2018 war hier meistes Sendepause. Dabei gab es genug Themen, zu denen ich hätte bloggen können. Mehr als genug. Rheumi gab mir 2017 Gelegenheit, mir Gedanken über grundsätzliches zu machen und konkretes zu planen. Im denken und planen bin ich gut und das mündet in (oft) grandiosen Plänen, deren Umsetzung etwas schwieriger als deren Entstehung ist und hängt leider nicht nur von mir allein ab.
Weichen stellen
Pläne lassen sich nicht verwirklichen, wenn man nicht bereit ist, Entscheidungen zu treffen. Manchmal sind es nur Nuancen, die angepasst werden, manchmal reißt man das Ruder rum, um einen anderen Weg einzuschlagen.
Ohne Moos nix los
Beruflich hätte ich gern letzteres getan, aber von irgendwas muss ich leben und deshalb reichte es nur zu minimalen Anpassungen. Immerhin habe ich meine relative Gesundheit erhalten und aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Neben dem, was nach fast 30 Dienstjahren nicht mehr ganz so spannend und inspirierend ist, konnte ich in diesem Jahr wieder meinen Lieblingsworkshop durchführen und politisch engagierten Menschen zu mehr „Stimme“ verhelfen. Nein, keine Rhetorik- es geht um den Einsatz und Training unserer Sprechwerkzeuge, und jeder Workshop ist voller aha-Momente auch für geübte Redner_innen. Außerdem lachen wir uns über uns selbst schlapp, wenn Verhaspler, Kickser und Koordinationsschwierigkeiten mal überhand nehmen.
Bitte mehr davon in Zukunft.
Soviel sei verraten: ich stricke an einem Konzept für junge Autist_innen, die mehr Sicherheit in Gesprächen erlangen wollen. Darauf bin ich sehr gespannt.
Verdummt euch doch selber
Im Frühjahr war das Maß voll.
Lieber keine Maßnahmen von welchem Sozialträger auch immer als solche, in der Würde, Selbstbestimmung und Entwicklung nichts als leere Worthülsen sind.
Auch keine Begleitung von Therapeut_innen, die es nicht ertragen können, dass es nicht um Heilung bei Autismus geht. Die soziale Anpassung
(Maskierung) dafür halten, um sich selbst erfolgreich zu fühlen.
Seitdem Twen nicht mehr von sogenannten Fachleuten in die Selbstverleugnung, Unselbständigkeit und Depression getrieben wird, geht es ihr zunehmend besser.
Wir trauten uns kaum, diesen krassen Schritt zu gehen, weil ja Nichts-(erwerbsmäßiges)- Tun das vermeintlich Schlimmste überhaupt in unserer Leistungsgesellschaft ist. Und weil es doch für jede_n eine passendende Maßnahme gäbe.
Für Twen und auch für mich als Begleiterin ist es richtig wie es jetzt ist. Andere Jugendliche bekommen 1 Jahr Ausland gesponsert. Und ich soll mich schlecht fühlen, wenn ich meinem Kind 1 Jahr Auszeit von institutioneller Diskriminierung, Bevormundung und Demütigung schenke? Wenn Twen später evtl. einen miesen Job machen muss, dann wenigstens gegen Entgelt und nicht nur für Taschengeld weit unter Mindestlohn. Aber soweit ist sie noch nicht. Kommt Zeit, kommt Rat. Und mit etwas Glück: Tat.
Durchgeboxt
Einfach teilhaben– so heißt eine Broschüre des BMAS, in der die Möglichkeit von Teilhabe-Leistungen als persönliches Budget (PB) erklärt wird. Wer das PB bekommt, kann sich seine Assistenzleistungen mit dem ihm zur Verfügung gestellten Geld selbst einkaufen. Das heißt, die Assistent_innen selbst aussuchen und tritt als Arbeitgeber_in auf, nicht als Teilnehmer_in irgendeiner Maßnahme. Ein großer Schritt in Richtung Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen.
„Einfach“ zu haben ist das aber nicht.
Zumindest in der Stadt der Pfeffersäcke bevorzugen die Sozialbehörden pauschale Leistungen an große Maßnahmeträger, in deren Konzept sich die Menschen mit Behinderungen dann mit (oder entgegen?) ihren Bedürfnissen einzufügen haben.
Obstinat
Schon meine Oma sagte immer zu mir: sei doch nicht so obstinat!
Doch, bin ich. Besonders bei Behörden und wenn es um Twen geht.
Deshalb kann Twen jetzt selbst bestimmen, wer sie unterstützt, natürlich in dem Rahmen, in dem ihr vom Amt Unterstützungsbedarf zugestanden wird. Dafür bekommt sie ein monatliches Budget, mit dem sie ihre Leute bezahlen kann.
Das Ganze war für uns sehr anstrengend und eine, wenn auch unfreiwillige Bildungsmaßnahme zugleich.
Nun freue ich mich darauf, dass ich mein durch diesen Höllenritt erworbenes Wissen 2019 weitergeben darf als Referentin in diversen Autismus -Selbsthilfegruppen und Vereinen.
Dreamteam
Unser Fell-Peer Locke ist das Beste, was sich dieses Jahr in unser Leben gewuselt, getobt und geschmust hat. Twen und sie sind ein Dreamteam. Seit September sind die beiden ein Azubi-Team in der Assistenzhundeschule. Sie machen beide ihre Sache bestens. Im kommenden Frühjahr legen beide ihre erste Prüfung ab und bis dahin wird noch fleißig geübt. Dann gibt es auch eine Erwachsenen-Kenndecke 🙂
Das Verhalten von Kaniden und Pferden -und ihre Bindung zu Menschen – ist u.a. schon lange Twens Spezialthema und ich staune immer wieder, wie einfach und tiefgreifend die Verständigung zwischen ihr und Tieren ist. Und wie leicht sie im Umgang mit Tieren ihr theoretisches Wissen umsetzt.
Twen bekommt nun endlich eine konkrete Vorstellung davon, was Teilhabe heißen kann: so viele freundliche und wertschätzende Kontakte zu anderen Menschen hatte sie noch nie.
Zur Kasse bitte und draußen bleiben
Schlecht ist leider die Rechtslage in Deutschland, was die Anerkennung von Assistenzhunden als Hilfsmittel angeht. Das heißt, Anschaffung und Ausbildungskosten trägt der Hundehalter.
Damit sich das ändert, wird Pfotenpiloten e.V. im kommenden Jahr eine
Zutrittskampagene, unterstützt vom BMAS, durchführen. Achtet mal drauf. Ausgebildete Assistenzhunde sollen überall willkommen sein, wo Menschen sich in Straßenkleidung aufhalten dürfen. In anderen Ländern schon längst kein Problem mehr. Dort gibt es Standards für die Ausbildung und klare Rechte auch für Assistenzhunde, die nicht Blindenführhunde sind.
Platz da
Mit einem heldenhaften Einsatz hat die weltbeste aller Nichten mich vom Chaos meiner langjährig gehorteten Bürokratie befreit. Sie staunte nicht schlecht, was für Kram man im Leben alles ansammeln kann, welche absurden Schriftwechsel geführt werden und verdammt noch mal: so viele Behörden gibt es? Fortan heißt es, wehret den Anfängen, was leichter gesagt als getan ist. Ablage ist noch schlimmer als abwaschen als Wassergymnastik..
Kleiner Tipp: Tapeziertische sind multifunktional.
Engagement
Es ist toll, wenn man Ideen verwirklichen kann. Wenn man Mitstreiter*innen hat, die mit einem gemeinsam Dinge voran bringen.
Trampelpfade
- Netzwerk
2018 war ein Jahr, in dem uns das mehrfach gelungen ist. Aufgrund einer großen Veranstaltung 2017 zum Thema Arbeit und Beruf für Autistinnen ist ein Netzwerk der norddeutschen Berufsbildungswerke entstanden, in dem konkret personenzentrierte Maßnahmen entwickeln werden. Das Schöne dabei: das Eltern-Know-How wird abgefragt und auch Betroffene sind einbezogen.
- Fachtag
Mit einem Fachtag „Wege entstehen, indem man sie geht“- im Herbst zum selben Thema erreichten wir 160 Menschen. Fachkräfte der Maßnahmeträger, Verantwortliche der Kostenträger und Verbände sowie Arbeitgeber_innen. Die Resonanz war sehr positiv: erstmals hatten wir es vor Ort geschafft, dass sowohl NTs als auch ATs referierten oder Workshops leiteten. Auf Augenhöhe.

Deutlich wurde, wie viel Unwissen es noch immer über das Autismus Spektrum gibt und wie hartnäckig sich Vorurteile über Möglichkeiten der Berufsausübung halten. Etwas aufgeräumt damit hat ein Arbeitgeber, der mit der Beschäftigung einiger Autist_innen, darunter auch ein Rettungssanitäter, gute Erfahrungen gemacht hat.
Muss ich noch erwähnen, dass das Team Twen-Locke dabei war und in vielen Einzelgesprächen Aufklärungsarbeit geleistet hat?
Einfach Meer erleben
Die größte Schnapsidee des Jahres war unsere Urlaubsreise an die Steilküste der Ostsee mit uns zuvor nicht bekannten jungen Autistinnen.
Ich ärgere mich schon so lange darüber, dass es für junge Autistinnen keine guten Reiseangebote gibt. Also habe ich kurzerhand gemeinsam mit Twen und Locke eines entwickelt. Mein Job war im Wesentlichen die Organisation dieser abenteuerlichen Expedition von 6 Frauen und 3 Hunden und die Koordination vor Ort.
Vieles habe ich dazu gelernt, z.B. was besser ganz klar im Vorfeld abgeklärt werden sollte. Sagen wir mal so: wäre es eine NT-Reisegruppe (oder Seminar) gewesen, so hätten spätestens am ersten Abend die wechselseitigen Ausgrenzungsmaßnahmen begonnen. Wir aber waren ALLE daran interessiert, trotz unserer Unterschiedlichkeiten einige erholsame Tage miteinander zu haben und die gegenseitige Toleranz war entsprechend hoch.
Das ist Motivation für weitere Reisen dieser Art.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Angeboten wird es weder pädagogische, noch therapeutische Begleitung geben, sondern nur eine organisatorische Klammer.
Wohn-Idee
Kleine Wohnungen für junge Autist_innen. Dafür sorgt unser kleiner Verein, der mit einer Wohnungsbaugenossenschaft eine Kooperation eingegangen ist. Alleine wohnen, ohne zu vereinsamen. Das ist die Idee. Da stecke ich gerne Energie rein. Nicht ganz uneigennützig.
Die Weltlage
Krieg, Flucht, Rassismus, Diskriminierung, Ausbeutung, Umweltzerstörung. Zu viele Menschen, denen das bestenfalls egal ist. Zu wenige, die sich für einen Gegenentwurf engagieren.
Soviel dazu.
Musik, Freunde und Kultur
… kamen 2017 zu kurz. Das Cello glotzt mich vorwurfsvoll an. Für 2019 habe ich Besserung gelobt. Einige Tickets sind schon geordert. Im Chor wird zunehmend nicht nur gesungen, sondern auch gefeiert. Das wurde mir oft zu viel. Der Auftritt in der Elphie und unser Jahreskonzert waren toll. Ein Doppelkonzert habe ich geschwänzt und auch unsere Studioaufnahme. Mein Agreement deshalb mit dem Chor für die Zukunft: singen ja, Smalltalk in Großgruppen eher nein.
6 Jahrzehnte Gurkenbekannte *
Ich bin ein Kind der Dunkelheit, wenn man von der Rundum-Festbeleuchtung der weihnachtlich geschmückten Umgebung absieht. Noch bevor das Hosianna am heiligen Abend in den Kirchen erklingt, gibt es für mich jährlich ein Geburtstagsständchen. Diesmal etwas lauter angesichts meines ehrwürdigen Jahrestages.
Meine lieben mehr oder weniger speziellen Freund_innen, Bekannten und Kolleg_innen waren geladen und sogar erschienen. Da der kleinste gemeinsame Nenner der meisten von ihnen Zerstreutheit ist, wurde immer wieder vergessen, wann es denn losgeht und wann endet. Das war jedoch nicht weiter schlimm. Fast alle hatten eine längere Anreise, es fand eh´ vor den Stadttoren statt und so kamen einige bereits am Freitag in der Unterkunft an, andere blieben bis Montag. Dank meiner geduldigen Erinnerungs-Nachrichten klappte es dann doch mit einer gemeinsamen Feier ALLER Gäste. Für Twen, Locke und mich war es jedoch ein 4-Tage-Feier-Marathon.
Schmerzlich vermisst habe ich meine beiden Schwestern und meine Mutter, die mich vor 4 Jahren vom Mitglied eines Weiberclans zur geschlechterparitätisch besetzten Hälfte einer Restfamilie – zumindest wenn man die Nachkommen außer Betracht lässt – gemacht haben.
Erfreut war ich hingegen über einen großen Tisch mit politisch interessierten und engagierten Youngstern der Familie.
Knobeln und Hibbeln
Puzzlespiele und Holzkreisel auf den Tischen ersetzten die mir empfohlene anfängliche Schnitzeljagd zum Kennenlernen der anderen Gäste
(allgemeine Erleichterung), Twen führte Interviews mit ausgewählten Gästen durch ( Erhellung und Erheiterung ) , es gab die erste widersynnige Gurkenpreisverleihung an die schrägsten meiner Lieben
(Spaß und wohlwollende Verwunderung ) und ordentlich Speis und Trank.
Satz mit X
Ja, das gab es auch in diesem Jahr. Missglückte Versuche, unrealistische Pläne, die üblichen Fahrplanabweichungen des Lebens. So what…
Tempo raus
Gefühlt hatten wir in diesem Jahr Veränderungen im viertel-Stunden-Takt. Und dabei ist doch gar nicht so viel passiert. Alleine die Abwesenheit diverser Energiefresser hat viel Lebensqualität gebracht. Und dann noch dieser Sommer. Seit langem eine positive Bilanz. Twen schaut bei aller materiellen Unsicherheit zuversichtlich in die Zukunft. Dennoch – nach diesem ereignisreichen Jahr darf es ruhig wieder etwas ruhiger werden. Neue Verbindungen und Veränderung, ja.
Aber alternsgerecht, wenn ich bitten darf.
Dann bleibt auch wieder mehr Zeit für meine Freund_innen.
Wir sind bereit für 2019.
Euch, liebe Blogger_innen und Leser_innen…
… möchte ich weiterhin nicht missen, weder aktiv noch passiv. Über Kommentare freue ich mich immer und auch wenn in diesem Jahr hier weniger blogs zu lesen waren, so habe ich dennoch viele von euch gelesen. So manches Mal habe ich überlegt, ob ich diesen Blog weiterführen will. Zu viel Privatkram? Oft schon habe ich eure schlauen Gedanken bei der Bewältigung meines Alltags aufgegriffen. Dafür vielen Dank. Ich schreibe weiter, vielleicht kann ich ja was zurückgeben damit.
Euch allen frohe Festtage und einen guten Start in ein engagiertes 2019.
Eure LEIDENSCHAFTLICHWIDERSYNNIG
* Teenies pubertäre Bezeichnung für meine wunderbaren neurodiversen Freund_innen