Nachdenktage

Trio im Train

Wie sehr ich mich auch um Entschleunigung im Alltag bemühe, die Zeit verging in den letzten Monaten mindestens so schnell wie die Landschaft an mir gerade vorbei rast.
Noch gar nicht lange ist es her, da fuhr ich diese Strecke mit Teenie – Richtung Meer, Richtung Weihnachten.
Wir gönnen wir uns noch einmal ein paar freie Tage Ruhe mit Pferd und Meer. Mit dabei dieses Mal die kluge junge Frau, die viel zu früh ihre Mutter verloren hat und nun mit mir vorlieb nehmen muss.
Ich erinnere mich an sie als kleines Mädchen. So neugierig, so offen, wo Erwachsene rumdrucksten…..ich glaube, sie hat damals den Gedanken, dass es schön und nicht nur nervig sein könne mit Kindern zu leben, in mir entstehen lassen.
Sie und Teenie, schon äußerlich sehr verschieden. Die Eine im üblichen Sinne immer erfolgreich, die Andere weniger, sind sich dennoch in Vielem ähnlicher als man erwarten würde.
Ich bin gespannt, wie unser kleines Urlaubs-Trio miteinander klarkommen wird.
Teenie, gestern noch in großer Sorge um ihre berufliche Zukunft und voller Tränen ob der Steine, die sie schon zur Seite räumen musste – wird sie wieder Zuversicht tanken?
Die Große, im Karrieresprung, der kaum Zeit zum Verarbeiten des Verlustes lässt. Wird sie ihre Seele baumeln lassen können?
Die Kleine lehnt sich gerade an die Große an und es scheint beiden gut zu tun.
Mir auch.
Angesichts all der Verluste des letzten Jahres, der Trauer und der zermürben Auseinandersetzung um Unterstützung für Teenie scheint doch etwas heil geblieben zu sein.
Ich spüre, wie auch ich mich innerlich zurück lehne.

Ein Menschenleben

Ist doch alles schon lange her. Der Krieg und so. Muss auch mal gut sein damit.
Wann immer jemand auf die deutsche Vergangenheit hinweist, bekommt er Sätze wie diese zu hören. Aus der Vergangenheit lernen? Aus der Vergangenheit anderer womöglich noch?
Wir leben im Frieden. Werden weder beschossen, müssen unser Leben nicht verteidigen und haben keinen Grund zur Flucht.
Was also soll das Gerede von früher?
Und dann gehe ich in diesem idyllischen Waldstück spazieren.
Neben dem Fußweg der alte Schützengraben.
Auffällig viele Splitterschutzzellen, auch Einmannbunker genannt.
Sie sind noch nicht verrottet.
Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie sich hier 1 oder 2 Menschen Schutz suchen.
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Eine Gedenktafel weist auf das nahegelegene Gemeinschaftslager hin.
Infrastruktur für die meist männlichen Facharbeiter und Wissenschaftler, inklusive Bordell ( weibliche KZ- Häftlinge arischer Herkunft, sogen. „Asoziale “ -Zwangsprostitution für die Hebung der Arbeitsmoral…. ).
Rüstungsproduktion, verrichtet überwiegend von Zwangsarbeitern. 
Bis ein Luftangriff dem Treiben 1943 ein Ende bereitete, das Lager zerstörte und damit  der Produktionsstandort aufgegeben wurde.
In dieser Woche werde ich Nachrichten-Abstinent leben. Weiß ich doch auch so, wie trügerisch die Wahrnehmung unseres friedlichen Lebens ist.
Unsere Waffen, unsere Soldaten sind in kaum einem Krieg mehr wegzudenken.
Es ist gut, dass die Relikte aus dem letzten in D stattgefundenen Krieg noch herum liegen.
Das macht ihn echt.
Hier gab es Angst und Tod und Leid.
Ist doch gerade mal ein Menschenleben her.
Unheimlicher, wissender Wald.
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Wankel-Mut

Selten wurde mir in der letzten Zeit vor Augen geführt, wie unterschiedlich unsere Erlebenswelten sind.
Das Leben mit meinem Teenie ist langsam getaktet.
Unser Flow des Alltags dauert meist nur einige Stunden an. Dann ein Break, ein Zwischenfall, der Teenie aus dem Takt bringt und einige Zeit, um wieder rein zu kommen.
Ich fürchte, meine Große ist dadurch genervt, aber nein. Es erleichtert auch mal, nicht nur im Hochleistungsreservat Uni zu leben.
Nur manchmal denke ich : Exklusion hat doch was- da sieht man nicht dauernd, was nicht geht.
Teenie aber empfindet das nicht so.
Mit meinem Hang zum ‚ über-den-Tellerrand-schauen ‚ wäre ich im exklusiven Glashaus‘ sowieso nicht gut aufgehoben, auch wenn es mir diese Tage ab und an so scheint.
Ausgesprochen inklusiv ist unsere Zeit mit den Pferden.
Den Tieren ist es piep egal, ob wir studiert oder nicht, jung oder alt sind.
Und es ist überhaupt nicht schwer, mit unseren unterschiedlichen Fähigkeiten gemeinsame Stunden auf dem Pferderücken zu verbringen.
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Mehr davon, bitte.
Ich freue mich über Feedback. Wie immer ohne Registrierung möglich. 
 

Reingefallen?

Bluff – Die Fälschung der Welt.
Ein Buch von Manfred Lütz

Irgendwas hat mich neugierig auf dieses Buch gemacht.
Vielleicht der Titel.
Der Autor, dessen Buch “ Irre – Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen “ mir gut gefallen hat.
Eine interessante Aussage in dem hier beschriebenen Interview.

Nun hab‘ ich es gelesen.

„Es wird mit einigem Aufwand für verunsicherte Zeitgenossen eine künstliche Welt erzeugt, die sehr real erscheint, eine schöne neue Welt, in der natürlich nichts unklar sein darf und in der es dank Google keine unbeantworteten Fragen mehr gibt, in der Drogenabhängige besonders aufwendig therapiert und psychisch Kranke in professionelle Ghettos abgeschoben werden können, eine Welt, in der also die absolute Normalität herrscht, in der alle Tyrannen als verrückt gelten und unsereins selbstverständlich als total normal ……. eine Welt, in der Kunst ein Geschäft und Kinder Erziehungsobjekte sind, mit anderen Worten eine Welt, in der es keine existienzielle Beunruhigungen gibt, weil es in ihr scheinbar absolut sicher nur eine einzige reale Welt gibt, die man sehr gut kennt und in der daher auch nichts wirklich Unerwartetes geschehen kann….
Aber Moment mal.
War da nicht noch etwas?“
(alles S. 16 )

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In den 5 Hauptabschnitten behandelt Lütz jeweils für sich abgeschlossene Welten(sichten):

Wissenschaftswelt
Psychowelt
Medienwelt
Finanzwelt
Gesundheitswelt

anhand derer es ihm darum geht aufzuzeigen, wie man sich von echtem Erleben verabschiedet, geht man auch nur in einer dieser Welten zu sehr auf, hält sie ausschließlich für das A und O des Lebens.
Total der Wissenschaftsgläubigkeit verfallen, werden bisher unerklärte Phänomene wie z.B. Gefühle auf neurobiologische Prozesse reduziert und damit ihres Wesentlichen beraubt.
Wer sich den ganzen Tag den Medien aussetzt und glaubt, was Photoshop & Co, Reality Soaps und Nachrichten uns als Realität verkaufen wollen, verliert womöglich den Blick und die Akzeptanz für die Vielfalt menschlichen Aussehens, Verhaltens und Handlungsvarianten.
Arm dran ist, wer Reichtum für das allein selig machende hält.
Menschen, die dem Gesundheitswahn verfallen sind, sind oft kränker als sie denken.
Auch eine esoterische Sicht auf die Welt und womöglich entsprechend strenge Lebensweise sind nicht unbedingt bewusstseinserweiternd, sondern oft das Gegenteil.

Zu Recht stellt Lütz bei der Beschreibung dieser Welten die Frage:

Wo ist der Ausgang?

Auch seinen Überlegungen, dass man nicht allen Aspekten dieser Welten komplett entsagen muss, um das „echte“ Leben nicht zu verpassen, sondern es auf die Dosierung ankommt, stimme ich zu.

Womit wir beim „Aber“ sind.
Bislang habe ich ihn nur als Psychotherapeuten wahrgenommen, nicht aber als Theologen. Dafür kann er ja nichts.
Also wundert es nicht, dass das Thema Gott und Glaube in diesem Buch eine Rolle spielt, ich aber nicht damit gerechnet habe.
Das allein finde ich nicht besonders tragisch, es sind ja durchaus Themen, mit denen man sich auseinandersetzen kann und sollte.
Wirklich genervt hat mich hingegen, dass er eine Scheinwelt nach der anderen auseinander nimmt um an jedem Kapitelende die Nagelprobe anhand der Frage: kommt Gott darin vor, ist dort Raum für Glaube? vorzunehmen.
Natürlich nicht.
Seine Wahrheit:

Wer das wahre Leben nicht verpassen will, darf Gott nicht verpassen.

Dies empfand ich als aufdringlich und auch als Bluff.
Denn weder auf dem Klappentext des Buches, noch in dem mir bekannten Interview wurde ein solcher Zusammenhang auch nur angedeutet.

Es bleibt die Frage: Was will Lütz?
Die eine Scheinwelt durch eine aus meiner Sicht andere Scheinwelt ersetzen?
Ich habe das Buch nicht in die Ecke gepfeffert ( wonach mir ab und an war ), sondern bis zum Ende gelesen.
Und bin froh darüber.
Lütz geht nicht unkritisch mit der Institution Kirche um.
Angesichts unserer eher wüsten Vergangenheit tut sich Westeuropa, insbesondere Deutschland, schwer mit dem Rückgriff auf kollektive, historisch gewachsenen Wertvorstellungen, welche dem Einzelnen eine Orientierung geben könnten.
Was es Scheinweltschöpfern erleichtert, Fuß zu fassen.

Im letzten Teil des Buches , Finale , werden durchaus interessante Überlegungen angestellt, wie es möglich ist, sich von diesen scheinbar perfekten Weltbildern zu emanzipieren. Selbstredend erwähnt er dort wieder diverse Begegnungen mit Gott, unspektakuläre Offenbarungen desselben bei einigen prominenten Menschen.
Aber eben auch Lebensumstände, die einen auf das Wesentliche zurück werfen, eine Krankheit, Tod eines geliebten Menschen oder unfassbares simples Glück.

Es mag sein, dass manche Menschen dafür Gott brauchen.
Viele Menschen haben einen besonderen Sinn des Lebens, der z.B. in gesellschaftlichem Engagement liegen kann.

Wie auch immer Lütz es nennt: unser Dasein hat etwas mit Emotionen, Moral und Werten, Gut und Böse, Leben und Tod zu tun.
Darüber ab und an einmal nachzudenken, vielleicht auch mal den Versuch des Perspektivwechsels zu unternehmen, kann nicht schaden.
Dabei ist das Buch auf jeden Fall behilflich.

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