Ü-berraschung-50+

Gestern war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.
Dafür hat es gar nicht viel gebraucht.

Als ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig wunderbar,
Unter Wasser zu schweben….. (1)

Wer schon öfter in den Seiten meines blogs geklickt hat, weiß dass ich eine soziale Aufsteigerin bin. Verglichen mit dem, was heute viele Kinder aus Niedrig- (oder Null ) lohn-Familien an Unterstützung erhalten, habe ich viel bekommen.
Ich erinnere noch gut, dass meine Oma, überlebende zweier Weltkriege immer sagte: was du weißt, das kann dir keiner nehmen.
Sie wußte viel.
All die Balladen, die sie im Kopf hatte ….nicht nur diese habe ich geliebt. Auch den Disput über Geschichte, Politik, das Leben allgemein.
Wir waren selten einer Meinung, aber das schadete nicht.
Ihr Geigenspiel war ein Geheim ihrer Vergangenheit, blieb mir verborgen, und fand doch in ihrer Liebe zur Musik an mich weiter gegebenen Ausdruck.
Da war mein Vater, ein sehr kreativer Mann, der die Fremdbestimmung unserer Arbeitswelt nicht gut aushielt. Der mit 15 Jahren in den Krieg ziehen musste und danach einfach weiterleben sollte, als wäre nichts geschehen.
Gestützt wurde das Ganze durch meine Mutter: sie gab den ökonomischen Rahmen, damit wenigstens ein wenig Entfaltung für die vielen Familienmitglieder möglich war.
Aber um welchen Preis!

Am ehesten kann man unsere Familie wohl mit Migranten, die in ihrer Heimat durchaus zur Mittelschicht zählten, und auch hier ihren Kindern viel Kultur und zumindest den Anspruch an gesellschaftlicher Teilhabe mitgeben, vergleichen.

Kinder aus seit Generationen sozial schwachen Familien kennen ihn nicht, den forschenden elterlichen Blick auf der Suche nach Begabungen und Talenten, die es zu fördern gilt. Hätten die Eltern doch sowieso nicht die finanzielle Möglichkeit, diesen Entdeckungen gerecht zu werden. Und haben oft auch nicht die Fähigkeit, diese zu sehen.
Den Wunsch aber haben sie durchaus – Kinder Casting Shows sind u.a. ein Indiz dafür.

Kita und Schule könnten das ausgleichen. Wenn es denn gewollt würde.
Unsere Gesellschaft leistet sich lieber underachiever, womit ich nicht nur die IQ-getesteten meine.

Ich habe mich ganz gut durchs Leben gewurschtelt und mir meistens Nischen erhalten, in denen ich meinen Neigungen wenigstens etwas nachgehen konnte.
Beruflich wie privat.
Ich stehe nicht an dem Punkt zu sagen : hätte ich doch bloß…nein, das ist es nicht.
Mir wird nur so erschreckend klar, was unseren Kids angetan wird, wenn sie nicht in dem bestärkt werden, wofür auch ihr Herz brennen kann und nicht nur der Kopf raucht.
Talente nicht erkannt und aufgegriffen oder bewußt zur Seite geschoben werden.
Wenn abgewürgt wird, was nicht in ökonomischem Sinne Erfolg versprechend ist.

Lollo hat das vertrocknete, kleine,
schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen (2).

Während einiger Minuten der eigenen beruflichen Fortbildung habe ich begriffen, warum sich dieses Thema und mein Engagement dafür wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben zieht.

Viele ADHSler kennen das ebenso: ein Leben mit gezogener Handbremse, weit unter ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten. Weil sie anecken und der elterliche, schulische und gesellschaftliche Blick ihre unausgewogene Selbststeuerung in den Fokus nimmt.
Fähigkeiten gar nicht wahrgenommen werden.
Sie an den Rand geschoben werden.

Teenie ist gerade genervt, weil sie noch nicht genau weiß, wo sie in ihrem Leben hin will.
Alte Pläne nicht mehr gut sind.
Andere schon mit 16 wissen, dass sie Bankkauffrau werden wollen.
Teenie, ein höchst sensibler und kreativer Mensch mit gelegentlichen special effects, wird sich wohl noch etwas gedulden müssen, auf ihrer Suche.
Ich werde den Teufel tun und sagen: mach doch dies, dann hast du ausgesorgt.

Aber vielleicht erzähle ich ihr von meinem gestrigen Glücksmoment.
Als ich im Innersten verstanden habe, was mein Teenie meint, wenn er von Kindesbeinen an gelegentlich aussprach : heute fühle ich mich ganz wie – es folgt ihr Vorname.

Ja, gestern fühlte ich mich ganz wie Leidenschaftlichwidersynnig und das war unsagbar schön.

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(1) Ringelnatz, Das Seepferdchen
(2) ebenda

PS : was das Gedicht mit diesem Text zu tun hat, erzähle ich vielleicht ein anderes Mal….

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Kollektive Arbeitssucht ?

Wer Arbeit hat, rackert sich dumm und dämlich.
Wer keine hat, fühlt sich meist schlecht, wertlos … irgendwie.
Ohne Moos nix los. Klar.

Aber was soll eigentlich los sein?

Was und wieviel wollen wir dafür tun?
Macht uns unsere Arbeit glücklich?
Wofür ruinieren wir unsere Gesundheit?
Haben wir schon immer so viel gearbeitet?
Welchen Stellenwert hat Arbeit in unserem Leben?
Muss das so sein?
Ist Arbeit unsere Religion?
Kann das immer so weiter gehen?

Dieser durchaus unterhaltsame Film stellt Fragen, die wir allzu oft nicht mehr fragen:

Die essayistisch-satirische Doku-Fiktion FROHES SCHAFFEN zeigt: Der moderne aufgeklärte Mensch ist nicht frei von Irrglauben und geistigem Zwang. Er hat längst einen anderen Gott erwählt – Die Arbeit.

Arbeit ist Sicherheit, Selbstbestätigung, Existenzberechtigung. Sie ist eine Sucht, ein Fetisch, ein Mantra, das uns tagtäglich umgibt. In Zeiten von Wirtschaftskrise und rasantem Arbeitsplatzabbau hinterfragt FROHES SCHAFFEN diesen „heiligen“ Lebenssinn der Arbeit.
Regisseur Konstantin Faigle begibt sich auf eine Reise zu den Wurzeln unseres Arbeitsbegriffs. Er besucht die Stätten des Arbeitsglaubens und dessen Niedergangs. Er fährt ins Ruhrgebiet zu den letzen „heiligen“ Bergarbeitern und zum geschlossenen Nokia-Werk.
Er begutachtet in Hamburg ein virtuelles Übungskaufhaus, eine Aktivierungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose …..

( Clip von mir eingefügt, diesen Irrsinn kannte ich noch nicht):

…. Und in den USA besucht er unter anderem einen kalifornischen Ein-Mann-Fernsehsender, der seine Beiträge komplett via Internet auf den Philippinen schneiden lässt.
Zu Wort kommen zahlreiche Experten wie der amerikanische Sozialhistoriker Prof. Benjamin Hunnicutt, der US-Ökonomen Jeremy Rifkin, der Philosoph und Religionskritiker Michael Schmidt-Salomon, Soziologin und Buchautorin Marianne Gronemeyer sowie Tom Hodgkinson, britischer Experte für Muße, Genuss und Gelassenheit. Quelle

Wenn ihr nicht gerade arbeitet….schaut euch den Film an.
Es lohnt sich!

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Tacheles

Eine Team-Klausur hat etwas von Weihnachten im Familienkreis.
Man kennt sich. Der Termin steht fest , es gibt kein Entrinnen.
Das Beste draus machen.
Die Tretminen sind bekannt.
Umschiffen oder hochgehen lassen?

Sinn der Veranstaltung : das Team festigen, die Arbeit voran bringen.
Aber wo, bitte schön, ist vorne?

Phase I:
Der Versuch des vernünftigen, konstruktiven Umgangs miteinander.

Phase II:
Erste Spannungen, Beherrschung ist gefragt. Das schöne Ambiente…niemand will die Stimmung versauen.

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Phase III:
Zum Teufel mit der antrainierten Feedback-Kultur. Wenn ein Kollege die mit Bedacht gewählten Ich-Botschaften par tout von sich abperlen lässt, und das über einen langen Zeitraum, immer und immer wieder und bei allen Menschen, die kein vorgesetztes Hinterteil zum reinkriechen bieten …ja dann darf man auch mal authentisch sein und lospoltern. Jawoll.
Ein Ruck geht durch die Gruppe.
Keiner döst mehr vor sich hin.
Ja, es ist gemein, persönlich und direkt.

Einige freuen sich. Andere sind erschrocken.

Ja, und selber?
Nach der Befreiung kommt der Frust.
So kommt man nicht weiter. Aber anders auch nicht, was x-fach bewiesen ist.

Phase IV:
Rückzug. Es geht alles vorüber, geht alles vorbei….lalala.
Ausatmen nicht vergessen.

Wie Familie eben:

Onkel Otto kann man nicht mehr ändern.

Nachdenken über das, was änderbar ist.

Und dann passiert doch noch etwas Nettes, als ich samt Reisegepäck, müde und gefrustet, mein Heim erreiche:
Eine gebrechliche alte Dame kommt aus der Haustür, gefolgt von einem sich kümmernden alten Herren, der ihren Rollator die Stufen hinunter trägt.
“ Halten sie sich am Geländer fest, ich bin gleich da“ ….und zu mir: „geht das mit der Tür?“
Ich bejahe und lasse das Paar hinaus.

Die Tür fällt zu, bevor ich eintreten kann. Ich schaue den beiden nach.
Der Herr dreht sich zu mir um und sagt:

Viel Glück!

Und geht mit der Dame davon.
Einige Schritte weiter trennen sich auch ihre Wege.

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