Nächstenliebe und Beweislast

Die christliche Wertegemeinschaft wird aktuell viel gelobt.
Ich habe davon das Übliche abbekommen: Weihnachten in die Kirche,
Kinderstunde, ab und an Kindergottesdienst, in dem diese netten Suchbilder verteilt wurden.
Religionsunterricht in der Grundschule war wirklich schön: eine liebe Lehrerin, die schöne Geschichten vorgelesen hat und hinterher wurde gemalt und geredet.
Da war oft von Jesus die Rede, der kranken Menschen geholfen oder sein Essen geteilt hat, einfach so.

Mit uns lebte meine Großmutter, eine zur Protestantin konvertierte Katholikin, der die Kirche übel mitgespielt hatte. Ihre allseits bekannte Meinung: ‚hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‘ wurde hier schon öfter erwähnt. Dass sie Protestantin wurde, lag wohl hauptsächlich daran, dass es damals üblich war, in einem Kirchenverein zu sein und sie vom Süden in den Norden kam.
Sie war ein eher knurriger Mensch, aber großzügig und hilfsbereit ohne lange Diskussion.

Meine beste Freundin war das einzige katholische Kind in der Strasse. Ihre Mutter war Krankenschwester in einem konfessionellen Krankenhaus. Leider zog die Familie einfach weg. Vieles war dort anders als bei uns. Sie waren wirklich religiös. Aber oft fand ich dort Zuflucht vor meiner turbolenten Großfamilie und fühlte mich dort wohl.
Niemals musste ich beweisen, dass ich eine kleine Auszeit brauchte.

Unsere Straße hatte auch ein ‚Judenhaus.‘
Dort lebte eine jüdische Familie eher abgeschieden. Ein Opa, der im Holocaust seine ganze Familie verloren hatte, schimpfend durch die Strassen ging und uns unheimlich war. Ein Vater, der als Halodri verschrien war.
Und Cyrillerle (ausgesprochen CHillerle)‘, der uns Hawa Nagila beibrachte und der hübscheste und netteste Junge unserer Kinderbande war. Seine Mutter lies sich selten blicken, war aber immer sehr nett und verständnisvoll, wenn ich mich zu Besuch dort hin schlich.

Bis heute weiß ich übrigens nicht, weshalb das Haus so hieß. Der Mantel des Schweigens lag über ihm – aber dazu demnächst mehr in gesondertem blogpost.

Mein Teenie kam am besten in einem Geigenorchester klar, in dem überwiegend türkische Kinder ( eigentlich Deutsche, denn sie waren alle hier geboren) spielten. Eine gemeinsame Reise in die Türkei, um mit dem dortigen Kinderorchester zu lernen und aufzutreten, war ein absolutes Highlight in ihrem Leben.
Ihre Disposition war kein Problem.
Auch Moslems haben Geschichten übers uneigennützige Helfen.

Aber hier, in dieser so aufgeklärten Wertegemeinschaft, müssen die Hilfebedürftigen beweisen, dass sie Hilfe brauchen. Dazu reicht nicht die offensichtliche Unmöglichkeit der Teilhabe.
Scheitern allein ist nicht genug.
Es muss klar medizinisch definierbar sein und damit ohne eigene Schuld.
Gleiches gilt für arme Menschen: beweise, dass du nichts dazu kannst.

Um eins klarzustellen: eine Plausibiltitätsprüfung finde ich o.k. und zumutbar.
Alles, was darüber hinaus geht ist demütigend, demotivierend und sogar zutiefst undemokratisch.
Jesus – falls es ihn gab- dagegen muss in seinen Handlungen geradezu demokratisch gewesen sein, sieht man mal von seinem Gottgehabe ab.

Reichtum ist KEIN Menschenrecht.
Unsere Verfassung GEBIETET den Sozialstaat.

Und falls jetzt wieder jemand denkt: da könnte ja jeder kommen, dem antworte ich schon jetzt: ja, natürlich.
Ein Staat, der es sich leisten kann Milliardengeschenke an Milliardäre durch Steuergesetzgebung und Co zu machen, wird das ja ja wohl hinkriegen.

Anm.: Der Kirche das Wort reden will ich nicht. Ich  befürworte Religionsfreiheit, gehöre keinem dieser Vereine an und finde es unmöglich, dass ich mit meinen Steuern diese mitfinanziere. Klare und konsequente Trennung von Staat und Kirche – zu meinem Bedauern ist D kein laizistischer Staat.

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