Zweierlei Maß : Hilfsmittel Teil I

Man kann geteilter Meinung darüber sein, welche technischen Hilfsmittel in unserem Leben sinnvoll sind oder nicht. Wir nutzen sie alle mehr oder weniger, privat, beruflich und im öffentlichen Raum.

Auf den Kontext kommt es an

Die Nutzung des Navi beim Auto fahren, Apps für Fahrplan-Auskünfte und vieles mehr sind überwiegend akzeptiert und keiner kommt auf die Idee, Nutzer dieser Anwendungen für dumm zu halten. Bestenfalls für bequem.

Im unternehmerischen Kontext werden quasi alle Hilfsmittel positiv bewertet, welche die Produktivität steigern. Im gewerblichen Bereich haben sie vor allem für körperliche Entlastung gesorgt. Im Dienstleistungsbereich für Arbeitsverdichtung. Berufsbilder haben sich entsprechend verändert. Der Drang nach immer besseren technischen/digitalen Helfern entspricht der Gier nach immer mehr Profit. Nicht selten auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten und unserer Umwelt.

Wer sich z.B. in der Welt der Apps umschaut, kann auch sozial orientierte Entwicklungen entdecken. Zum Glück ist noch immer nicht ausschließlich Bereicherung Impuls und Ziel kreativen und innovativen Tuns. Dazu im Teil II mehr.

Sinnvoll hier…

Für die sogenannten „High-Performer“ , also Menschen (meist) mit akademischem Grad in (vermeintlich) verantwortungsvollen Positionen gibt es eine Vielzahl von digitalen Hilfsmitteln; sie alle dienen der Effizienzsteigerung und Optimierung der Arbeitsleistung. Selbstverständlich nicht nur im Büro, sondern  auch mobil und mit Reichweite in das Privatleben. Das Meeting dauert länger als geplant? Macht nichts, der Back Herd wird von unterwegs angeschaltet, ebenso die Heizung. Optimierungsziel ist nicht mehr nur die Teilleistung eines  Menschen, sondern sie erfolgt so umfassend wie möglich und durchzieht alle Lebensbereiche.
Jeder Herzschlag wird gezählt, gespeichert, ausgewertet. Zeit gespart, um mehr zu schaffen.
Wer on top sein will, macht mit.

Der Schriftsatz oder Arztbericht  muss noch fertig werden? Keine Panik. Auf der Heimfahrt vom Arbeitsplatz im Auto diktieren, danach das Diktat dank  Spracherkennungssoftware direkt vom PC in Text umwandeln lassen. Dann bleibt noch Zeit für Freizeit-Aktivitäten – damit die Work-Life-Balance stimmt.

Niemand würde auf die Idee kommen, dass beim Anwender dieser Hilfsmittel irgend ein  Defizit vorliegt, z.b. bei der Büro-Organisation oder gar eine Dyspraxie.
Es wird unterstellt, dass diese Menschen Wichtiges tun. Da ist es nur Recht und billig, dass sie digitale Hilfsmittel nutzen.

…unnötig da?

Es liegt auf der Hand, dass besonders Menschen mit einer behinderungsbedingten Einschränkung von der Entwicklung der digitalen Helfer profitieren können.

In den Bereichen Sehen, Hören und Körperbehinderung haben sich technische Hilfsmittel unterschiedliche Art etabliert. Sie bewilligt zu bekommen, ist dennoch nicht einfach.
Der Blindenführhund ist in Deutschland derzeit leider der einzige durch das SGB als Hilfsmittel anerkannte Assistenzhund. Eine begrüßenswerte Entschließung des Bundesrates will das ändern: hier

Aber zurück zur Technik: es gibt mittlerweile viele digitale Hilfsmittel, die Menschen mit Teilleistungsschwächen oder sensomotorischen Schwierigkeiten unterstützen könnten.

Nehmen wir mal die oben schon erwähnte Spracherkennung. Für Menschen, die nicht denken und tippen gleichzeitig können, die den Kopf so voller Ideen haben, dass sie ihre Gedanken nicht in die Tastatur hacken können, ehe der nächste Gedanke schon den Kopf füllt, die motorische Probleme haben, für Legastheniker oder die eine Lernbehinderung haben können damit Barrieren abgebaut werden. Und damit Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben ermöglicht werden. Sie sind auch für ADHSler und Autisten eine gute Hilfe bei entsprechendem Bedarf.

Weder reguläre Bildungsinstitutionen noch Bildungseinrichtungen für Menschen mit Behinderungen halten solche Software vor ( ausgenommen Spezialeinrichtungen für Sehbehinderte und Gehörlose). Es gibt dort kein Personal , dass ihre Teilnehmer entsprechend schulen kann. Volkshochschulen bieten Schulungen für diese Zielgruppe nicht an.
Dass Beratungsstellen oder gar Kostenträger einen  „Kunden“ auf unterstützende digitale Anwendungen hinweisen, habe ich noch nie gehört.
Ämter finanzieren das x-te Bewerbungs-oder Kommunikationstraining, obwohl die o.g. Einschränkungen möglicherweise besser durch technische/digitale Hilfsmittel kompensiert werden könnten.

Wer sich traut, diese Hilfsmittel zu beantragen, stößt zwar zum Teil auf wohlwollende Neugier ( aha, das ist ja interessant, dem gehen wir mal nach….und dann folgt: nichts),   viel häufiger aber wird darauf verwiesen, dass man doch lieber an der Überwindung der Defizite arbeiten soll. Also üben, trainieren, oder sich abfinden.
Oft wird vom pädagogischen Personal der Ausbildungseinrichtungen auch gar nicht verstanden, wo das Problem liegt:

Wer die Lösung einer Aufgabe nicht verschriftlichen kann, weiß die Lösung nicht ….!?

So die gängige und meist einzige – oft unzutreffende – Schlussfolgerung.

Eventuell ist die Kenntnis bei den Beratern der Integrationsfachdienste größer.
Aber wer den Status des arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten hat ( oder noch nicht in einem Arbeitsverhältnis steht), fällt nicht unter dessen Zuständigkeit. Er darf sich mit den Sachbearbeitern der Sozialversicherungsträger herum ärgern.
Deren  Ahnungslosigkeit über die vielfältigen Möglichkeiten ist in Deutschland groß. Die Sinnhaftigkeit wird bestritten. Auf das Budget verwiesen. Investieren in Menschen, die dann doch nicht zu den Top-Leistern aufsteigen widerspricht dem hiesigen Verständnis von Wirtschaftlichkeit.
Wie so oft tragen betroffene Familien dann selbst die Kosten, wenn sie können.

Irgendwo habe ich neulich den Begriff „Leistungsrassismus“ aufgeschnappt.
Er ist polemisch, ungenau und  gefällt mir dennoch.
Es ist mittlerweile wieder zu selbstverständlich, dass Würde und Lebensqualität an Leistung  (im Sinne von Arbeitsleistung) gekoppelt wird. Das Ignorieren und Verweigern von Hilfsmitteln zur Kompensation behinderungsbedingter Einschränkungen ist ein bitteres Bespiel dafür.

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Augenwischerei*

Ob bei Teamentwicklungen, Weiterbildungsmaßnahmen,  Mutter-Kind-Kuren,  beruflichen Reha-Maßnahmen oder Therapien- überall kann einem die Aufforderung begegnen: schreiben sie einen Brief an sich selbst. Das kann zu Beginn der Veranstaltung sein oder aber erst am Ende. Wichtig ist, dass der Brief einen erst zum gesetzten Zieldatum ( Prüfung, Ende der Maßnahme, einige Zeit wieder im häuslichen Alltag etc.) erreicht.

Die Aufgabe

Schreiben sie ihre Ziele auf.
Was wollen Sie am Tag X erreicht haben?
Was wollen Sie verändern?

Meist hat man ca. 1 Stunde Zeit dafür. Das ist nicht viel, wenn man ein herausforderndes Ziel hat und außerdem sind wir ja auch ungeübt, nur für uns selbst unsere Ziele zu benennen. Also denkt man nach und schreibt dann was. Meist so eine Mischung aus offiziellem Ziel der Veranstaltung ( Abschluss schaffen,  im Fach x verbessern, gelassener sein, sich für sich selbst Zeit nehmen, Sport anfangen, gesund ernähren, vor  Gruppen sprechen können, weniger Überstunden machen, mal NEIN sagen im Job usw.) und dem, was man sich wirklich wünscht und so zutraut. Schulkinder jüngeren Datums und deren Eltern kennen diese Mogelei schon von den Ziel-und Lernvereinbarungen, die sie jährlich treffen müssen. hier
Arbeitnehmer*innen evtl.. von jährlichen Beurteilungsgesprächen.

Stunde der Wahrheit

Irgendwann kommt dann der Moment, an dem man den Brief in der Hand hält und ihn öffnen sollte. Fein raus ist, wer alles geschafft hat. Ein Grund zur Freude und man kann stolz auf sich sein obwohl man das ja sowieso schon ist. Aber hier kommt noch mal die schriftliche Bestätigung von sich selbst.

Aber was, wenn nicht?
Wer durch die Prüfung gefallen ist oder eine Maßnahme abbrechen musste, findet es vielleicht nicht so toll, seine eigenen Wünsche, Erwartungen und Hoffnungen noch einmal von sich selbst unter die Nase gerieben zu bekommen. Weiß man doch alles. Fühlt man doch.

Problematisch besonders, dass nach therapeutischen oder Reha-Maßnahmen/Kuren  der Brief den Absender erst erreicht, wenn dieser von der Einrichtung selbst nicht mehr aufgefangen werden kann. Mitten im Alltag, der sowieso nicht klappt, obwohl man doch so viel verändern wollte. Mit dem selbst formulierten Schlamassel steht man nun allein da. Auch wenn er wohlwollend formuliert ist, entsprechend Aufgabenstellung.

Was soll man also damit tun? Nicht öffnen? So ein Brief kann einen auch in geschlossenem Zustand immer wieder „Loser, loser “ zurufen.

Zu kurz gefragt

Sein Ziel konkret vor Augen zu haben, ist an sich eine gute Sache. Das eigene Ziel. Nicht allgemeine Erwartungen. Es zu formulieren, kann helfen.
Das allein greift aber zu kurz.
Wir leben nicht in einer Glasglocke, unsere Rahmenbedingungen unterstützen oder verhindern Veränderung.

Was brauchst du?

Hilfreich wäre, die Frage zu stellen: was brauchst du, um dein jeweiliges Teilziel zu erreichen?
Kollege*innen, die nicht auf dir rumhacken, wenn du weniger Überstunden machst, eine Anpassung des Arbeitsvolumens, regelmäßigen Unterricht, Lehrer*innen, die gut erklären können, ein ruhiges Lernumfeld, jemanden, der dich stärkenorientiert unterstützt, eine Familie, die respektiert, dass du mal allein sein willst, Entlastung von der Pflegeverantwortung, finanzielle Hilfe?

Individualisierung

Wird diese Frage nicht gestellt, wird allein auf die persönliche Veränderungsebene abgestellt, werden sowohl der Erfolg als auch der Misserfolg ausschließlich individualisiert.
Das ist leider die heutige allgemeine Sichtweise auf Menschen.

Wir sollten uns diese nicht zu eigen machen.
Nicht, um die Ursache des Misserfolges nur bei anderen zu suchen.
Es geht doch um eine möglichst objektive Einschätzung des Ergebnisses. Wer jemals eine (sinnvolle und gut durchdachte) Evaluation gemacht hat weiß, dass einseitige Fliegenbeinzählerei allein nicht reicht, um zu einer Einschätzung zu kommen, die weiterführend ist.

Stellt man eine solche Aufgabe, so ist es das Mindeste, dass man sich auch dem Ergebnis stellt. Das Misslingen liegt nicht immer nur an den Teilnehmer*innen/Client*innen/Patient*innen.

Tut man es nicht, wird hier nur Schuldzuweisung betrieben.

Was tun?

Kurzfristig wird man diese unglückselige Mode wohl nicht abschaffen können. Also kann es sein, dass man irgendwann so ein nettes Briefchen an sich selbst zu schreiben hat. Wenn du aus der Nummer nicht raus kommst, mach das Beste daraus.
Das ist aus meiner Sicht:

  • Schreibe auch für jedes Teilziel auf, welche Unterstützung oder Rahmenbedingungen du brauchst, um es zu erreichen. Ehrlich. Da es dein ganz persönliches Ziel ist, du einzigartig bist, kann für dich hilfreich sein, was für andere fatal ist.
  • Wenn die Zeit dafür zu kurz ist, bitte um Zeit-Verlängerung ( z.B. zu Hause/ auf dem Zimmer  fertig schreiben).
  • Bekommst du diese nicht, male dir ein schönes Bild, mach Krickelkrakel, tu so als ob.

Aber diskutiere nicht über die Sinnhaftigkeit dieses Briefes mit denen, die ihn als ganz tolle Hilfe ansehen!

Und falls du gerade einen Brief der Hiebe erwartest, erhalten oder herumliegen hast, also nicht zu den Glücklichen gehörst, die alles geschafft haben: lass das Ding ungeöffnet liegen, wenn es dich quält. Verstau es dort, wo du wahrscheinlich erst in ein paar Jahren zufällig drauf stoßen wirst.
Womöglich sagst dann zu diesem kleinkarierten Tun nur  „paaahhhhh…..“.

  • vormals Titel  „Bilanzbetrug“

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Hochfunktional ist ein Ar***loch

hochinteressant, hochbegabt, hochmotiviert,  hochgelobt, hochverehrt, hochbeliebt, hochbegehrt, hochbezahlt, hochberühmt, hochklassig, hochqualifiziert…

Hochfunktional.
Maske auf, Tür auf, Alltag an. Hinausspaziert in das Lebern unter NT´s/Stinos. Nowbody knows. Geräusche gedämmt mit Musik. Geliebte Knöpfe in den Ohren. Sieht wie eine allgemeine Mode aus ist aber ein willkommener Schutz vor dem Geräuschdurcheinander.

Lieber zu Fuß oder mit dem Rad, diese vielen Menschen in  Bus oder Bahn.
Auf der Arbeit Hallo hier und Hallo da. Lieber gleich anfangen…. Konzentration auf die Aufgabe, Pausen nerven. Durchziehen, was schaffen, wieder weg . Oder bleiben und weiter arbeiten… Gut gemacht.
Überstanden, nun noch den Einkauf. Knöpfe rein in die Ohren, geliebter Sound statt Lärm.

Ankommen in Sicherland. Hinlegen. Ausatmen. Endlich essen. Geschafft, erschöpft.
Warten auf den nächsten Tag. Alleine. Mal mit den geliebten Gewohnheiten, mal ohne. Da fehlt was. Das unverstellte Sein-dürfen inmitten von Menschen. Müssen ja nicht viele sein, nicht permanent. Wie geht das?
Sichtbar nun die Seite, die keiner sehen will.
Die nicht gezeigt wird, bei Menschen, die bewerten.

Hochleistung, Hochkultur, Hochverarschung.

Keine sozialpädagogische Unterstützung mehr, läuft ja alles prima.
Die Fantasie im Amt : hochbegrenzt.
Sieht doch alles toll aus. Seien sie stolz auf ihr Kind. Und auf auf sich.

Verflixte Sch****, wie denn, wenn dabei nur heraus kommt, dass gebrauchte Unterstützung versagt wird?
Wenn wieder nur bleibt: die kleinen Inseln im Alltag suchen, die einen Moment Entlastung bringen, und sei er noch so klein.

 

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Anders

Mein Vater gibt sich Mühe. Meine Mutter nennt mich weiter Felix. Sie erträgt es schlecht, wenn Dinge sich ändern. Man muss dafür Verständnis haben, oder?

Anders‚  von Andreas Steinhöfel – eine Buchbesprechung

Felix ist ein eher unscheinbarer, gut behüteter 10jähriger Junge.

Bis er einen Unfall hat, der ihm eine Kopfverletzung,  eine Zeit im Koma und  eine partielle Amnesie beschert. Zwar beherrscht er noch immer unsere Kulturtechniken, aber an die Menschen aus der Zeit vor dem Unfall kann er sich nicht mehr erinnern. Auch nicht an sich selbst.

Nicht nur er muss seine Eltern und Freunde neu kennenlernen, sondern auch umgekehrt. Felix benimmt sich völlig anders, hat andere Vorlieben, Stärken und vor allem: er nimmt die Welt auf eine besondere Weise war und verhält sich entsprechend.
So ist es nur konsequent von ihm, dass er nicht mehr Felix heißen möchte.
Anders, diesen Namen hat er sich ausgesucht, denn so fühlt er sich auch.

Die Mutter, gewohnt, ihrem Sohn den Alltag vorzugeben, zu bestimmen was wichtig ist und was nicht und damit seine Entwicklung akribisch zu lenken, sieht sich nun mit der Unmöglichkeit der Fortsetzung ihres Konzeptes konfrontiert.
Aus dem formbaren Sohnemann ist ein eigenwilliger Mensch, der seinen Weg auf seine Weise geht, geworden.
Plötzlich ist sie eine Mutter, dessen Kind nicht mehr funktioniert, wie es in ihrem sozialen Umfeld sonst üblich ist. Kein Kind zum Vorzeigen.

Nicht ganz so schwer tut sich der Vater.
Auch er nimmt sich vor, seinen Sohn neu kennen zu lernen. Und merkt, dass er ihn auch vorher nicht besonders gut kannte. Er schafft es, sein verändertes Kind anzunehmen, vielleicht sogar mehr als das Kind vor dem Unfall.
Konflikte zwischen den Eltern sind vorprogrammiert.

Bleibt noch die Sicht der Kinder, denn  Anders/Felix  hat Freunde, geht zur Schule und wie es sich für ein Jugendbuch gehört, liegt der Focus der Geschichte nicht bei den Befindlichkeiten der Eltern sondern dem Treiben der Kinder in Form einer spannenden Geschichte. Denn eigentlich ist es aus deren Sicht gar nicht so wünschenswert, wenn Anders sich an früher erinnert….

Gekauft habe ich Andreas Steinhöfels Buch ‚Anders‘ nicht für mich, sondern für Teenie. Nach ein paar Seiten hab ich es nicht mehr her gegeben.
Mir gefiel, wie Anders Eigenheiten die Mutter mit ihrem Perfektionismus ausbremste.
Der Wandel von Felix zu Anders eröffnet dem Vater hingegen eine Beziehung zu seinem Kind, wie er sie vorher nicht haben konnte und setzt zudem einen ganz persönlichen Emanzipationsprozess bei ihm in Gang.

Im Vergleich zwischen Felix und Anders schnitt Letzterer mit seiner inneren Autonomie gesellschaftlichen Normen gegenüber deutlich besser auf meiner Sympathie-Skala ab.
Sicher auch, weil ich in Anders neuer Sensibilität, Reizoffenheit und ungewöhnlichen Fähigkeiten häufig mein eigenes Kind wieder erkannte.

Ohne sich medizinischer Diagnosen zu bedienen, beschreibt Steinhöfel ein Kind, für das unsere Gesellschaft die Schubladen des DSM 5 bereit hält.
Er beschreibt es mit Sicht auf seine Stärken. Wie schon bei den Büchern über Rico und Oscar, schafft er es, stigmatisierende Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen wie z.B. ADHS, Autismus, Synästhesie als ganz gewöhnlich und überhaupt nicht bedrohlich darzustellen.

Steinhöfels neues Buch geht über die Beschreibung der Welt der Kinder weit hinaus. Es zeigt auch auf, in welchen gesellschaftlichen Mustern die Erwachsenen verhangen sind. Wie sie den Schein der perfekten Familie wahren. In der Leistungsgesellschaft dabei sein wollen. Ihren Kindern um den Preis der Kindheit versuchen, einen guten Platz darin zu verschaffen. Zur Reflexion ihres Tuns nicht in der Lage sind.

Sie holt mich immer ab. Überall…..Man ist dauernd überwacht. Man kann nichts alleine machen. Mein ganzes Leben ist ein Scheiß-Überwachungsstaat. (S. 116)

Sich selber, auch wenn sie spüren, dass das alles nicht gut und richtig ist, dennoch den Gepflogenheiten und deren Hütern unterordnen.

Einen Menschen wie Anders brauchen, um endlich zu sehen, was falsch läuft in ihrem Leben.
Aber auch, dass ein Wandel dieser gesellschaftlichen Werte nebst Veränderung der Lebensgewohnheiten derzeit den Preis des Nicht-Mehr-Dazu-Gehörens hat.

Weitere Protagonisten wie eine Nachbarin, ein ex-Nachhilfelehrer, das pädagogische Personal und die Kinder nebst ihren Eltern in der Schule verdeutlich die möglichen Reaktionen auf Menschen wie Anders: Abgrenzung, Angst, Bewunderung, Respekt, Verunsicherung.

Ich bin gespannt, was Teenie zu dieser Geschichte sagt.

Ihre erste Ablehnung gegen das Buch ( lass mich mit dem anders-Scheiß in Ruhe, ich bin Teenie, mich interessiert das nicht, nicht ich hab Probleme sondern der Rest der Welt ) ist der Neugier gewichen, schließlich geht es um ihr bekannte Wahrnehmungsweisen und es ist von einem ihrer Lieblingsautoren.

Außerdem reizt sie der Diskurs darüber mit mir.
Ein willkommener Anlass, wieder einmal über unser Zusammenleben und die uns leitenden Werte zu reden. Ich bekomme da manchmal mein Fett ab… aber dennoch:
Ich freu mich drauf.

Mit Anhieb schafft dieses Buch den highscore auf meiner Lieblingsbuch-Liste.
Steinhöfel ist ein tolles, unaufdringliches Plädoyer für Inklusion gelungen.

Unbegingt lesenswert.

Leise Zweifel bleiben lediglich bei der Altersangabe des Verlages. Für 12jährige scheint es mir noch etwas früh.

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Nächstenliebe und Beweislast

Die christliche Wertegemeinschaft wird aktuell viel gelobt.
Ich habe davon das Übliche abbekommen: Weihnachten in die Kirche,
Kinderstunde, ab und an Kindergottesdienst, in dem diese netten Suchbilder verteilt wurden.
Religionsunterricht in der Grundschule war wirklich schön: eine liebe Lehrerin, die schöne Geschichten vorgelesen hat und hinterher wurde gemalt und geredet.
Da war oft von Jesus die Rede, der kranken Menschen geholfen oder sein Essen geteilt hat, einfach so.

Mit uns lebte meine Großmutter, eine zur Protestantin konvertierte Katholikin, der die Kirche übel mitgespielt hatte. Ihre allseits bekannte Meinung: ‚hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‘ wurde hier schon öfter erwähnt. Dass sie Protestantin wurde, lag wohl hauptsächlich daran, dass es damals üblich war, in einem Kirchenverein zu sein und sie vom Süden in den Norden kam.
Sie war ein eher knurriger Mensch, aber großzügig und hilfsbereit ohne lange Diskussion.

Meine beste Freundin war das einzige katholische Kind in der Strasse. Ihre Mutter war Krankenschwester in einem konfessionellen Krankenhaus. Leider zog die Familie einfach weg. Vieles war dort anders als bei uns. Sie waren wirklich religiös. Aber oft fand ich dort Zuflucht vor meiner turbolenten Großfamilie und fühlte mich dort wohl.
Niemals musste ich beweisen, dass ich eine kleine Auszeit brauchte.

Unsere Straße hatte auch ein ‚Judenhaus.‘
Dort lebte eine jüdische Familie eher abgeschieden. Ein Opa, der im Holocaust seine ganze Familie verloren hatte, schimpfend durch die Strassen ging und uns unheimlich war. Ein Vater, der als Halodri verschrien war.
Und Cyrillerle (ausgesprochen CHillerle)‘, der uns Hawa Nagila beibrachte und der hübscheste und netteste Junge unserer Kinderbande war. Seine Mutter lies sich selten blicken, war aber immer sehr nett und verständnisvoll, wenn ich mich zu Besuch dort hin schlich.

Bis heute weiß ich übrigens nicht, weshalb das Haus so hieß. Der Mantel des Schweigens lag über ihm – aber dazu demnächst mehr in gesondertem blogpost.

Mein Teenie kam am besten in einem Geigenorchester klar, in dem überwiegend türkische Kinder ( eigentlich Deutsche, denn sie waren alle hier geboren) spielten. Eine gemeinsame Reise in die Türkei, um mit dem dortigen Kinderorchester zu lernen und aufzutreten, war ein absolutes Highlight in ihrem Leben.
Ihre Disposition war kein Problem.
Auch Moslems haben Geschichten übers uneigennützige Helfen.

Aber hier, in dieser so aufgeklärten Wertegemeinschaft, müssen die Hilfebedürftigen beweisen, dass sie Hilfe brauchen. Dazu reicht nicht die offensichtliche Unmöglichkeit der Teilhabe.
Scheitern allein ist nicht genug.
Es muss klar medizinisch definierbar sein und damit ohne eigene Schuld.
Gleiches gilt für arme Menschen: beweise, dass du nichts dazu kannst.

Um eins klarzustellen: eine Plausibiltitätsprüfung finde ich o.k. und zumutbar.
Alles, was darüber hinaus geht ist demütigend, demotivierend und sogar zutiefst undemokratisch.
Jesus – falls es ihn gab- dagegen muss in seinen Handlungen geradezu demokratisch gewesen sein, sieht man mal von seinem Gottgehabe ab.

Reichtum ist KEIN Menschenrecht.
Unsere Verfassung GEBIETET den Sozialstaat.

Und falls jetzt wieder jemand denkt: da könnte ja jeder kommen, dem antworte ich schon jetzt: ja, natürlich.
Ein Staat, der es sich leisten kann Milliardengeschenke an Milliardäre durch Steuergesetzgebung und Co zu machen, wird das ja ja wohl hinkriegen.

Anm.: Der Kirche das Wort reden will ich nicht. Ich  befürworte Religionsfreiheit, gehöre keinem dieser Vereine an und finde es unmöglich, dass ich mit meinen Steuern diese mitfinanziere. Klare und konsequente Trennung von Staat und Kirche – zu meinem Bedauern ist D kein laizistischer Staat.

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Mantra

Mir ist egal, welchen Beruf mein Kind wählt, Hauptsache, es wird damit glücklich.

Das haben doch die meisten Eltern schon mal von sich geben, oder?

Noch im Halbschlaf sage ich mir immer wieder diesen einen Satz, von dem auch ich überzeugt bin, in Gedanken vor.
Denn heute nehme ein weiteres Stück Abschied vom Wunschtraum, dieser glücklich machende Beruf  werde gleichzeitig einer sein, der gesellschaftlich hoch anerkannt ist und gut bezahlt wird.
Ich nehme auch Abschied von meinem jahrelang verfolgten Ziel, mein Kind möge soviel Normalität wie möglich und lediglich so wenig Spezialität wie nötig erleben.
Das schmerzt und ich werde das Gefühl der Unzulänglichkeit nicht los.
Wir fahren in eine kleine Stadt nicht weit von unserer Großen, um
ein Berufsbildungswerk zu besichtigen. Überbetriebliche Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen werden dort angeboten. (1)
Ich habe Vorbehalte.
Ist es das Richtige?
Wird mein fast erwachsener Teenie dort genug Anregungen für ein ‚ normales ‚ und eigenständiges Leben bekommen?
Meine eigenen Gedanken befremden mich. Die anderen jungen Erwachsenen dort können doch ebenso wunderbare und vielseitige Menschen sein wie sie!
Und mal ehrlich: wie viele Anregungen habe ich bereits nur allein von Teenie gerade wegen ihrer Besonderheit bekommen?

Das Gegenteil von Inklusion

Es fällt mir schwer JA zu dieser Sonderwelt zu sagen. In meiner Vorstellung ist es möglich und wünschenswert, mit Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Mitte zu leben und zu arbeiten. Letzteres gesondert zu erwähnen ist wohl notwendig in unserer verdrehten Welt, die in Hierarchien wie Dritte Welt, zweiter Arbeitsmarkt, Geberländer, Leistungsträger u.v.m. denkt. 

An diesem Tag heute muss ich akzeptieren, dass die Realität für mein Kind nur eine  Berufsausbildung ‚ auf dem Mars ‚ vorsieht.
Das ist bitter. 

Das Glück der Erde…

Ich sehe, wie Teenie neugierig und zielstrebig den ersten Kontakt vor Ort aufnimmt. Bin erstaunt über ihre klaren Vorstellung, erfreut über ihre Unvoreingenommenheit. Hier kann sie sogar ihren Traumberuf erlernen.
Sie sieht zugleich die Chance den nächsten, ihr angemessenen Schritt zu machen. 
Den Heimatort verlassen. 
In Gemeinschaft mit jungen Leuten leben. 
Ihr Blick zu mir : ich hab‘ dir doch schon immer gesagt, ich will was mit Pferden machen.
Ich krieg das alles hin, mach dir keine Sorgen.

Diese Treppe hatte ich schon oft vor der Linse. Meine liebe Leserin Anita schrieb dazu sinngemäß: “ wer weiß, wo diese Stufen unsere Kinder hinführen“ . Ich mag diese Treppe.  Blickt man hinauf, sieht man in den Himmel. Der Blick hinab weist auf das weite Meer…

Am nächsten Morgen steht ihre Entscheidung noch immer.
Ich aber denke daran, was es heißt, einen Beruf im
Niedriglohnsektor zu ergreifen.
Weise Teenie auf die nicht berauschenden Verdienstmöglichkeiten in dieser Branche hin. ( 2 )

Hey Mum, ich schreibe doch erst das Vorwort des Buches meines Lebens, bleib mal cool.

Ach, auch eine Löwenmutter hat zu weil ein Hasenherz.

Aber während ich das alles so denke und schreibe, wetze ich bereits meine Krallen für das kommende Match mit der Bundesagentur für Arbeit…..

(1) wer jetzt denkt, Teenie hätte einen offiziellen Behinderten-Status, irrt.
Die BA hat jetzt lediglich gemerkt, dass es Grenzen dabei gibt, Menschen mit einer ‚Sonderformatierung‘ die gängige ‚Standardsoftware‘ aufzuzwingen.
(2) für mich behalte ich, welche Auswirkungen das auf mich hat: arbeiten, bis es nicht mehr geht..

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Kannitverstaan

Mitten in der Nacht mit der S-Bahn unterwegs und ich finde mich zwischen überwiegend jungen Menschen wieder.
Gestern hatte ich Gesellschaft von jungen Lehrer*innen / Lehramtsstudenten , die sich mittels Facebook über wirklich dumme und schreckliche Schüler*innen austauschten.
Da antworten doch Schüler auf die Frage“ was hast du nicht verstanden?“ mit “ alles.“
Also wirklich. Die müssen richtig dumm sein oder trotzig, faul…..

Mir geht das Schülerbashing schon eine Weile auf den Geist und ich kann meinen Mund nicht mehr halten.

Ich: mir ist das auch immer so gegangen und nun bin ich eine Studierte. Diese Antwort deutet nicht auf Dummheit hin. Es stimmt oft und es geht vielen Schüler*innen so.

Er: aber er muss doch wenigstens einen Punkt bestimmen können, von dem an es nicht weiter ging.

Ich: nicht zwingend. Wenn er das könnte, würde er vielleicht selbst den Weg zur Lösung finden.

Es geht noch eine Weile hin- und her.
Der junge Mathelehrer, wie ich nun weiß, hält 80% der Lehrer für unfähig, aber so eine Antwort des Schülers sei provokativ und zeuge von einer Null-Bock-Haltung.
Noch einmal versuche ich es. Es sei doch die Aufgabe des Lehrers, herauszufinden, an welchem Punkt der Schüler ‚ ausgestiegen ‚ ist und da zu unterstützen.
Das sieht der junge Mann ganz und gar nicht so.
Schüler*innen müssten aufpassen und qualifizierte Fragen stellen, mit denen der Lehrer etwas anfangen könne.

Bevor ich patzig werden kann, erreiche ich meinen Zielbahnhof.

Schüler*innen sind nicht in der Schule, um Ihnen den Job leicht zu machen und Sie sollten sich was schämen, so mit den Ihnen anvertrauten – oder soll ich sagen ausgelieferten- Kindern und Jugendlichen umzugehen.

Mit diesem unausgesprochem letzten Wort verlasse ich die frustrierende Szene und fühle mich ziemlich alt.
Die ‚ Sie sollten sich schämen- Nummer‘ ist zwar ausbaufähig und hat durchaus etwas Vergnügliches …. aber die Frage, wie sich mit einer solchen Lehrergeneration etwas in unseren Schulen verbessern und sogar in Richtig Inklusion ändern soll, brennt mir auf der Seele und stimmt mich wenig zuversichtlich.

Zu Hause angekommen treffe ich auf eine vergnügte Teenie.
Wie gut, dass sie nicht mehr täglich denen, die NICHTS verstanden haben, ausgesetzt ist.

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Kekse für Alle!

Wenn ein junger Mensch in der Schule nicht klar kommt liegt es angeblich immer an problematischen Familienverhältnissen. Dazu gehören auch:

  • Eltern aus fernen Ländern ( Ausnahme: Länder in denen man so aussieht und sich kleidet wie wir, mit akademischem Titel oder Reichtum )
  • die immer mehr Menschen treffende Armut ( = ohne Liebe und Fürsorge ?)
  • ein ärztlich diagnostiziertes Handicap
  • sonstige „atypische“ Familienverhältnisse wie Einelternteil-Familie oder Berufstätigkeit beider Elternteile

Ach, wie ich sie liebe, diese Stereotypen!

In Hamburg gibt es das tolle Projekt JEA! von SchlauFox e.V. , hier schon einmal vorgestellt.
Dort werden Kids, die Gefahr laufen den Hauptschulabschluss nicht zu schaffen, 2 Schuljahre lang erfolgreich gecoacht.
Mit traditioneller Nachhilfe hat es kaum was zu tun, auch wenn dort die Fächer Mathe, Deutsch und Englisch geübt werden.

In der kurzen Reportage des NDR über diese Projekt muss leider wieder einmal zum Teil die eingangs erwähnte Begründung für Schulversagen herhalten. (1)

Aus eigener Erfahrung weiß ich:
was JEA leistet, ist 1000 mal mehr als in der Reportage dargestellt und hat vor allem damit zu tun: echtes Interesse am Jugendlichen, nicht nur die Sicht: der/die hält den ‚Klassenzug‘ ( mich, LehrerIn ) auf , Blick auf die Stärken, Geduld und Verständnis.
All das, was es im Schulalltag kaum gibt.

Und es ist bei weitem nicht so, dass dort nur SchülerInnen sitzen, deren Eltern nicht helfen können. Diese Aussage der Lehrperson ( Schulleitung? ) im Film ist kompletter Quatsch und eine Ausrede für LehrerInnen mit Schülerallergie.

Im JEA-Projekt sitzen die Kids, die aus welchem Grund auch immer, nicht in die Normpresse Schule passen. Davon viele, die nicht mit Erpressung, Demütigung und Bestechung zur Mitarbeit zu bewegen sind.
Weder von Lehrern noch Eltern.
Manche Eltern wollen das auch nicht, zu denen ich mich auch zähle.
Viele tolle Kids also!

Wer noch nicht weiß, wohin mit seiner Weihnachtsspende: SchlauFox macht was Gutes draus.

Und weil’s zum Thema passt, noch ein Link zu einem interessantem blogpost von Dr. Martin Winkler auf ADHS-Spektrum . Er macht sich Gedanken darüber, was Schule unseren Kids alles abverlangt und was das alles mit dem vermehrten Abtauchen in virtuelle Welten zu tun hat, vor allem für besonders reizoffene Kids.

Die Frustration beim Kind und seinen Eltern wächst. Die Kinder müssen eine enorme Kraftanstrengung aufbringen (bzw. von ihren Eltern bei den Hausaufgaben bzw. beim Lernen “gesponsert” werden), um überhaupt ein Begreifen und Vermitteln von Lernstoff und ein Spass am Lernen zu entwickeln. Viele Hausaufgaben meines Sohnes (6. Klasse) sind mir schon so unverständlich formuliert, dass ich Kopfschmerzen bekomme.
….. Bei Facebook habe ich sinngemäss den Spruch gelesen, dass Schule eben nicht eine Institution zum Nachweis der eigenen Unzulänglichkeiten und Abwertungen sein darf, sondern eben die Kinder in ihren Möglichkeiten und Entwicklungen fördern soll. Tut sie aber eben gerade nach dem subjektiven Erleben der Schüler und ihrer Eltern immer weniger.

mehr

Die Diskussion dort ist schon voll im Gange….

Leidenschaftlich Widersynnig wünscht allen Leserinnen und Lesern eine schöne Adventszeit. Und allen Kids und Eltern einen hausaufgabenfreien 1. Advent.

(1) leider habe ich den Beitrag  nur als in Facebook öffentlich eingebundenen Link – Anmeldung dort ist aber nicht nötig,  um ihn zu schauen

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Mäuseschritte mit Zwischenstopp

Ausdauer wird früher oder später belohnt. Meist später.
(Wilhelm Busch)

Man glaubt es kaum.
Deutschland hat sich schon einmal getraut, eine von den oberen Schichten beliebte Schulform abzuschaffen. Dahinter verbarg sich die Idee, jedem Kind, unabhängig von der Herkunft, Bildung zu vermitteln – Chancengleichheit als erstrebenswertes Ziel.

Grundschule bis 1919
Bis 1919 gab es die Grundschule, wie wir sie kennen, noch nicht.
Damals waren die unteren vier Jahrgänge der achtjährigen Volksschule angegliedert.
Die Volksschule wurde meist von Kindern aus ärmeren Verhältnissen, bzw. Arbeiterfamilien besucht, da diese nicht die finanziellen Mittel besaßen eine besser ausgestattete Schule, bzw. eine höherbildende Schule, wie das Gymnasium zu besuchen. Kinder aus wohlhabenden Familien besuchten entweder eine private oder staatliche Vorschule, die explizit auf das Gymnasium vorbereitete oder sie hatten aus ständischen und hygienischen Gründen Privatunterricht.
Durch diese Selektion der Schüler unterschiedlichen Standes und Herkunft und damit verbundener Chancenungleichheit entstand die Idee einer Einheitsschulbewegung, die zunächst religiös, dann politisch-ethisch und anschließend national motiviert war und eine achtjährige Einheitsschule forderte.
Befürworter dieser Einheitsschulbewegung waren Pädagogische Fachleute, die eine vier- bis sechsjährige Einheitsschule forderten und die Gegner dieser Bewegung stammten meist aus den Reihen des höheren Schulwesens. Somit entstand aus dieser Diskussion der Begriff Grundschule.

Die Entstehung der Grundschule in der Weimarer Republik
Das Jahr 1920 bildet ein wichtiges Jahr für die Grundschulreform, denn die Grundschule, wie wir sie kennen, erhielt ihre rechtlichen Grundlagen 1919 durch die Weimarer Reichsverfassung, die auf Chancengleichheit plädierte und 1920 durch das Reichsgrundschulgesetz. In der Konferenz zur Einführung des Reichsgrundschulgesetzes einigten sich die Teilnehmer auf eine Grundschuldauer von vier Jahren und die weitestgehende Abschaffung der privaten und öffentlichen Vorschulen.
Im März 1921 wurden die preußischen „Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule“ veröffentlicht und forderten damit eine grundlegende Bildung im Sinne einer harmonischen Entfaltung von Anlagen und Begabungen. Von einer strengen Einteilung in Fächer wurde abgesehen. Die Bildungsinhalte sollten im Gesamtunterricht durch Anschauungsunterricht erlebt und selbstständig erworben werden. Die Lehrinhalte orientierten sich zum einen an der Fassungskraft der Kinder und zum anderen an ihrer Lebensbedeutsamkeit. Quelle

Davon ist man ab.
Politik will nicht oder traut sich nicht. Zu viele Wählerinnen könnten verschreckt werden. Zugehörige der unteren Schichten haben sich längst abgewöhnt, wählen zu gehen, auf die wird von den etablierten Parteien selbst im Wahlkampf nicht mehr geschielt.
Außerdem braucht man ja ( Bildungs) Verlierer damit sich jemand als Gewinner fühlen kann. Und Gewinner – wobei eigentlich – das will doch jeder sein, oder?
Dafür nimmt man auch ein wenig Qual in Kauf.
Ist doch egal, ob das Geld für das Auslandsjahr, den Nachhilfeunterrricht oder was es sonst so braucht, um dazugehörend zu erscheinen, nur gepumpt ist. Die verlorene Kindheit holt man dann eben beim “ Klettern für die Großen“ im örtlichen Indoor-Spielplatz , am Wellness-Weekend und mit der ‚for-ever -a-girl/boy‘ – Mode nach.

Wie nehmen Eltern der verschiedenen sozialen Milieus in Deutschland Schule wahr und wie beeinflussen sie den Bildungserfolg ihrer Kinder ?

Im Auftrag der Konrad- Adenauer- Stiftung e.V. und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist eine qualitative empirische Studie u.a. diesen Fragen nachgegangen, hier die Ergebnisse zusammengefasst von Dr. Brigitte Schuhmann:

Milieuspezifische Reaktionen auf das Gymnasium
Die Studie stellt heraus, dass für Eltern aus den Milieus der „sozialen Mitte“ das Gymnasium alternativlos ist, auch wenn sie G8 heftig kritisieren. Die Hauptschule oder eine Schulform, die aus der Zusammenlegung von Haupt- und Realschule hervorgeht, werden grundsätzlich abgelehnt. Als Gründe werden das schlechte soziale Umfeld und die damit verbundenen schlechteren Bildungs- und Berufschancen der Kinder angegeben.

Bei Eltern der unteren sozialen Milieus spielt das Gymnasium keine Rolle. Schule soll aus ihrer Sicht Grundkenntnisse vermitteln und auf eine praktische Berufsausbildung vorbereiten. Als Eltern von Hauptschülern sind sie besorgt über den Wandel der Hauptschule zu einer „Verliererschule“. Eltern aus dem Milieu der Benachteiligten ist zudem die Abgrenzung von Randgruppen und Schülern nichtdeutscher Herkunft wichtig.

Eltern der Oberschicht und der oberen Mittelschicht bevorzugen für eine umfassende Bildung ihres Kindes die Privatschule. Sie reduzieren den Bildungserfolg ihrer Kinder nicht auf das bloße Erreichen guter Noten. Insbesondere bei den „Performern“, die sich selbst zum dynamischen Milieu der Leistungseliten rechnen, gehört zur Potentialentfaltung des Kindes die Aktivierung von Motivation, Leistungswillen, Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung. mehr

Ich bin froh, dass die Initiative zurück zu G9 an Gymnasien gescheitert ist. Sie würde letztlich eine inklusionsfördernde Schullandschaft verhindern und das jetzige Kasten-Schulsystem festigen.
Unser werter Schulsenator hat gerade verkündet, dass in Stadtteilschulen ( das sind hier diese in der Mittel- und Oberschicht so unbeliebten Lerneinrichtungen für das gemeine Volk ) verstärkt Mathe- und Deutschunterricht angeboten werden soll. hier
Das Niveau soll gehoben werden.
Allerdings wird das, was nun geplant ist, wieder kaum etwas bringen: Kids, die nur wegen ihres sozialen/ethnischen Hintergrundes nicht aufs Gymmi gekommen sind, werden möglicherweise den begehrten Anschluss an dieses Klientel ( und deren Jobs) etwas leichter schaffen. Das freut mich für sie.
Alle anderen werden erst recht die Loser sein.
Es geht ja wieder nur um die Angleichung der Schülerinnen und Schüler nach ‚oben‘ und nicht darum, die persönliche Entwicklung und Potenziale jedes Kindes zu fördern und Freude am Lernen zu wecken und erhalten.
Im Gegenteil: erhöhter Leistungsdruck für alle ist Programm.
Vermutlich sollen die Stadtteilschulen damit ‚aufgewertet‘ werden. Denn es sollen auch mehr Gymnasiallehrkräfte dort zum Einsatz kommen.
Sind das die besseren Pädagogen? Warum sollten sie.

Macht nichts. Die ‚Offensive zur Verbesserung von Mathematik und Deutsch an Stadtteilschulen‘ ist m.E. eine Alibi-Maßnahme , selbst wohlwollend unterstellt, auch Chancengleichheit und Inklusion wären Ziele.
Denn Elim, Furkan, Fatma, Mohammed, Kevin und Chantalle, der kleine autistische Karl, Chaosprinzessin Erna, die an Leukämie erkrankte Susi mit den vielen Fehlzeiten und der kleinwüchsige Otto werden auch zukünftig dort sein.
Und jedes Mittel-und Oberschichtkind, dass sich irgendwie als Gymmi-tauglich erweist, nicht.
Und so ist auch diese Initiative wieder nur ein Baustein zur Zementierung des alten selektiven Kasten-Schulsystems.

Ganz weit weg von einer echten Niveau-Anhebung unseres Bildungssystems. Und doch ist diese unvermeidlich, ihr werdet sehen.

Also lautet der Beschluß:
daß der Mensch was lernen muß.
Nicht allein das A-B-C
bringt den Menschen in die Höh‘.
( Wilhelm Busch)

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Ideen-Klau

Find‘ ich ja toll, dass für meine Idee endlich geworben wird: ein Zeugnis von Eltern für Kinder, indem es nicht um Schulleistungen geht:

Seit Jahren habe ich Teenie das Schulzeugnis mit einem eigenen Jahresrückblick versüßt, nachzulesen hier.

Da will ich mal nicht meckern, sondern mich freuen, wenn auch der Stern diese Idee toll findet : hier.

Was ich mir nicht verkneifen kann, ist eine Bemerkung zur eher schulisch gehaltenen Schlichtheit im Lay-Out: da geht doch noch was, oder?

Teenie braucht das Elternzeugnis übrigens erstmalig nicht mehr.
Sie sieht jetzt selbst sehr gut, was sie alles leistet.

Aber in den alten Urkunden lesen ist immer noch schön, wenn mal ‚ Land unter‘ ist.

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