Der Hamburger Flughafen war am Wochenende gesperrt. Nichts ging mehr, tausende Fluggäste mussten zwischenübernachten, warten, auf Klappbetten in einer Halle schlafen. Die Medien überschlugen sich mit Berichten über Fluggastrechte. Experten gaben ihr Wissen darüber, wie es zu dem generellen Stromausfall kommen konnte zum Besten und der Flughafenbetreiber gelobte Besserung.
Im Focus aller Berichte: ausschließlich das Schreckensszenario, was ist, wenn nicht alles 100%ig funktioniert, der Zeitplan nicht eingehalten wird, Unannehmlichkeiten entstehen und man umdisponieren muss. Dass so etwas, das nicht sein darf in unserer durchorganisierten Lebenswelt, doch passiert.
Und wir entsprechend – nämlich kaum – darauf vorbereitet sind.
Ja, die betroffenen Reisenden hatten jede Menge Stress und Reisende mit Special needs noch mehr.
Gäbe es genug Rückzugsräume im Flughafen für z.B. sehr reizempfindliche, behinderte oder alte Menschen, so wäre zumindest diesen schon einmal etwas geholfen. Es mangelt auch an geschulten Servicekräften für diesen Personenkreis um mit Unterstützung bei der Bewältigung dieser außergewöhnlichen Situation zur Seite zu stehen.
Das Beste draus machen
Kein kritischer Blick der Berichterstattung auf unser streng durch getaktetes Leben. Auf unseren durch organisierten Alltag, der nur den Blick auf die negativen Seiten eines solchen Erlebnisses zu erlauben scheint.
Ich stelle mir vor, wie aus anfänglichem Ärger Gelassenheit gegenüber der Situation wird. Man mit Menschen ins Gespräch kommt, mit denen man sonst nie ein Gespräch geführt hätte. Sich erst Anekdoten über andere Beförderungs-Pannen erzählt und später dann bei Politik oder einem eher persönlichen Austausch landet. Vielleicht sogar von der einen oder anderen Sorge oder besonderen Freude erzählt oder hört.
Es kann nervig sein, mit belegten Brötchen und Dosengetränken die Zeit in einer unbequemen Flughafenhalle tot zu schlagen. Stressig, mit Kind und Kegel eine spontan-Übernachtung in einer ohnehin von Touristen überfüllten Stadt zu finden.
Oder etwas besonderes im Alltags-Trott.
Für den, der es schafft, das Beste aus dieser Situation zu machen, ist es vielleicht eines seiner eindringlichsten Urlaubserlebnisse, an das er sich noch Jahre später positiv erinnern wird.
Und alle, die dienstlich unterwegs waren, werden sehen, dass ihr Unternehmen nicht an ihrer Verspätung zugrunde gegangen ist bzw. ihre Arbeit geduldig auf sie gewartet hat.
Szenenwechsel
Du weißt aber, dass du da eine langjährige Verpflichtung eingehst, oder?
Damit bist du dann aber nicht flexibel.
Musst du dir das auch noch antun?
Und was, wenn Twen später beruflich durchstartet?
Alles Bedenken und Ermahnungen, die sich auf unseren Familienzuwachs auf 4 Beinen beziehen. Ich zucke mit den Schultern und denke: steht „blöd“ auf meiner Stirn oder was?
Nur wer uns wirklich gut kennt, findet unsere Idee, eng zusammen mit einem tierischen Freund zu leben und dafür auch Zeit, Nerven, Geduld und Geld aufzubringen, gut. Die meisten Menschen haben nur den Blick auf die möglichen Einschränkungen unserer Funktionalität und Flexibilität im Alltag. Wie armselig.
Dabei könnte der Zeitpunkt, einen Fell-Peer für Twen aufzunehmen, nicht besser sein:
Twen wird der Zugang zur Arbeitswelt hartnäckig verweigert. Gleichzeitig weigert sie sich zu Recht, das never-come-back Ticket in das Behindertenghetto anzunehmen. Nach nun 14 Jahren Zwangsnormalisierung durch Schule und diverse Maßnahmen ist sie reif für eine längere Pause, in der sie Zeit hat, sich positiv zu definieren und sich persönlich weiter zu entwickeln, ohne jeden Tag ihr vermeintliches Unvermögen vorgehalten zu bekommen.
Ich hingegen bewege mich perspektivisch hinaus aus der Arbeitswelt. Innerlich schon länger; nun versuche ich peu à peu , mich dem Treiben der Hochleistungswelt auch zeitlich und räumlich zu entziehen und Alternativen dazu zu entwickeln. Die nächsten Jahre werden eine Zeit des Übergangs für Twen und mich sein. Die eine kommt, die andere geht.
Lebensqualität hat viele Gesichter
Schon jetzt ist deutlich, wie gut diese Entscheidung war. Auszeiten musste Twen ja schon immer notgedrungen zwischen den Maßnahmen hinnehmen. Aber die waren selten erholsam, denn am Ende der Pause lauerte meist ein noch unpassenderes Angebot der Bundesagentur für Arbeit.
Nun lauert: erst mal nichts.
Und das ist vorerst gut.
Twen, seit 2 Wochen -von einigen Tagen abgesehen- quasi alleinerziehende Welpen-Mama, kann nun endlich ihrem Spezialinteresse an Hundehaltung, -Training und Hundeverhalten auch praktisch nachgehen. Darauf hat sie über 10 Jahre gewartet. Einfach ist das nicht. Sich den ganzen Tag und auch zum Teil nachts auf ein anderes Wesen einstellen. Eines, das eigene Bedürfnisse und Regeln mitbringt und sie zwingt, ihre eigenen Routinen und Vorlieben anzupassen. Wege zu finden, damit dennoch alles klappt. Gleichzeitig gut für das Tier und für sich zu sorgen. Das ganz alleine schaffen.
Es strengt sie auf wohltuende Weise an, weil es nicht nur Energie nimmt, sondern auch spendet. Sie Bestätigung dadurch erhält, dass das kleine Wesen ihr vertraut.
Ich habe mich schon lange nicht mehr so bekräftigt gefühlt in einer Entscheidung.
Zu lange schon habe ich ihr glückliches und zufriedenes Lächeln vermisst. War dazu verdonnert, zuzuschauen, wie sie immer kleiner gemacht wurde. Ihr nichts zugetraut wurde. Sie sich selbst immer weniger zugetraut hat. Da immer wieder gegen zu halten wurde ( auch für mich ) immer schwerer.
Allein in den letzten Wochen, seit sie keinen Kontakt zu Sozialklempnern, Pädagogen oder Therapeuten hat, ist sie aufgeblüht. Ein anderes Wort dafür fällt mir nicht ein. Zeit für sich, kein Anpassungsdruck und der Ausblick auf den tierischen Freund haben ein kleines Wunder bewirkt. Sie ist mit so vielen Menschen positiv in Kontakt gekommen, wie nie zuvor. Erstaunlich, dass das auch auf mich ausstrahlt? Sicher nicht.
Ich bin glücklich, Twen das ermöglichen zu können.
Ihre neue Aufgabe steht im Gegensatz zu den verordneten Maßnahmen der BA, zu diesem „besser als nichts“. An diesem Herzensprojekt wird sie wachsen (und nicht zerbrechen wie durch die Maßnahmen zuvor). Für sich selbst hat sie es geschafft, von den Vergleichen mit anderen jungen Erwachsenen ein Stück weg zu kommen. Diese machen z.B. work and Travel in Neuseeland. Sie nimmt eben eine Hunde-Erziehungszeit. Ein gutes Zeichen der Selbstakzeptanz. Endlich fragt sie sich wieder selbst, wohin ihr Lebensweg gehen soll und folgt nicht einem aufgedrängten Ziel und Erwartungen Dritter.
Mich macht es froh zu sehen, wie ihr Potenzial wieder zum Vorschein kommt.
Wer weiß, auf welche Weise sie es einmal nutzen wird. Denn dass sie das tun wird, davon bin ich überzeugt. Möge sie sich ein wenig innere Distanz zum oben beschriebenen Leistungswahn bewahren.
Ist das etwa verrückt oder unverantwortlich?
Mir egal, ich schau jetzt Welpen-TV 🙂