Ü25 nicht eingehalten….vermutlich müssen die Zimmer aufgeräumt werden?

Familie Perfekt ist eigentlich auch ganz nett.
Papa Perfekt ist ein geduldiger. Er daddelt die ganze Zeit am Tablet, nimmt ab und an den Baby-Hund, der noch nicht ganz so perfekt ist, weil gerade erst vom Weihnachtsmann gebracht, und lässt Frau Perfekt die Dinge mit den perfekten Töchtern regeln. Die da sind : Tochter 1 (12 J.) , hat keinen Bedarf an nichts, aber Tochter 2 (10 J.) muss unbedingt ein ganz großes Pferd reiten. Weil sie ja mit ihren 10 Jahren die jüngste in der 6. Klasse ist und auch immer so behandelt wird.
Die Reitlehrerin findet das gar nicht so gut und ich versuche meinen Mund zu halten. T 2 bekommt also ein Riesenpferd und kommt damit nur begrenzt klar.
Am nächsten Tag kommt Mutter Perfekt auf mich zu und erzählt mir, dass ihre Mädels hier nicht mehr reiten wollen, weil der Unterricht so demotivierend sei.
Aha …sag ich da.

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Meinem Sprössling geht es derweil richtig gut.
Ihr machen die Reitstunden Spaß. Das ihr zugeteilte Pferd ist genau nach ihrem Geschmack und die Chemie stimmt vom ersten Augenblick an.
Da sie nicht besonders groß und schwer ist bekommt sie ein Kleinpferd, auf dem man schon was können muss, da es etwas schwieriger zu reiten ist.
Sie weiß schon längst, dass das Stockmass eines Pferdes nichts über dessen Qualität aussagt und freut sich auf die Herausforderung.
Die Reitlehrerin macht Unterricht im besten Sinne. Wertschätzende, hilfreiche Kritik, Lob bei gelungener Umsetzung. Abwechslung bei den Lektionen. Es reicht ihr nicht, dass die Reiterinnen sich herum tragen lassen. Den Pferden übrigens auch nicht. Teenie berichtet erfreut, wie sensibel und gut ausgebildet ihr ( immerhin ) Schulpferd ist.

Ich schaue zu und erfreue mich an ihrer Entwicklung.
Keine Mathenote dieser Welt hätte mich davon abgehalten, meiner Tochter den geliebten Umgang mit Pferden/Tieren oder das Musizieren zu verbieten/ reduzieren.
Und nun sitzt sie da wie angeklebt auf dem galoppierenden Pferd.
Mit aufmerksam-entspanntem Gesicht und Körper.
Strahlende Augen, wenn sie das Pferd nach dem Reiten in die Box stellt. Beim Misten und Füttern hilft. Sich mit Stallbewohnern wie Katzen, Nager und Ziegen anfreundet. Absolutes Highlight: mit den Reitlehreinnen abends die Jungpferde freispringen lassen. Stolz auf das entgegengebrachte Vertrauen von Mensch und Tier.
Mit sich und seiner Umgebung im Einklang sein können, ist etwas ganz Besonderes. Sich am Dasein erfreuen.
Ein Können, das in der Schule irrelevant ist.

Nicht so im Leben.
Unsere Wellness-Tempel, Adventure-Agenturen, therapeutische Einrichtungen diverser Art haben Hochkonjunktur. Aber die muss man sich erst mal leisten können.
Hätte ich mich in der Schule bloß mehr angestrengt…..ein gängiger Selbstvorwurf.
Wird nicht anderes herum ein Schuh draus: hätte ich bloß Mathe Mathe sein lassen können, hätte ich doch nur vor der Ausbildung/ Studium 1 Jahr Erlebnisse gesammelt…..
Wie kann ich lernen, mit Anforderungen so umzugehen, dass sie mir nicht schaden?
NEIN zu übersteigerter Anforderung zu sagen?
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Wer ein hochsensibles Kind mit sensorischen Integrationsstörungen hat, weiß um dem den ungeheuren Wert des oben beschriebenen gelassenen Zustands.
Kein Alarm mehr in den Momenten, in denen all die verschiedenen Sinnesreize in Bewegung übersetzt werden müssen.
Immer seltener auch in anderen Situationen.

Noch ein ungewöhnliches Paar verbringt seine Weihnachtstage hier. Sie genießen gemeinsame Zeit in unaufgeregter Weise. Dennoch ziehen sie viele Blicke auf sich. Simply Vater mit kleinem  Sohn. Geht doch😊

Das Schwimmbad ist der einzige kleine Stachel unserer Reise.
Teenie wäre schon gern rein gegangen, im Gegensatz zu mir mag sie warmes, nicht allzu tiefes Wasser. Aber immer, wenn sie Zeit hatte, waren Tobe-Lena, Arschbombe-Karl, Kreisch-Otto und Was-Ich-Alles-Kann-Maja darin.
Keine Chance, sich nur vom Wasser tragen zu lassen, zu entspannen.
Gut : kein Gruppenzwang hier.

Wir segeln diese Tage eher allein zwischen all den Menschen, was durchaus nicht unangenehm ist.

In der Zwischenzeit hat sich P für mich zum Ekel E entwickelt.
Mehrmals musste ich mit anschauen, wie er seiner kleinen M auf den Hintern klapste, so wie Chefs es im Kino bei wasserstoffblonden Sekretärinnen tun.
Dieser Gestus von ‚ gehört mir ‚!
D hat das gesehen, ist aber wohl selbst nichts anderes gewöhnt.
Protest weder von ihr noch von M.
Ist das der Preis für’s luxuriöse Leben?

Die Tage plätschern so dahin.
Mich lockt nur das Meer weg vom Hotel, Teenie der Stall.
2 x leiste ich ihr Gesellschaft beim Reiten, mittlerweile mag sie das wieder.
Soviel zum ‚in Ruhe altern‘ …
Man sagt ja, ADHSler hätten einen Reifungsrückstand, sicherlich gilt das auch für das Erreichen des Verfallsdatums.
Nach anfänglichen kleinen Unsicherheiten erinnert sich mein muskuläres Gedächnis, ich habe Spaß an der Bewegung in 1,80 m Höhe und mir meinen Saunagang redlich verdient.
Das bisschen Muskelkater nehme ich gerne hin.
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Lebensmotto

Hatte meine Oma also doch Recht: was du einmal gelernt hast, das kann dir niemand nehmen.
Niemals hat sie dies auf Schulwissen beschränkt.
Sie musste es ja wissen, nach 2 überlebten Weltkriegen war das nicht nur ein Spruch für sie – mich hat sie damit durch und durch geprägt.
Selten habe ich das so deutlich gespürt wie hier.
Unser Reichtum liegt im Tun, nicht im Haben.
Diesen unendlich beruhigenden Gedanken im Kopf, lassen wir uns vom Hausmeister zum Bahnhof fahren.
Gelegentlich habe ich mich wie eine Besucherin im Zoo gefühlt.
In erster Linie aber nehmen wir schöne Erlebnisse und einige neue Erkenntnisse mit nach Haus.
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Profis

Schon lange hatte ich mich auf diesen Abend gefreut. Sogar Teenie wollte, nach ausführlichem yt-studium, mit.
Was mich freute. Immer seltener werden die gemeinsamen Aktivitäten…

Perfekte Koordinaten

Meine andere Begleiterin, welche die Idee dieses Ausflugs hatte, bürgte durch ihre intensive Beziehung zu Musik und Rhythmus zudem für ein feines kulturelles Erlebnis.
Der Veranstaltungsort vertraut durch diverse Konzert-und Theater -Besuche sowie Teenies besten Darbietungen ‚on stage‘.
Erholt vom Weihnachtsstress und noch nicht geschafft vom Jahreswechselrausch(en).

Hatten wir zunächst noch geplant, uns vor dem musikalischen Ereignis kulinarischen Genüssen hinzugeben, mussten wir kurzfristig zugestehen, dass Ketten-Termine Teenies Sache nicht sind und konzentrierten uns lieber auf die abendliche Veranstaltung.
Relativ glatt gestaltete sich die Anreise und wir waren guter Dinge ( jugendliches Genöle fällt unter die Kategorie Grundrauschen).

Künstler_innen wollen auch leben

Ausverkauft – super.
Der Saal. Eng bestuhlt – oh je.
Teenie beanstandet den Altersdurchschnitt, sucht fast vergeblich nach dunkler Haut, vielleicht sogar Dreadz, wenigstens einer?
Dunkle Haut wurde dann auf der Bühne gezeigt, umhüllt von farbigen Boubous.
Erster visueller Eindruck: schöne Frauen, mit Rundungen, mal mehr mal weniger, aber niemals weg gehungert. Und alle in ihrer Körperlichkeit präsent.
Dahinter die Männer, nicht ganz so bewandet.

Backflash: ich erinnere meine Zeit in Westafrika. Nur morgens hatte ich einen Spiegel. Den Rest des Tages war ich wie ich bin. Fühlte mich wohl, wurde von Tag zu Tag sicherer meiner selbst, weil ich nicht abgelenkt von meinem Äußeren war. Umgeben von Frauen, die denen auf der Bühne glichen, nur meist im Alltags – Boubou.

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Oben, von der Bühne aus, ist es nicht so schlimm.

Die ersten Töne.
Wir sind sofort dabei.
Schon beim ersten Applaus zuckt Teenie zusammen: wie konnte ich DAS vergessen? Dieses plötzlich einsetzende Geräusch, in ihren Ohren wie scharfes Glas. Bin hin und her gerissen. Möchte so gerne, dass sie genießen und entspannen kann und weiß doch, dass es nicht geht und dass ich gar nichts für sie tun kann. Ich weiß, dass sie aushalten wird.

Die Begrüßung auf stark akzentuiertem Englisch, Teenie und ich verstehen es gut, weil wir es öfter als britisches oder amerikanisches hören.
Die Show nimmt Fahrt auf.
Powervoller Gesang, tolle Choreografie.
Begleitet nur von 2 Djemben, gelegentlich ein Keyboard. Weniger ist mehr, hier.
Die Künstler_innen geben alles.
Das Publikum sitzt still und starr…..wie halten die Leute das nur aus? Juckt es nicht in den Beinen? Zuckt vielleicht wenigstens der große Zeh?

Backflash: So oft zusammengesessen, kaum spielt die Musik, schon fängt jemand an zu tanzen. Bei meinen chilenischen Freunden in früher Jugend, meinen afrikanischen später dann.

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Selbst als es so eine Art ‚ Wettbewerb der Tänzer_innen ‚ , umgeben von den anfeuernden Sänger_innen gibt, bleibt die Reaktion im Publikum kühl.
Fast, als säßen wir vor dem TV.

Backflash: auf einer der vielen Tanzgelegenheiten in Afrika fand auch ich mich inmitten eines anfeuernden Kreises der Verwandtschaft wieder. Nach anfänglichen Hemmungen hab ich einfach mitgemacht, es tat nicht weh und keiner hat gelacht. Jede_r wie er/sie kann. Und wie jede/r im Kreis tanzende, hab auch ich mehr mehr gegeben, als sonst auf der Tanzfläche.
Jung, alt, dünn, dick, weiß, schwarz – egal.

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Beifall gab’s für jede/n.

Clap your hands

Musik ohne sichtbare Freude und Bewegung kennen anscheinend nur wir Deutschen. Dafür sind wir groß im Musik Analysieren, im Kritisieren, im Gefühle zurück halten. Außer auf Malle oder mit Alk.
Immerhin wird bei einigen Stücken geklatscht. Zwei Plätze weiter zielsicher neben dem Takt, das muss wirklich schwer sein. Teenie fast vor der Explosion, meine Begleiterin auch sichtlich verspannt. Da hilft auch drüber lachen nicht.

Und dann das Highlight des Grauens:

This –clap– little light of mine –clap….

Kennt jeder. Wie bei Gospel so üblich, wird nicht die erste und dritte, sondern 2. und 4. Note betont.
Man sieht das schon an den Bewegungen der Sänger_innen.

Wir drei geben unser Bestes, von oben bekommen wir Unterstützung, ganz deutlich wird vorgeklatscht.
Es hilft alles nichts : das Klatschen des Publikums macht ein Wanderlied aus dem Song.

Später wird das Publikum aufgefordert, aufzustehen, mitzusingen und zu klatschen. Deutlicher können die Anweisungen nicht sein.
Es klappt: für eine Weile ist es erlaubt, locker zu sein, mit zu gehen mit der Musik. Es funktioniert sogar ganz gut.
Schade, das hätte am Anfang kommen müssen. Aber hätten sich dann die Sänger_innen auf ihren Gesang und Tanz konzentrieren können?
Dies war das 10. Jahr, indem der Soweto Gospel Choir hier aufgetreten ist.
Ich denke, die Künstler_innen wissen, was lohnt und was Energieverschwendung ist.

Nach einigen Zugaben – ja, das Publikum zeigte sich am Ende sehr begeistert- dann die Nationalhymne Südafrikas, anlässlich des kürzlichen Todes von Nelson Mandela.
Ich steh‘ nicht so auf Nationalhymnen, aber diesen Abschluss des Konzertes kann ich nachvollziehen.
Gerade hier in Deutschland :

Apartheid wurde als Verbrechen erstmals in der Internationalen Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid[2] definiert, die von der UNO-Vollversammlung am 30. November 1973 beschlossen wurde und 1976 in Kraft trat, nachdem ihr 76 Staaten beigetreten waren. Eine Reihe von Staaten sind der Konvention bis 2010 nicht beigetreten: Australien, Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Kanada, Neuseeland, die Niederlande, das Vereinigte Königreich sowie die Vereinigten Staaten. Quelle

Es hat uns gefallen .
Teenie brauchte eine Weile, um zur Ruhe zu kommen.
Ich frage mich wieder einmal mehr, was die Menschen hier so erstarrt sein lässt.

Musik im Blut?
Davon halte ich nix.
Es ist die Kultur, die es ausmacht.

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Diagnose: Gehindert

Wem es nicht vergönnt ist, 40 Wochen im schützenden Mutterleib heran zu reifen, muss sehen , wie er mit der kalten, reizüberfluteten Welt klar kommt. Einfach sterben ist nicht erlaubt.
Kämpfen vom ersten Atemzug an ist Programm.

Aus dem Gröbsten raus – sprich außer Lebensgefahr- könnte ja nun eine kleine Erholungspause angesagt sein.
Aber nein. Schnell aufgeholt werden soll nicht nur das Gewicht, sondern auch die sensorische und motorische Entwicklung.
Dafür zuständig ist meistens die Mutter.

Vergleichsmöglichkeiten gibt es viele: andere Kinder, diverse Tabellen in Büchern, Ratgeber, Internet.
An Beratern mangelt es nicht: Eltern, Geschwister, Freunde, Kollegen, Ärzte.
Allen gemein: sie haben keine Ahnung, wenn sie nicht auch ein ebensolches Kind begleitet haben. Nicht einmal die Ärzte.
Klappt es mit der Entwicklung nicht planmäßig, sind gleich diverse Erklärungen parat.

Die Charts:
Falsche Erziehung
Das Kind wird verwöhnt
Die Eltern übertragen Ängste und sonstwas
Falsche Ernährung

Oder
Das Kind hat nichts
Das wird schon
Das wächst sich aus

Bei weitem noch nicht alles.
Niemand traut den Eltern zu, ihr Kind zu kennen und ungefähr richtig einzuschätzen.

Kommt dazu noch Hochsensibilität ins Spiel, wie auch immer sie sich äußern mag, wird es spannend.
Das Kind soll diese verleugnen. Denn sonst ist es nicht NORMAL.
Die Eltern sollen sie verleugnen, und damit ihr Kind. Ist DAS normal?

Normal- ein Zustand der angestrebt werden muss.
Wer das sagt?
Keiner, aber es denken die meisten.
Im Rahmen der Norm. Wessen?

Was wünschen sich Eltern? Ein glückliches Kind? Haben sie in ihm den Schatz des Besonderen entdeckt, bieten sie vielleicht noch eine Weile dem mainstream paroli.

20130222-071147.jpgSpätestens im Laufe der Grundschulzeit der Wunsch: wir möchten es auch einmal einfach nur leicht haben.

Alle Versuche, Institutionen dazu zu bringen, das Kind einfach so (an) zu nehmen wie es ist und dennoch zu fördern, und zwar so, wie es dem Kind entspricht, scheitern.
Eine anerkannte Diagnose muss her.

Eine Odysee beginnt bzw. wird fortgesetzt.
Kinderarzt, Sozialpädiatrisches Zentrum, Psychotherapeut.
Ergotanten , Pädaudiologen und noch mehr – ogen und -euthen.

Statt Hilfe gibt es : das tiefe Bewusstsein, nicht richtig zu sein. Nicht zu passen.

Alle Versuche des Kindes, die Dinge in seiner Weise zu machen, werden kritisiert.

Wer über eine besondere Begabung, mit der gesellschaftlicher Erfolg verbunden ist verfügt, kann sich glücklich schätzen. Kauzig aber intelligent.
Wer eine Begabung hat, die keiner kennt, Synästhesie z.B. , kann sich glücklich schätzen, wenn er nicht für verrückt erklärt oder dumm gehalten wird.
Im ICD 10, 2008 noch als Krankheit (R20.8) aufgeführt. (1)
Nun ja, im künstlerischen Bereich ist das neuerdings chic. Immerhin.
Ist man einfach nur “ gewöhnlich Anders“ hat man Pech.
Summa summarum aber sind alle freaks und als solche werden sie auch behandelt.

Unpassend auch die Eltern, die ihr Kind nicht auf Spur gebracht haben. Oder die einfach nicht kapieren wollen : d b d d h k P ! (2)
Erst Recht wenn sie für ihr Kind trotzdem den Anspruch auf Bildung, Ausbildung und Selbstbestimmung postulieren.
Nicht individuelles Lernen ist angesagt, sondern es wird am Ziel abgespeckt. Geht ganz einfach.

Und nun kommt Inklusion . WOW.
In einer Welt, die es nicht nicht einmal Babys erlaubt, sich für den Aufrichtungsprozess individuell Zeit zu nehmen, sollen Schulen in kurzer Zeit komplett akzeptieren was vorher undenkbar war.
Kosten darf das alles nichts, das ist klar.
Ist hier nicht eher noch Sparpotential – fragt sich da der findige Politiker.
Auch hier wieder : ohne Diagnose geht gar nichts.
Nicht unbedingt einleuchtend, ist doch die Teilhabe aller das erklärte Ziel.
Wozu dann also das Ettikett?
Können wir leere Schubladen nicht ertragen?

Wer sich mit seinem Kind im Strudel der äußeren Anforderungen, eigenen Wahrnehmung und Einschätzung sowie den Wünschen und Bedürfnissen des Kindes befindet, sehnt sich aus gutem Grund nach einem Namen für das “ Anders sein „. Was keinen Namen hat n‘ existe pas.
Irgendwann die Frage: bin ich behindert? Was auch immer das sein mag.

Wer Hilfen vom Amt bekommen kann, kommt ohne anerkannte Diagnose nicht weit (es muss ja nicht die Richtige sein).
Wer einen Arbeitsplatz braucht, der speziell ausgestattet sein muss, auch nicht.
Das alles wäre kein Ding, wenn da nicht der negative Touch, die “ sei froh dass du mitspielen darfst“ – Haltung der Restwelt wäre.

Auch die schlimmste Schulzeit endet einmal.
Was dann?
Wer bisher mit seinem unsichtbaren “ Handicap “ durch gehalten hat, wird nun konfrontiert mit dem Höher, Weiter , Schneller des täglichen Broterwerbs.
„Alternative“ : Diagnose, SBH , 2. Arbeitsmarkt, Hartz IV.
Pest, Cholera, Pocken oder Aids.
Dann doch lieber Burn Out und Depressionen, immer wieder oder chronisch.

Lichtblick: immer mehr Betroffene fordern für sich offen Teilhabe ein, organisieren sich bei autworker, tokol e.v. , SeHT e.v, ADHS-Deutschland e.V und in vielen Selbsthilfegruppen und Foren.
Anders geht es wohl nicht. Umdenken auf Verordnung klappt nicht und schnell schon gar nicht.

Der Gedanke der Chancengleichheit, und darum geht es letztlich, ist nicht neu. Die Bürgerliche Revolution hatte zunächst auch die Frauen außen vor gelassen, nun ja, wir sind peu à peu auf dem Vormarsch. Sogar in der Schweiz dürfen wir jetzt wählen. Schwule, Migranten und viele andere Personengruppen werden noch immer diskriminiert, aber auch hier geht es voran, wenn auch im Schneckentempo.

Meistens nicht im Focus dieser Diskussionen : die Männer, Heteros, Weißen, Reichen, Gesunden/ Normalen – und andere Menschen der ( vermeintlichen) Mehrheit.

Wie soll Emanzipation, Inklusion oder Diversity gehen, wenn genau diese Personen nichts dazu beitragen müssen?

Wenn sich in Integrationsklassen die I-Kinder ( was für eine Bezeichnung! ), im Job die Frauen, in Ländern mit weißer Mehrheit die Schwarzen etc. anpassen, verbiegen und verleugnen müssen und von den Hinderern jeglicher Coleur nicht das kleinste bisschen Verhaltensänderung verlangt wird, noch nicht einmal thematisiert wird?
Gelungene Integration, wenn noch nach 3 gemeinsamen Schuljahren Klassenkameraden nicht kapiert haben, dass man z.B. einen Menschen mit ASS nicht zu sehr auf die Pelle rückt, dass dieser sich dann i.d. R. bedrängt fühlt und entsprechend reagiert?
Wirklich heavy, wenn man gleich zu mehreren der gehinderten Personengruppen gehört.

Materiell einigermaßen ausgestattet, gelingt es neuro-untypischen Menschen und anderen Gehinderten immer wieder, die vorenthaltene Bildung und gesellschaftliche Stellung trotzdem zu erlangen: sei es autodidaktisch, in Fernkursen, in Vereinen, in Feriencamps und mehr.

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Letztlich lässt Emanzipation sich nicht aufhalten, wenn wir nicht alle einpacken wollen.
Das hat schon der olle Marx erkannt : Kommunismus oder Barbarei 😉

(1) ICD 10 Version 2008
(2) doof bleibt doof da helfen keine Pillen

Mit diesem blogpost beteilige ich mich an den Blogger-Themen-Tagen

#einfachSein

Eine tolle Idee und ein großes Dankeschön an die OrganisatorInnen, die aus dem Autismusspektrum kommen.
Mehr dazu hier

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Fledermauslärm

So nach und nach erzählt mein Nachwuchs doch etwas von der Ferienfreizeit.

Mich interessieren natürlich andere Dinge, als sie für wichtig hält. Und so höre ich mir erstmal endlos-Geschichten über komplizierte beziehungsdynamische Katastrophen oder Wunder usw. an, von denen ich eh‘ die Hälfte nicht verstehe, da meine Süße sich hütet, zu viel aus zu plaudern und es mit dem Daten -und Eigenschutz sehr genau nimmt.
Ab und an lande ich dann mal eine “ Mutter -Frage“: hast du genug und gut geschlafen?
Überraschenderweise gab es darauf nicht nur das übliche ja/nein, sondern eine richtige Erklärung. Die da lautet:
Also im Zimmer war alles o.k. Die anderen Mädels waren nett und jeden Abend wurde noch lange Quatsch gemacht, geredet und all‘ das Übliche.
Irgendwann todmüde.
Sie hätte auf der Stelle einschlafen können, wenn dieser blöde Fledermauslärm nicht gewesen wäre. Ich meine, wir leben in der Großstadt…da ist man einiges gewöhnt….
Ja, aber nicht so einen ätzenden Lärm. Dieses Gepiepe. Und das Flügelschlägen erst : Rtsch-Rtsch- Rtsch..
Unterm Dach hatten sich Fledermäuse eingerichtet , die bekanntlich nachts aktiv werden.

Das Nervige war nun, dass niemand anderer aus dem Zimmer das Flügelschlagen gehört hat. Also konnte man sich gemeinsam nur über das Gepiepe aufregen – die erfahrene hochsensible Synästhetikerin behält dann solche besonderen Wahrnehmungen lieber für sich. Gegen den durch das Flügelschlägen verursachten schrecklichen Geschmack half dann nur noch eins : Ohren zu halten !

Alle störenden Geräusche schmecken nicht so gut….es scheint da wohl doch einen Zusammenhang von subjektivem Bewerten und sinnlicher Wahrnehmung zu geben.
Hier könnte noch ein wenig mehr geforscht werden, bitte.
Dazu eine interessante Überlegung aus einem Artikel der Gehirn und Geist 6/2011von D.Nicolić und U.M.Jürgens:

Da bei diesem Phänomen also nicht zwei Sinneseindrücke verschmelzen, sondern die Bedeutung eines Reizes um besondere Empfindungen erweitert wird, sollten wir wohl besser von »Ideaesthesie« sprechen: Bedeutung wahrnehmen.

mehr

Für ein anderes Familienmitglied stellt sich Synästhesie ganz anders dar: der Freitag ist z.B. hellblau und das ist weder gut noch schlecht. Obwohl es natürlich Lieblingsfarben gibt.

Aber das geht mir als Nicht-Synnie genauso: der Dienstag ist kein guter Tag und der Donnerstag auch nicht. Das sind so typische Tage für Mathe-Doppel -Stunden ( früher) und jetzt Endlos-Dienstbesprechungen.

Was die Sache mit den Fledermäusen angeht: kaum habe ich die Geschichte mit der nächtlichen Ruhestörung gehört, erscheint in der FB -Gruppe der Deutschen Synästhesie-Gesellschaft e.V. ein entsprechender post und bekommt spontan mehr als 20 Kommentare.

Ist also wohl was dran….

Ich für meinen Teil mag Fledermäuse.
Wer gerade nichts besseres zu tun hat oder sich davor drücken will, kann ja mal in diese interessante Doku von Arte rein klicken:

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