In unserer vom Neoliberalismus geprägten Gesellschaft gibt es viele vermeintlich gute Wege, um zu einem erfolgreichen und glücklichen Leben zu kommen.
Muss man sich natürlich selbst drum kümmern.
Einer dieser golden Wege lautet: raus aus der Komfortzone.
Beschworen wird dieser Weg ebenso von Pädagogen, Psychologen, Ärzten als auch von Karriereberatern und Motivationstrainern jeglicher Art.
Lehrer fordern das von angeblich faulen Schülern, Eltern von ihren orientierungslosen jung-erwachsenen Kindern und sicherlich oft auch der sich als Aktivere verstehende Part einer Beziehung vom Gegenüber.
Das Verständnis unseres sozialen Netzes ist mittlerweile durch und durch von dieser Idee durchdrungen: Erwerbslose müssen sich nur endlich mal bewegen, ihre Komfortzone verlassen, dann klappt das schon mit dem neuen Job.
Schulabgänger ohne Ausbildung sollen aberwitzige Maßnahmen hinnehmen, Hauptsache runter vom Sofa.
Auch von Kranken wird das erwartet. Wenn der sein Leben nur entsprechend umstellt, dann wird das schon.
Einigkeit besteht darin: Entwicklung kann nicht innerhalb der Komfortzone statt finden, man muss sich hinaus begeben. Wer das nicht tut, will auch nichts verändern.
Die Sache mit den Bedürfnissen
Mir ist nicht bekannt, dass die Maslowsche Bedürfnispyramide grundsätzlich in Frage gestellt wird.

Ich wage mal die These, dass nur, wenn die Bedürfnisse einigermaßen gut befriedigt werden können, sich so etwas wie eine Komfortzone überhaupt bilden kann.
Wo also ist die Komfortzone von mittellosen Menschen?
Wo die von Menschen ohne berufliche Perspektive?
Wo die von alleinstehenden Kranken und Menschen mit Behinderung?
Wo die von Kindern mit Schullangst, Studenten mit Depression?
Hotel Mama
In einem Gespräch über die augenblicklich stagnierenden Situation hinsichtlich der Abnabelung von Teenie und mir musste ich mir anhören, dass Teenie endlich mal aus ihrer Komfortzone raus müsste ( sprich, nicht nur davon zu träumen, wie andere junge Erwachse den Schritt aus dem Elternhaus zu gehen, sondern sich endlich auch mal anständig drum zu kümmern).
Wenngleich in diesem Moment meine innere Alarm-Lampe ansprang, hielt ich doch inne: stimmt es vielleicht, helfe ich zu viel, kriegt sie einfach den Hintern nicht hoch?
Nach dem berühmten sacken-lassen suchte ich erneut das Gespräch und wie vermutet relativierte mein Gegenüber seine Aussage. Auf konkrete Nachfrage, wo ich denn vielleicht Komfortzonen für Teenie einrichten würde…..kamen eigentlich nur Beispiele, die mich erstaunen und dann auch wieder nicht.
So haben wir hier z.B. sehr pragmatische Lösungen, was die Lagerung von Lebensmitteln und die Benutzung von Geschirr betrifft. Teenie ist da etwas eigen. Ein eigener kleiner Küchenschrank und ein eigenes Fach im Kühlschrank bewahren alle Seiten vor unnötigem Stress. Komfortzone?
Wenn Teenie wegen zu viel Lärmverschmutzung im Alltag nicht mehr für sich einkaufen gehen kann, erledige ich das mit. Komfortzone?
Teenie bleibt wegen Overload 2 Tage im Bett. Komfortzone?
Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl von Gewohnheiten, Ritualen, Autismus- bedingten Notwendigkeiten, die Teenie das Leben erleichtern. Alles Komfortzonen?
Man stelle sich einen körperbehinderten Menschen vor. Niemand würde auf die Idee kommen, eine Beinprothese oder einen Rollstuhl als Komfortzone zu bezeichnen.
Noch weniger, von ihm erwarten, dass er darauf verzichtet.
Bullshit
„Das Leben beginnt da, wo die Komfortzone aufhört“…diesen und noch viel mehr bullshit versuchen uns neoliberale Kräfte immer wieder schmackhaft zu machen. Wir treffen sie in allen Institutionen, hartnäckig wird das Mantra vom „Jeder ist seines Glückes Schmied“ in vielfältigen Tonarten gesungen.
Die Realität aber ist: immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, selbst die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Sie sind weit entfernt von persönlichen Komfortzonen. Sie strampeln sich ab, um überhaupt erst mal in eine überlebenssichernde Zone zu kommen: die einen schreiben 100 erfolglose Bewerbungen, andere hangeln sich von einer prekären Beschäftigung zur nächsten, weitere kämpfen um Teilhabe für Behinderte Menschen und etliche schaffen nichts davon und resignieren. Ein paar Zahlen zur Einkommensungleichheit: hier
Komfort ist bekanntlich etwas, ohne das man auch auskommen kann, ohne existentiell gefährdet zu werden.
Bevor man also das Argument mit der Komfortzone bemüht ( ja, es kann ja stimmen, wenn denn Komfort vorhanden ist), ist man gut beraten, erst einmal zu prüfen, ob hier nicht grundlegende Barrieren vorhanden sind, die ein eigenes Handeln unmöglich und Unterstützung erforderlich machen. Und worauf diese basieren.
Alles andere ist zynisch, egal ob in Unwissenheit oder aus Gemeinheit daher gesagt.
Barrieren, die Handeln erschweren, können sogar unsichtbar sein.
Aber wenn man genau hin schaut oder sich informiert ( über ADHS/Autismus z.B.), kann man sie finden/erkennen.
Wenn ein Dritter die Last der Unterstützung trägt, sei es als Angehöriger oder als Institution, mindert das nur den Mangel, den man selbst nicht beheben kann,
erwächst daraus keine Komfortzone.
Wird die Last für den anderen zu schwer, und will man daran etwas ändern, ist das ein anderes Thema.
Ich freue mich über Feedback. Wie immer ohne Registrierung möglich.
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