Wenn es um die Eingliederung junger Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt geht, ist die Bundesagentur für Arbeit das erste Nadelör, durch das man sich durchzwängen muss um an eine Berufsausbildung zu kommen.
Die Reha-Berater*innen haben keine Ahnung über die verschiedenen Behinderungen. Dafür sind sie auch nicht da. Das macht der medizinische Dienst. Der zwar seinen Senf dazu geben (oftmals gar nicht so schlecht), aber keine Entscheidungen treffen darf.
Die Reha-Berater*innen passen auf das Geld der BA auf.
Das machen sie gut.
Sie kennen vor allem das Fachkonzept Berufsvorbereitende Maßnahmen.
Damit wird ein Rahmen für die Durchführung einer Maßnahme für die Teilnehmer*innen und die Träger der Maßnahme vorgegeben. Darauf beziehen sich BA und Träger gleichermaßen.
Und da es ein Fachkonzept ist, hat man sich ja wohl was dabei gedacht, als man es entwickelt hat.
Waren da Experten*innen am Werk?
Teilhabe auf Probe
Nur selten folgt einem Schulabschluss direkt eine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk, nur um mal einen der größten Anbieter zu nennen.
Damit keine Gelder verschleudert werden, muss der junge Mensch erst einmal beweisen, dass er eine von der BA gesponserte Maßnahme durchhalten kann.
Aber das kann die BA nicht so deutlich sagen und so werden Antragsteller*innen schnell zu jemandem gemacht, der/die sich erst einmal beruflich orientieren muss.
Das ist nicht besonders schwer.
Dazu könnte man nahezu alle Schulabgänger*innen machen … wer ist sich in diesem Alter schon wirklich sicher, was er/sie über viele Jahre arbeiten möchte. So sagte mir neulich eine junge Frau, sie schwanke zwischen einem Psychologie Studium und Flugzeugbau. Bei mir war das auch nicht so anders…nur dass ich mir noch mehr Berufe für mich vorstellen konnte.
Wer nicht auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen ist, probiert sich einfach aus. Und wechselt, wenn er/sie völlig daneben liegt.
Menschen mit Behinderung mutet man eine 11monatige Berufsorientierung zu, selbst wenn eine berufliche Orientierung vorhanden ist.
Wie anders als Probezeit soll man das nennen?
Im allgemeinen Arbeitsrecht wäre eine so lange Probezeit übrigens unzulässig.
Die BA nennt es deshalb lieber Berufsvorbereitende Maßnahme.
Für alle gleich
Selbstverständlich ist das alles gut durchdacht.
Das Fachkonzept Berufsvorbereitende Maßnahmen bestimmt genau, wie diese 11 Monate zu gestalten sind. Es beginnt mit der Eignungsanalyse, es gibt eine Grund-und Förderstufe, eine Übergangsqualifizierung und noch einiges mehr.
Vorausgesetzt, dieses Konzept passt auf den jungen Menschen, weil er noch nicht reif genug für eine Ausbildung ist, weil er wirklich noch keinen Plan hat, was er werden will oder weil er nicht einschätzen kann, welchen Beruf er mit seiner Einschränkung machen kann – kurz: wenn er sich noch in vielen Berufsfeldern ausprobieren muss, dann mag das Konzept nicht schlecht sein. Wenn es denn mehr als beschriebenen Papier ist.
Und: wenn die Art der Behinderung dem Konzept nicht zuwider läuft.
Was aber, wenn nicht?
Heute hier, morgen da….
Das Konzept sieht in erster Linie praktische Erprobung in verschieden Berufsfeldern vor.
Ein Praktikum nach dem anderen.
Häufig ist das aber gar nicht gewünscht oder möglich. Wer im Autismus Spektrum ist, hat genau damit Probleme: ständiger Wechsel des Arbeitsortes, ständig neue Kolleg*innen, immer wieder die für Dritte meist unsichtbaren Barrieren neu erklären.
Wir erleben leider zur Zeit, dass die Berufsvorbereitung eine ziemlich unstrukturierte Sache ist. Das bbw hat keine betrieblichen Partner, in die zuverlässig ins Praktikum vermittelt werden kann. Die Teilnehmer*innen verbringen einen erheblichen Teil ihrer dortigen Anwesenheitszeit auf berufenet.de der Arbeitsagentur, suchen dann Betriebe für Praktika, schreiben Bewerbungen. Das war´s.
Praktikumsstellen werden häufig nur mit Hilfe der Eltern gefunden.
Die Teilnehmer*innen sind eine extrem heterogene Gruppe was das Alter, Vorbildung, Behinderung angeht. Das macht es schwer, eine stabile Gruppe zu werden.
Da kommt dann schon die Frage auf, wozu das Ganze gut sein soll.
Probleme mit dem Fachkonzept Berufsvorbereitung der BA für Menschen aus dem autistischen Spektrum
Für Autisten*innen ist z.B. besonders wichtig:
- stabile Rahmenbedingungen:
kontinuierliche Ansprechpartner*innen
feste Gruppen
vorhersehbare Ausbildungsabschnitte
verlässliche Stundenpläne
planbare Arbeitsabläufe
konkrete Aufgabenstellung
konkrete Rückmeldung.Häufig wechselnde Gruppenzusammensetzungen irritieren und binden Energie, die für die Arbeit fehlt.
Konstante Arbeitsumgebung. Autist*innen brauchen mehr Zeit, um sich an fremde Orte und Personen zu gewöhnen. - Die Behinderung ist zum Teil unsichtbar:
oft erscheint es, als könnten Autisten*innen sich relativ sicher in sozialen Zusammenhängen bewegen. Niemand sieht, welche Anstrengung es jedoch bedeuten kann, sich in einer Gruppe zu bewegen, wenn man die nonverbale Kommunikation und unausgesprochene soziale Regeln nicht klar erkennen kann. Dies trifft besonders auf autistische Mädchen und Frauen zu, die oft sozial unauffälliger als männliche Autisten sind. - Orientierung an autistischen Stärken:
Viele Autisten*innen haben Kenntnisse und Fähigkeiten, die sich nicht im regulären Lehrplan des Schulunterrichts wieder spiegeln. Ihre Schulnoten erfassen diese dementsprechend nicht. Es ist sinnvoll, an den Spezialinteressen und Fähigkeiten anzuknüpfen, viele Autist*innen können selbst gut ihre Interessen beschreiben und auch Eltern können meist gute Hinweise geben. - Berücksichtigung der erhöhten Stressanfälligkeit auf sensorische Reize durch:
räumlich abgetrennten Arbeitsplatz
Rückzugmöglichkeit Tragen von Geräuschschutz
Arbeit in kleinen Gruppen
Kein Zwang zu Gruppenaktivitäten wie Feiern etc.
Klare Gruppenregeln bei Diskussionen
Was tun?
Natürlich gibt es keine Zahlen in unserer Stadt darüber, ob und wie viele Teilnehmer*innen aus dem autistischen Spektrum erfolgreich und mit Perspektive einer Ausbildung und Job (auch) auf dem ersten Arbeitsmarkt diese Maßnahmen durchlaufen.
Unser Eindruck: eher weniger.
Die Arbeitsmarktsituation von Autist*innen ist sehr schlecht.
Noch immer arbeitet die Mehrheit in einer WfBM oder ist ohne jede Erwerbsarbeit. hier
Der finanzielle Kuchen ist schon längst zwischen den Trägern der Teilhabe -Maßnahmen verteilt. Die Träger orientieren sich an der klassischen Aufteilung von körperlich, geistig oder psychisch behindert .
Eigentlich leben alle gut damit: die Träger, die BA – nur die Betroffenen und ihre Familien nicht.
Denn wo bitte passen da die Autist*innen rein?
Eure Unterstützung
Autismus-Initiativen vor Ort haben sich zusammen getan, um zunächst eine Datenlage herzustellen und dann mit entsprechenden Forderungen an die Politik und BA heran zu treten.
Wenn ihr selbst oder eure autistischen Kinder Erfahrungen mit einer bvb gemacht habt, interessiert uns, wie es euch damit ergangen ist. Was war für euch wichtig? Was hättet ihr gebraucht? Wie seid ihr mit Problemen umgegangen und vor allem: hat es beruflich etwas gebracht?
Unser Fragebogen ist lokal begrenzt. Aber jede Anregung ist hilfreich, wir werden auch viele Gespräche führen müssen.
Wir wissen, dass wir ein dickes Brett bohren wollen. Ihr könnt uns dabei helfen.
Danke.
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