… im virtuellen Erklärungsnotstand.
Das ungefähr trifft meinen derzeitigen Zustand.
Niemand in meiner Familie ist religiös.
Dennoch treffen islamisch und christlich geprägte Menschen aufeinander.
Verallgemeinernd wird hier ‚ les europaens‘ gespottet und im Gegenzug ‚ die Afrikaner ‚ gestöhnt oder aber beides je nachdem gelobt.
Das geht, weil wir gelernt haben, genau hinzuschauen.
In den letzten 15 Jahren musste ich weitaus häufiger um das Leben meiner Familienmitglieder bangen, die viele tausend Kilometer von uns entfernt leben, als um die hiesigen und mich selbst. Um Geschwister meiner Tochter, die schon als Kleinkinder das Geräusch von Gewehrschüssen hören mussten.
Um ihren Vater, der trotz Bürgerkrieg seine Eltern sehen wollte.
Der Gedanke “ hoffentlich kommt er heil wieder “ ist mir vertraut.
Sorgen bereiteten mir gelegentlich amoklaufender Schüler… man weiß ja nie.
Die soziale Kälte hierzulande, die alle Menschen ausgrenzt, die nicht optimal funktionieren/ anders sind.
Angst vor Terror-Anschlägen kenne ich nicht.
Ich besuche Massenveranstaltungen, fahre U-Bahn und Zug bei gleichbleibend niedrigem Blutdruck.
Auch die gelegentlich aus beruflichem Anlass bedingte räumliche Nähe mit Senatoren, Richtern oder Geschäftsleitungen treibt mir keinen Angstschweiß auf die Stirn.
Die schrecklichen Dinge, die unsere Familie wirklich erschüttert haben, waren den Deutschen Medien kaum eine Zeile wert. Der wirtschaftliche Nutzen ( sprich Ausbeutungsmöglichkeit ) des Landes unser afrikanischen Familienmitglieder ist zu gering.
Klickeritis
Nach dem üblen Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris nimmt die Klickeritis in den sozialen Netzwerken Ausmaße an, die ich mit Sorge betrachte.
Alle sind jetzt für Pressefreiheit.
Bin ich auch. Ich würde es nicht richtig finden, wenn das Axel-Springer Verlagshaus in die Luft flöge, obwohl ich dessen Medienerzeugnisse wirklich gefährlich finde. Ich möchte nicht, das Mütter, Väter, Töchter, Söhne sterben, egal was und wo sie arbeiten. Aber um die Verstorbenen geht es ja bei Charlie Hebdo gar nicht.
Es geht um Höheres ( als das Leben).
Hat eigentlich schon einer gemerkt, dass unsere Presse so frei gar nicht ist?
Überwiegend Übles lesen wir über Länder, die sich vermehrt gegen Neokolonialismus wehren.
Die Zeiten sind vorbei, in denen sich andere Länder einfach ausplündern ließen und damit die Ressource für das hiesige Wirtschaftswunder, Vollbeschäftigung und Co lieferten.
Der Islam ist dafür Synonym geworden. Kaum einer nimmt den Islam noch als Religion wahr, so das Ergebnis einer Untersuchung von Professor Kai Hafez, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt.
hier
Wo sind die Schlagzeilen über die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes in Paris? Was zum Teufel haben die 88000 Einsatzkräfte in Paris geübt oder lautet die Frage eher: gegen wen?
Es ist noch nicht lange her, da wurden ganze Stadtteile in einer deutschen Großstadt anlässlich einiger Hausbesetzungen (!) zur Gefahrenzone erklärt und Menschen wie ich konnten jederzeit ohne Angabe von Gründen verhaftet werden, so sie denn ohne Personalausweis angetroffen wurden.
Meine Eltern sollten in den 70ern glauben, dass sie genauso von Terrorismus bedroht seien wie z.B. Arbeitgeberpräsident Schleier und es hinnehmen, dass ständig bewaffnete Bundespolizisten in unserem Hochhaus – Stadtteil präsent waren. (Haben sie leider, was für ständigen Streit mit ihren halbwüchsigen Kindern sorgte.)
Alles Zufall?
Teilen ist toll!
So lehren wir unsere Kinder, solange es nur um Gummibärchen geht.
Geht es um Bildung, Lebensstandard, ja sogar um ein Leben ohne militärische Intervention, hört der Teilungswille vieler Menschen ganz schnell auf. Deutschland ist Waffenexporteur Nr. 1 und unsere Soldaten entsendet man ins Morgenland.
Hand aufs Herz: wer von euch zählt Menschen aus nicht westlich geprägten Ländern zu seinen engsten Freunden? Kennt sich aus mit deren kulturellen Gepflogenheiten? Steht mit ihnen im intellektuellen und emotionalen Austausch?
Freut sich über die kulturelle Heterogenität in der Schulklasse seines Kindes?
Ach ja, da gibt es ja noch die Möglichkeit den richtigen Klick im sozialen Netzwerk zu machen : so what … wenn die eigene Wohnungstür ( Landesgrenze ) für unchristlich morgenländlichen Nachbarn zu bleibt ?
Natürlich freue ich mich über die vielen Menschen, die öffentlich Position beziehen, aber ein fahler Geschmack bleibt. Entspricht diese Weltoffenheit doch so gar nicht dem, was wir als binationale Familie erleben.
Ich fühle mich gedrängt, mit zu klicken, und doch widerstrebt es mir. Ich mache mich nicht beliebt per Klick, nur weil es gerade angesagt ist.
Ich verwahre mich gegen Sprüche wie “ schweigen = nicht-Klicken “ ist Zustimmung.
Massenhysterie ist mir zudem suspekt.
Ersatzhandlungen wie Lichterketten und Mahnwachen finden ohne mich statt.
Parallel zum Klicken für das Gute gibt es allzu viele, die momentan deutlich kundtun, dass sie das ‚Abendland‘ retten wollen. (Äh…oder wollen das die Charlies auch? Jetzt bin ich verwirrt.)
Die Anschläge in Paris geben diesen Menschen nun Aufwind.
Der mediale Hype über Charlie Hebdo sorgt für eine Relativierung unserer Wahrnehmung von PEGIDA als Gefahr für unsere Gesellschaft.
In Paris demonstrierten die Regierungschefs der EU unter dem Slogan ‚Je sius Charlie‘ in Paris. Was haben die denn noch mit Meinungsvielfalt, Pressefreiheit und Demokratie zu tun? Ich sage nur TTIP und TISA…..
Wenn die Charlie sind, kann ich es schon mal nicht sein.
Je suis … für das Recht auf körperliche und persönliche Unversehrtheit
Je suis … für Meinungs- und Pressefreiheit
Je suis … für eine soziale und gerechte Gesellschaft, die umfassende gesellschaftliche Teilhabe aller ermöglicht
Je suis … für eine integrative Gesellschaft
Je suis … für fairen Handel
Je suis … für politischen Diskurs
Je ne suis pas Charlie.
Ne ne suis pas non plus PEGIDA.
Sich unbeliebt machen
Jede und jeder hat täglich die Möglichkeit, der Verrohung unserer Gesellschaft persönlich entgegen zu treten.
In der Nachbarschaft, dem Arbeitsplatz, der Kita, im öffentlichen Raum.
Wir können Stellung beziehen, wenn über Migranten hergezogen wird.
Über Schwule oder Arme.
Unseren Freundeskreis heterogen denken und leben.
Wer von sich sagt ‚ Je suis Charlie ‚ wird das doch locker hinbekommen, oder?
Klickeritis
Anmerkung: Dieser blog wurde kurz nach dem Anschlag in Paris geschrieben. Ich habe ihn nicht veröffentlicht.
Warum?
Weil man in dieser Diskussion anscheinend nur Charlie oder Terrorist sein kann…
Das erschreckt mich zutiefst.
Und wirft grundsätzliche Fragen auf, wie die von Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe in der Zeit online veröffentlichten Kolumne zeigt:
Befinden wir uns wirklich im „Krieg“ mit dem sogenannten „Islamismus“? Wenn ja: Befinden wir uns auch im Krieg mit dem „Christianismus“? In den offenen Kriegen in Afghanistan und Irak und in den versteckten Kriegen in einem sehr großen – den meisten Deutschen unbekannten – Raum dieser Welt werden seit vielen Jahren Millionen von Menschen in uns unvorstellbarerer Weise ungerecht behandelt. Die Drohnen, die in Afghanistan oder im Irak Familienfeiern und Hochzeiten in Stücke gerissen haben, weil sich – vielleicht, vielleicht aber auch nicht – ein Mitglied von Al-Kaida unter den Gästen befand, sind ja in unserem Namen, für die Verteidigung der von uns definierten Menschenrechte eingesetzt worden. Niemand in Deutschland hat je eine Träne vergossen über die Verzweifelten und sprachlos Überlebenden jener Feiern, die ganz gewiss keine Schuld hatten. Ein Showmaster im Fernsehen zeigte uns dann bei Gelegenheit, wie deutsche Rollstühle und Prothesen den Kindern ohne Beine zu neuem Lebensmut verhelfen. Danke, liebes Publikum! mehr
Wessen Karren ziehen wir da eigentlich?