Fernweh

Um diese Jahreszeit träume ich immer vom großen Urlaub, fern von hier. Mal was ganz Neues sehen und erleben. Andere Kulturen, Sprache, Natur, Klima.
Ein fresh-up für Seele und Geist.

Ich besuche virtuell Länder, Städte und Regionen. Meine Neugier ist geweckt und da ich noch nicht allzu viel in der Welt herum gekommen bin, gibt es für mich noch viel Neues und Interessantes zu entdecken. Bei meiner/unserer Reiseplanung sind immer einige Besonderheiten zu berücksichtigen. Wir sind bei weitem nicht so flexibel wie Menschen ohne Einschränkungen. Das alles sind aber keine wirklichen Hürden.

Ein Besuch auf diversen Urlaubsportalen macht schnell klar, woran es wirklich hapert: ohne Moos nix los.

Selbst günstige  Angebote sind in der Summe noch immer nichts für Menschen, die gerade mal so mit ihrem Einkommen über die Runden kommen. Wenn dann noch Special Needs dazu kommen, erst recht nicht.

Natürlich können wir uns auch hier vor Ort eine schöne Zeit machen. Und Teenie hat in ihrem Leben schon mehr von der Welt gesehen, als ich in ihrem Alter ( etliches allerdings nur, weil ich sie auf Dienstreisen mitnehmen musste).

Es betrübt mich dennoch. Gerade gestern wurde mir Lust auf eine Ausstellung in Zürich gemacht, wegen der „unglaublich günstigen Flugpreise“ auch an 1 Tag von hier aus zu schaffen. Selbiges durchgeführt von einem guten Bekannten mit seinem Sohn.

Ein Blick auf die vermutlich wirklich günstigen Reisekosten entlockten mir heute morgen keinen Jubelschrei sondern eher ein „boah, die spinnen wohl“.

Träume für die Economy-Class

Bildung zum Anfassen ist in der Economy-Class nicht vorgesehen. So wie schon ich in meiner Kindheit und Jugend, erkundet nun Teenie die Welt von zu Hause aus. Immerhin, damit kann man auch Bildungsschranken überwinden, zumindest zum Teil.

Aber wirklich mitspielen, das tut man nicht.
Heute gehört es mehr und mehr dazu, sich in der Welt sicher bewegen zu können.
Einen Flug von A nach B buchen oder Alternativen finden, Kommunikation auf Englisch, sich einer neuen Umgebung schnell anpassen, Grenzen passieren, Visa beantragen… gemachte – nicht erlesene – Erfahrungen geben Sicherheit bei neuen Herausforderungen.

Da ich selbst bildungsmäßig den Sprung in höhere Sphären geschafft habe, höre ich von Freunden und Bekannten aus dieser Schicht häufig Berichte über erfolgreiche Nachkommen, die im Ausland studieren, mal eben work and travel in sonstwo machen,  zur Ausstellung X in Y jetten usw. Oder von gemeinsamen Familien-Unternehmungen fernab vom heimischen Herd.
Materiell und sozial eher in meinem Herkunftsmilieu verblieben, höre ich ebenso von jungen Menschen, für die diese Art der Horizonterweiterung schlicht und einfach nicht umsetzbar ist. Für die bestenfalls ein günstiger Last-Minute-all- inclusive Urlaub drin liegt. Auch weil sie Anderes nicht für sich organisieren können oder sich nicht zutrauen, weil nicht kennen. Und für so manche ist sogar ein Ausflug über die Stadtgrenze hinaus schon ein Abenteuer.

Auf einer Mutter-Kind-Kur  habe ich vor vielen Jahren einmal einen Vortrag über  die „Wunscherfüllung in der Phantasie“ gehört. Anwendbar, wenn Kinder sich Dinge wünschen, die man ihnen nicht geben kann.  Eine Phantasie-Reise, bei der wir die Kinder ermuntern, sich nach Herzenslust alles vorzustellen und auszumalen, was sie gerne hätten. Statt des mütterlichen : du weißt doch, das können wir uns nicht leisten. Danach ginge es den Kindern gleich besser, sie fühlten sich mit ihren Bedürfnissen gesehen, der Wunsch sei dadurch quasi halb befriedigt.
Mag sein, dass die Quengelei dann abnimmt.
Aber  ist damit das Bedürfnis weg?

Ich für meinen Teil versuche nun wie jedes Jahr meine Ansprüche herunter zu schrauben. Aber ganz ehrlich, der Wunsch, mal so richtig tschüs und weg zu sagen, der bleibt.
Da kann ich noch so viel träumen.

 

 

Mäuseschritte mit Zwischenstopp

Ausdauer wird früher oder später belohnt. Meist später.
(Wilhelm Busch)

Man glaubt es kaum.
Deutschland hat sich schon einmal getraut, eine von den oberen Schichten beliebte Schulform abzuschaffen. Dahinter verbarg sich die Idee, jedem Kind, unabhängig von der Herkunft, Bildung zu vermitteln – Chancengleichheit als erstrebenswertes Ziel.

Grundschule bis 1919
Bis 1919 gab es die Grundschule, wie wir sie kennen, noch nicht.
Damals waren die unteren vier Jahrgänge der achtjährigen Volksschule angegliedert.
Die Volksschule wurde meist von Kindern aus ärmeren Verhältnissen, bzw. Arbeiterfamilien besucht, da diese nicht die finanziellen Mittel besaßen eine besser ausgestattete Schule, bzw. eine höherbildende Schule, wie das Gymnasium zu besuchen. Kinder aus wohlhabenden Familien besuchten entweder eine private oder staatliche Vorschule, die explizit auf das Gymnasium vorbereitete oder sie hatten aus ständischen und hygienischen Gründen Privatunterricht.
Durch diese Selektion der Schüler unterschiedlichen Standes und Herkunft und damit verbundener Chancenungleichheit entstand die Idee einer Einheitsschulbewegung, die zunächst religiös, dann politisch-ethisch und anschließend national motiviert war und eine achtjährige Einheitsschule forderte.
Befürworter dieser Einheitsschulbewegung waren Pädagogische Fachleute, die eine vier- bis sechsjährige Einheitsschule forderten und die Gegner dieser Bewegung stammten meist aus den Reihen des höheren Schulwesens. Somit entstand aus dieser Diskussion der Begriff Grundschule.

Die Entstehung der Grundschule in der Weimarer Republik
Das Jahr 1920 bildet ein wichtiges Jahr für die Grundschulreform, denn die Grundschule, wie wir sie kennen, erhielt ihre rechtlichen Grundlagen 1919 durch die Weimarer Reichsverfassung, die auf Chancengleichheit plädierte und 1920 durch das Reichsgrundschulgesetz. In der Konferenz zur Einführung des Reichsgrundschulgesetzes einigten sich die Teilnehmer auf eine Grundschuldauer von vier Jahren und die weitestgehende Abschaffung der privaten und öffentlichen Vorschulen.
Im März 1921 wurden die preußischen „Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule“ veröffentlicht und forderten damit eine grundlegende Bildung im Sinne einer harmonischen Entfaltung von Anlagen und Begabungen. Von einer strengen Einteilung in Fächer wurde abgesehen. Die Bildungsinhalte sollten im Gesamtunterricht durch Anschauungsunterricht erlebt und selbstständig erworben werden. Die Lehrinhalte orientierten sich zum einen an der Fassungskraft der Kinder und zum anderen an ihrer Lebensbedeutsamkeit. Quelle

Davon ist man ab.
Politik will nicht oder traut sich nicht. Zu viele Wählerinnen könnten verschreckt werden. Zugehörige der unteren Schichten haben sich längst abgewöhnt, wählen zu gehen, auf die wird von den etablierten Parteien selbst im Wahlkampf nicht mehr geschielt.
Außerdem braucht man ja ( Bildungs) Verlierer damit sich jemand als Gewinner fühlen kann. Und Gewinner – wobei eigentlich – das will doch jeder sein, oder?
Dafür nimmt man auch ein wenig Qual in Kauf.
Ist doch egal, ob das Geld für das Auslandsjahr, den Nachhilfeunterrricht oder was es sonst so braucht, um dazugehörend zu erscheinen, nur gepumpt ist. Die verlorene Kindheit holt man dann eben beim “ Klettern für die Großen“ im örtlichen Indoor-Spielplatz , am Wellness-Weekend und mit der ‚for-ever -a-girl/boy‘ – Mode nach.

Wie nehmen Eltern der verschiedenen sozialen Milieus in Deutschland Schule wahr und wie beeinflussen sie den Bildungserfolg ihrer Kinder ?

Im Auftrag der Konrad- Adenauer- Stiftung e.V. und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist eine qualitative empirische Studie u.a. diesen Fragen nachgegangen, hier die Ergebnisse zusammengefasst von Dr. Brigitte Schuhmann:

Milieuspezifische Reaktionen auf das Gymnasium
Die Studie stellt heraus, dass für Eltern aus den Milieus der „sozialen Mitte“ das Gymnasium alternativlos ist, auch wenn sie G8 heftig kritisieren. Die Hauptschule oder eine Schulform, die aus der Zusammenlegung von Haupt- und Realschule hervorgeht, werden grundsätzlich abgelehnt. Als Gründe werden das schlechte soziale Umfeld und die damit verbundenen schlechteren Bildungs- und Berufschancen der Kinder angegeben.

Bei Eltern der unteren sozialen Milieus spielt das Gymnasium keine Rolle. Schule soll aus ihrer Sicht Grundkenntnisse vermitteln und auf eine praktische Berufsausbildung vorbereiten. Als Eltern von Hauptschülern sind sie besorgt über den Wandel der Hauptschule zu einer „Verliererschule“. Eltern aus dem Milieu der Benachteiligten ist zudem die Abgrenzung von Randgruppen und Schülern nichtdeutscher Herkunft wichtig.

Eltern der Oberschicht und der oberen Mittelschicht bevorzugen für eine umfassende Bildung ihres Kindes die Privatschule. Sie reduzieren den Bildungserfolg ihrer Kinder nicht auf das bloße Erreichen guter Noten. Insbesondere bei den „Performern“, die sich selbst zum dynamischen Milieu der Leistungseliten rechnen, gehört zur Potentialentfaltung des Kindes die Aktivierung von Motivation, Leistungswillen, Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung. mehr

Ich bin froh, dass die Initiative zurück zu G9 an Gymnasien gescheitert ist. Sie würde letztlich eine inklusionsfördernde Schullandschaft verhindern und das jetzige Kasten-Schulsystem festigen.
Unser werter Schulsenator hat gerade verkündet, dass in Stadtteilschulen ( das sind hier diese in der Mittel- und Oberschicht so unbeliebten Lerneinrichtungen für das gemeine Volk ) verstärkt Mathe- und Deutschunterricht angeboten werden soll. hier
Das Niveau soll gehoben werden.
Allerdings wird das, was nun geplant ist, wieder kaum etwas bringen: Kids, die nur wegen ihres sozialen/ethnischen Hintergrundes nicht aufs Gymmi gekommen sind, werden möglicherweise den begehrten Anschluss an dieses Klientel ( und deren Jobs) etwas leichter schaffen. Das freut mich für sie.
Alle anderen werden erst recht die Loser sein.
Es geht ja wieder nur um die Angleichung der Schülerinnen und Schüler nach ‚oben‘ und nicht darum, die persönliche Entwicklung und Potenziale jedes Kindes zu fördern und Freude am Lernen zu wecken und erhalten.
Im Gegenteil: erhöhter Leistungsdruck für alle ist Programm.
Vermutlich sollen die Stadtteilschulen damit ‚aufgewertet‘ werden. Denn es sollen auch mehr Gymnasiallehrkräfte dort zum Einsatz kommen.
Sind das die besseren Pädagogen? Warum sollten sie.

Macht nichts. Die ‚Offensive zur Verbesserung von Mathematik und Deutsch an Stadtteilschulen‘ ist m.E. eine Alibi-Maßnahme , selbst wohlwollend unterstellt, auch Chancengleichheit und Inklusion wären Ziele.
Denn Elim, Furkan, Fatma, Mohammed, Kevin und Chantalle, der kleine autistische Karl, Chaosprinzessin Erna, die an Leukämie erkrankte Susi mit den vielen Fehlzeiten und der kleinwüchsige Otto werden auch zukünftig dort sein.
Und jedes Mittel-und Oberschichtkind, dass sich irgendwie als Gymmi-tauglich erweist, nicht.
Und so ist auch diese Initiative wieder nur ein Baustein zur Zementierung des alten selektiven Kasten-Schulsystems.

Ganz weit weg von einer echten Niveau-Anhebung unseres Bildungssystems. Und doch ist diese unvermeidlich, ihr werdet sehen.

Also lautet der Beschluß:
daß der Mensch was lernen muß.
Nicht allein das A-B-C
bringt den Menschen in die Höh‘.
( Wilhelm Busch)

Was sind schon hundert Jahre bei der Durchsetzung einer grundlegenden Idee?

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Geht’s noch?

In Nienburg müssen sich Schüler aus Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften vorm Jobcenter rechtfertigen, wenn sie nach ihrem 15. Geburtstag weiterhin zur Schule gehen wollen. Die sogenannte Verfolgungsbetreuung, die ab diesem Alter greift, beinhaltet Einladungen zu Terminen mit Rechtsfolgenbelehrungen, die bei Nichteinhaltung Sanktionen gegen die Minderjährigen zur Folge haben können. Die Zeitung „Junge Welt“ (jW) berichtet über einen aktuellen Fall, in dem zwei Brüder, deren Eltern mit Hartz IV aufstocken, massiv vom Nienburger Jobcenter unter Druck gesetzt, weil sie weiterhin zur Schule gehen wollen.
Quelle

Soviel zum Thema Chancengleichheit.
Da klingen die Sonntagsreden der Politiker_innen über die Erhöhung der Bildungsmöglichkeiten benachteiligter Kinder doch ganz anders.

Manchmal ist es echt schwer, nicht zynisch zu werden.

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Ü-berraschung-50+

Gestern war einer der glücklichsten Momente in meinem Leben.
Dafür hat es gar nicht viel gebraucht.

Als ich noch ein Seepferdchen war,
Im vorigen Leben,
Wie war das wonnig wunderbar,
Unter Wasser zu schweben….. (1)

Wer schon öfter in den Seiten meines blogs geklickt hat, weiß dass ich eine soziale Aufsteigerin bin. Verglichen mit dem, was heute viele Kinder aus Niedrig- (oder Null ) lohn-Familien an Unterstützung erhalten, habe ich viel bekommen.
Ich erinnere noch gut, dass meine Oma, überlebende zweier Weltkriege immer sagte: was du weißt, das kann dir keiner nehmen.
Sie wußte viel.
All die Balladen, die sie im Kopf hatte ….nicht nur diese habe ich geliebt. Auch den Disput über Geschichte, Politik, das Leben allgemein.
Wir waren selten einer Meinung, aber das schadete nicht.
Ihr Geigenspiel war ein Geheim ihrer Vergangenheit, blieb mir verborgen, und fand doch in ihrer Liebe zur Musik an mich weiter gegebenen Ausdruck.
Da war mein Vater, ein sehr kreativer Mann, der die Fremdbestimmung unserer Arbeitswelt nicht gut aushielt. Der mit 15 Jahren in den Krieg ziehen musste und danach einfach weiterleben sollte, als wäre nichts geschehen.
Gestützt wurde das Ganze durch meine Mutter: sie gab den ökonomischen Rahmen, damit wenigstens ein wenig Entfaltung für die vielen Familienmitglieder möglich war.
Aber um welchen Preis!

Am ehesten kann man unsere Familie wohl mit Migranten, die in ihrer Heimat durchaus zur Mittelschicht zählten, und auch hier ihren Kindern viel Kultur und zumindest den Anspruch an gesellschaftlicher Teilhabe mitgeben, vergleichen.

Kinder aus seit Generationen sozial schwachen Familien kennen ihn nicht, den forschenden elterlichen Blick auf der Suche nach Begabungen und Talenten, die es zu fördern gilt. Hätten die Eltern doch sowieso nicht die finanzielle Möglichkeit, diesen Entdeckungen gerecht zu werden. Und haben oft auch nicht die Fähigkeit, diese zu sehen.
Den Wunsch aber haben sie durchaus – Kinder Casting Shows sind u.a. ein Indiz dafür.

Kita und Schule könnten das ausgleichen. Wenn es denn gewollt würde.
Unsere Gesellschaft leistet sich lieber underachiever, womit ich nicht nur die IQ-getesteten meine.

Ich habe mich ganz gut durchs Leben gewurschtelt und mir meistens Nischen erhalten, in denen ich meinen Neigungen wenigstens etwas nachgehen konnte.
Beruflich wie privat.
Ich stehe nicht an dem Punkt zu sagen : hätte ich doch bloß…nein, das ist es nicht.
Mir wird nur so erschreckend klar, was unseren Kids angetan wird, wenn sie nicht in dem bestärkt werden, wofür auch ihr Herz brennen kann und nicht nur der Kopf raucht.
Talente nicht erkannt und aufgegriffen oder bewußt zur Seite geschoben werden.
Wenn abgewürgt wird, was nicht in ökonomischem Sinne Erfolg versprechend ist.

Lollo hat das vertrocknete, kleine,
schmerzverkrümmte Seepferd zerbrochen (2).

Während einiger Minuten der eigenen beruflichen Fortbildung habe ich begriffen, warum sich dieses Thema und mein Engagement dafür wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben zieht.

Viele ADHSler kennen das ebenso: ein Leben mit gezogener Handbremse, weit unter ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten. Weil sie anecken und der elterliche, schulische und gesellschaftliche Blick ihre unausgewogene Selbststeuerung in den Fokus nimmt.
Fähigkeiten gar nicht wahrgenommen werden.
Sie an den Rand geschoben werden.

Teenie ist gerade genervt, weil sie noch nicht genau weiß, wo sie in ihrem Leben hin will.
Alte Pläne nicht mehr gut sind.
Andere schon mit 16 wissen, dass sie Bankkauffrau werden wollen.
Teenie, ein höchst sensibler und kreativer Mensch mit gelegentlichen special effects, wird sich wohl noch etwas gedulden müssen, auf ihrer Suche.
Ich werde den Teufel tun und sagen: mach doch dies, dann hast du ausgesorgt.

Aber vielleicht erzähle ich ihr von meinem gestrigen Glücksmoment.
Als ich im Innersten verstanden habe, was mein Teenie meint, wenn er von Kindesbeinen an gelegentlich aussprach : heute fühle ich mich ganz wie – es folgt ihr Vorname.

Ja, gestern fühlte ich mich ganz wie Leidenschaftlichwidersynnig und das war unsagbar schön.

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(1) Ringelnatz, Das Seepferdchen
(2) ebenda

PS : was das Gedicht mit diesem Text zu tun hat, erzähle ich vielleicht ein anderes Mal….

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Wir ham’s ja…

Kulturfest in einer Stadtteilschule.
Wahlpflicht – und Neigungskurse der Klassen 5-13 aus den Bereichen darstellendes Spiel, Musik, Tanz , Modesdesign und Kunst präsentieren ihre Jahresergebnisse.
Mit professioneller Unterstützung zweier Theater und gesponsert vom Senat als Schule mit kulturellem Schwerpunkt darf man durchaus gespannt sein.

Eintritt auch für Eltern 3 €.
Kultur kostet eben.
Von den jungen Künstlern keine Spur. Noch ist die Aula zu.
In der Pausenhalle haben die Kunstkurse ausgestellt.

Das Publikum: gewöhnlich.
Hier sieht man weder Business- Look noch Szene-Öko-Fummel.
Die besser gestellte Elternschaft fehlt – deren Kinder lernen eine zweite Fremdsprache, wenn sie denn überhaupt diese Schule besuchen.
Für Künste verbleibt da im Wahlpflicht-Stundenplan keine Zeit.

Viele dunkle Haare, manch‘ exotische Garderobe.
Die Gesichter müde vom langen Arbeitstag.
Geschwisterkinder, aufgeregt.

Bühne frei.
Der Saal ist voll.
Eine kurze Ansprache.
Und dann darf man staunen.
Nein, hier gibt es nicht „Romeo und Julia“ , sondern die Akteure zeigen kurze ausschnittartige Episoden der jeweiligen Produktionen.

Eine Choreographie mit Stuhl, Becher, Bewegung, Rhytmus.
Rap.
„Shelter“ – Kinder, die aus seiner Textilfabrik in einem Entwicklungsland vor ihren “ Eigentümern“ flüchten.
Eine Solo – Jonglage, die sich sehen lassen kann.
Die etwas andere Modeperformance.
Der coolste Reggae aller Zeiten…. wg. pubertärer Peinlichkeitsalluren eher als musikalisches Standbild geboten 😉
Literarisches Sinnieren über die Marktwirtschaft.
Modern Dance – „Jane Bond“.

Allem gemeinsam: sichtbares Engagement, viele Talente, viel Potenzial.

Etliche Familien kenne ich schon aus der Grundschulzeit.
Man trifft sich im Viertel. Weiß um manches Problem.
Für viele ihrer Kinder wird heute ein schöner Abend geboten.

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Erfolg. Sich gut fühlen. Etwas können.

Die Möglichkeit, ihr Licht angemessen zum Strahlen zu bringen, haben nur wenige.
Nach Klasse 9 oder 10 ist arbeiten angesagt, da braucht man so einen schnick-schnack nicht mehr.
Kultur- das ist DANN etwas für die Anderen.

Aber heute, heute dürfen unsere Kids stolz sein und wir auch.

Geleitet von den Musikkursen ließen Publikum und Künstler den Abend dann auch entsprechend krachend ausklingen:

Und da war kaum einer, dem das Mitsingen peinlich war.

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Diagnose: Gehindert

Wem es nicht vergönnt ist, 40 Wochen im schützenden Mutterleib heran zu reifen, muss sehen , wie er mit der kalten, reizüberfluteten Welt klar kommt. Einfach sterben ist nicht erlaubt.
Kämpfen vom ersten Atemzug an ist Programm.

Aus dem Gröbsten raus – sprich außer Lebensgefahr- könnte ja nun eine kleine Erholungspause angesagt sein.
Aber nein. Schnell aufgeholt werden soll nicht nur das Gewicht, sondern auch die sensorische und motorische Entwicklung.
Dafür zuständig ist meistens die Mutter.

Vergleichsmöglichkeiten gibt es viele: andere Kinder, diverse Tabellen in Büchern, Ratgeber, Internet.
An Beratern mangelt es nicht: Eltern, Geschwister, Freunde, Kollegen, Ärzte.
Allen gemein: sie haben keine Ahnung, wenn sie nicht auch ein ebensolches Kind begleitet haben. Nicht einmal die Ärzte.
Klappt es mit der Entwicklung nicht planmäßig, sind gleich diverse Erklärungen parat.

Die Charts:
Falsche Erziehung
Das Kind wird verwöhnt
Die Eltern übertragen Ängste und sonstwas
Falsche Ernährung

Oder
Das Kind hat nichts
Das wird schon
Das wächst sich aus

Bei weitem noch nicht alles.
Niemand traut den Eltern zu, ihr Kind zu kennen und ungefähr richtig einzuschätzen.

Kommt dazu noch Hochsensibilität ins Spiel, wie auch immer sie sich äußern mag, wird es spannend.
Das Kind soll diese verleugnen. Denn sonst ist es nicht NORMAL.
Die Eltern sollen sie verleugnen, und damit ihr Kind. Ist DAS normal?

Normal- ein Zustand der angestrebt werden muss.
Wer das sagt?
Keiner, aber es denken die meisten.
Im Rahmen der Norm. Wessen?

Was wünschen sich Eltern? Ein glückliches Kind? Haben sie in ihm den Schatz des Besonderen entdeckt, bieten sie vielleicht noch eine Weile dem mainstream paroli.

20130222-071147.jpgSpätestens im Laufe der Grundschulzeit der Wunsch: wir möchten es auch einmal einfach nur leicht haben.

Alle Versuche, Institutionen dazu zu bringen, das Kind einfach so (an) zu nehmen wie es ist und dennoch zu fördern, und zwar so, wie es dem Kind entspricht, scheitern.
Eine anerkannte Diagnose muss her.

Eine Odysee beginnt bzw. wird fortgesetzt.
Kinderarzt, Sozialpädiatrisches Zentrum, Psychotherapeut.
Ergotanten , Pädaudiologen und noch mehr – ogen und -euthen.

Statt Hilfe gibt es : das tiefe Bewusstsein, nicht richtig zu sein. Nicht zu passen.

Alle Versuche des Kindes, die Dinge in seiner Weise zu machen, werden kritisiert.

Wer über eine besondere Begabung, mit der gesellschaftlicher Erfolg verbunden ist verfügt, kann sich glücklich schätzen. Kauzig aber intelligent.
Wer eine Begabung hat, die keiner kennt, Synästhesie z.B. , kann sich glücklich schätzen, wenn er nicht für verrückt erklärt oder dumm gehalten wird.
Im ICD 10, 2008 noch als Krankheit (R20.8) aufgeführt. (1)
Nun ja, im künstlerischen Bereich ist das neuerdings chic. Immerhin.
Ist man einfach nur “ gewöhnlich Anders“ hat man Pech.
Summa summarum aber sind alle freaks und als solche werden sie auch behandelt.

Unpassend auch die Eltern, die ihr Kind nicht auf Spur gebracht haben. Oder die einfach nicht kapieren wollen : d b d d h k P ! (2)
Erst Recht wenn sie für ihr Kind trotzdem den Anspruch auf Bildung, Ausbildung und Selbstbestimmung postulieren.
Nicht individuelles Lernen ist angesagt, sondern es wird am Ziel abgespeckt. Geht ganz einfach.

Und nun kommt Inklusion . WOW.
In einer Welt, die es nicht nicht einmal Babys erlaubt, sich für den Aufrichtungsprozess individuell Zeit zu nehmen, sollen Schulen in kurzer Zeit komplett akzeptieren was vorher undenkbar war.
Kosten darf das alles nichts, das ist klar.
Ist hier nicht eher noch Sparpotential – fragt sich da der findige Politiker.
Auch hier wieder : ohne Diagnose geht gar nichts.
Nicht unbedingt einleuchtend, ist doch die Teilhabe aller das erklärte Ziel.
Wozu dann also das Ettikett?
Können wir leere Schubladen nicht ertragen?

Wer sich mit seinem Kind im Strudel der äußeren Anforderungen, eigenen Wahrnehmung und Einschätzung sowie den Wünschen und Bedürfnissen des Kindes befindet, sehnt sich aus gutem Grund nach einem Namen für das “ Anders sein „. Was keinen Namen hat n‘ existe pas.
Irgendwann die Frage: bin ich behindert? Was auch immer das sein mag.

Wer Hilfen vom Amt bekommen kann, kommt ohne anerkannte Diagnose nicht weit (es muss ja nicht die Richtige sein).
Wer einen Arbeitsplatz braucht, der speziell ausgestattet sein muss, auch nicht.
Das alles wäre kein Ding, wenn da nicht der negative Touch, die “ sei froh dass du mitspielen darfst“ – Haltung der Restwelt wäre.

Auch die schlimmste Schulzeit endet einmal.
Was dann?
Wer bisher mit seinem unsichtbaren “ Handicap “ durch gehalten hat, wird nun konfrontiert mit dem Höher, Weiter , Schneller des täglichen Broterwerbs.
„Alternative“ : Diagnose, SBH , 2. Arbeitsmarkt, Hartz IV.
Pest, Cholera, Pocken oder Aids.
Dann doch lieber Burn Out und Depressionen, immer wieder oder chronisch.

Lichtblick: immer mehr Betroffene fordern für sich offen Teilhabe ein, organisieren sich bei autworker, tokol e.v. , SeHT e.v, ADHS-Deutschland e.V und in vielen Selbsthilfegruppen und Foren.
Anders geht es wohl nicht. Umdenken auf Verordnung klappt nicht und schnell schon gar nicht.

Der Gedanke der Chancengleichheit, und darum geht es letztlich, ist nicht neu. Die Bürgerliche Revolution hatte zunächst auch die Frauen außen vor gelassen, nun ja, wir sind peu à peu auf dem Vormarsch. Sogar in der Schweiz dürfen wir jetzt wählen. Schwule, Migranten und viele andere Personengruppen werden noch immer diskriminiert, aber auch hier geht es voran, wenn auch im Schneckentempo.

Meistens nicht im Focus dieser Diskussionen : die Männer, Heteros, Weißen, Reichen, Gesunden/ Normalen – und andere Menschen der ( vermeintlichen) Mehrheit.

Wie soll Emanzipation, Inklusion oder Diversity gehen, wenn genau diese Personen nichts dazu beitragen müssen?

Wenn sich in Integrationsklassen die I-Kinder ( was für eine Bezeichnung! ), im Job die Frauen, in Ländern mit weißer Mehrheit die Schwarzen etc. anpassen, verbiegen und verleugnen müssen und von den Hinderern jeglicher Coleur nicht das kleinste bisschen Verhaltensänderung verlangt wird, noch nicht einmal thematisiert wird?
Gelungene Integration, wenn noch nach 3 gemeinsamen Schuljahren Klassenkameraden nicht kapiert haben, dass man z.B. einen Menschen mit ASS nicht zu sehr auf die Pelle rückt, dass dieser sich dann i.d. R. bedrängt fühlt und entsprechend reagiert?
Wirklich heavy, wenn man gleich zu mehreren der gehinderten Personengruppen gehört.

Materiell einigermaßen ausgestattet, gelingt es neuro-untypischen Menschen und anderen Gehinderten immer wieder, die vorenthaltene Bildung und gesellschaftliche Stellung trotzdem zu erlangen: sei es autodidaktisch, in Fernkursen, in Vereinen, in Feriencamps und mehr.

20130223-082219.jpg
Letztlich lässt Emanzipation sich nicht aufhalten, wenn wir nicht alle einpacken wollen.
Das hat schon der olle Marx erkannt : Kommunismus oder Barbarei 😉

(1) ICD 10 Version 2008
(2) doof bleibt doof da helfen keine Pillen

Mit diesem blogpost beteilige ich mich an den Blogger-Themen-Tagen

#einfachSein

Eine tolle Idee und ein großes Dankeschön an die OrganisatorInnen, die aus dem Autismusspektrum kommen.
Mehr dazu hier

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Purer Luxus

Bummelig ein halbes Jahrhundert bin ich nun in Sachen „Lernen“ unterwegs.
Mehr oder weniger intensiv, bewußt oder beiläufig.

Unsere Institutionen, die Bildung vermitteln sollen und Schrecken verbreiten, habe ich überlebt.
Gerechterweise muss ich sagen, dass ich sogar dort etwas gelernt habe. Nur eben überwiegend andere Dinge, als der Lehrplan vorsah.
Manchmal hatte es etwas mit Lust und Freude zu tun, aber eher selten.
In der Grundschule gelegentlich, bei schlauen Lehrern, die Lernen nicht mit Faktenbulimie verwechselten. Als fast Erwachsene, wenn ich meinen Neigungen folgen konnte und dabei gerne begleitet wurde.

Die Uni- es wird mir immer ein Rätsel bleiben, wie man da brav Vorlesung für Vorlesung absitzen kann.

In der Freizeit gab es den Sportverein.
Darin erschöpfte sich die außerfamiliäre Förderung. Was am schmalen Geldbeutel, am gesellschaftlichen Umfeld und auch an der damaligen Zeit lag.
Toben, singen, lesen waren an der Tagesordnung und wer ein Instrument angeschleppt hat oder andere Interessen, durfte das auch.
Das hat mir die Entwicklung von Talenten versaut, aber auch die Qual ungeliebten Übens und Erwartungsdruck seitens Eltern und mittelmäßiger Unterrichter.

Durch und durch neugierig hab ich mir autodidaktisch immer viel beigebracht.

Was ich aber nicht allein lernen konnte:
In einer Gemeinschaft Fehler machen dürfen, ohne abgestraft zu werden. Sich langsam oder rasant durch gemeinsames Assoziieren an eine Lösung heranarbeiten.
Gemeinsam Freude beim Entdecken entwickeln. Fehler gemeinsam korrigieren.
Meine Art zu denken wird geschätzt . Was ich an Potenzial habe ist es wert , ausgebaut zu werden.
Fehlanzeige.

Natürlich habe ich all‘ das auch erlebt, im Freundes-und Familienkreis.

Aber nicht in einem institutionellen Rahmen.
Auf der Arbeit fertige Lösungen anbieten.
Sich zu Wort melden, nachdem man alles total durchdacht hat.
Bei dienstlichen Fortbildungen lieber nichts hinterfragen.
Sich durchmogeln. Damit sind meistens alle zufrieden, nur ich selbst nicht.

Als Erwachsene hatte ich ab und an die Gelegenheit, meine Lernumgebung selbst zu bestimmen.
Ein gutes Konzept und ein Lehrer, der einen dort abholt, wo man ist und dort hin begleitet, wo man hin will ist ein echter Schatz.
Lernen wird dadurch nicht einfacher, aber der Lustgewinn wiegt die Mühsal mehr als auf. Der Erfolg kommt wie angeschwebt.
Auf die Tipps und Tricks der Könner kommt man nicht immer allein und es schleichen sich ohne Korrektur Fehler ein… Kritik zugewandt weitergegeben eine große Hilfe ohne sich klein fühlen zu müssen.

Im letzten Jahr konnte ich auf diese intensive, begleitete Weise viel Neues lernen.
Zur Zeit erschließe ich mir einen weiteren Lernraum.
Ganz exklusiv nur für mich. Fordernd und fördernd. Erst jetzt wird mir der qualitative Unterschied richtig klar.
WOW.

Unsere Massenabfertigungs-Lehranstalten sind noch nicht einmal ein schlechter Abklatsch davon.

Ich bin unendlich froh, dass ich meinem Kind bis jetzt auch schon das eine oder andere Lernparadies kaufen konnte.
Und sicher, dass das mehr wert ist als jede formalisierte Ausbildung.

Bildung ist eben doch eine Sache finanzieller Ressourcen.

statistisches Bundesamt:
Der Bildungsfinanzbericht ermöglicht auch einen Vergleich der Bildungsausgaben Deutschlands mit anderen Staaten. Nach dem international vergleichbaren Teil des Bildungsbudgets entfielen in Deutschland im Jahr 2008 beispielsweise 119,1 Milliarden Euro auf die Ausgaben für Kindergärten, Schulen, Hochschulen und die Berufsbildung. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt entsprach dies einem Anteil von 4,8 %. Damit lag Deutschland – wie bereits in der OECD Publikation „Education at a Glance“ berichtet wurde – bei den Ausgaben für diese Bildungseinrichtungen deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 5,9 %.
Internationaler Vergleich : hier

Ich habe gerade Glück und bekomme meine Weiterbildung finanziert.
Das ist leider nicht selbstverständlich, schon gar nicht in dieser Qualität.

Chancengleichheit und wirklich gute Lerneinrichtungen- und Bedingungen für alle – ein Wunschtraum nur für Spinner?

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