Ein y für Greta

Zuerst dachte ich: was für ein Medienrummel für eine ganz normale Sache. Denn das ist es doch, wenn sich Jugendliche gesellschaftspolitisch stark engagieren. Und dabei auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen.

Ich dachte auch: da wird jetzt wieder so eine Jugendliche vermarktet, weil die Eltern groß rauskommen wollen oder weil das eben so ist in unserer Gesellschaft. Berühmt werden und ein Star zu sein scheint für viele junge Menschen das Beste vom Besten zu sein. Und für die Eltern, die daran verdienen, ebenfalls. Naja, das ist für viele Jugendliche und ihre Familien mittlerweile auch die einzige Möglichkeit zum sozialen Aufstieg. Irgendwo verständlich, wenn auch nicht toll.

Nun habe ich mich ein wenig mehr mit Greta und der berechtigten  Protestwelle befasst.

Greta hat ein gutes Händchen dafür, wie man Menschen anspricht. Sie bringt die Dinge auf den Punkt, bei denen andere Leute herum eiern. Sie scheut sich nicht, dorthin zu gehen, wo die größten Umwelt-Ignorant*innen sitzen. Damit setzt sie sich massiver Kritik aus.

Es wäre doch viel schöner, wenn sie ihre Fundamentalkritik im stillen Kämmerlein,  meinetwegen auch in einer  Jugendorganisation von sich geben würde. Damit kann man gut umgehen. Dafür sind die Jugendgruppen doch da. Alles grundsätzlich infrage stellen, bis man erwachsen ist. Dann vernünftig werden, einer anständigen Arbeit nachgehen und die Träume von früher vergessen.

Politker*innen würde am besten gefallen, wenn sie das in ihrer parteilichen „Junge- XYZ -Organisation“ tun würde. Dann könnte die jeweilige Partei sie ein bisschen hypen und wenn es gut läuft, damit Wähler*innen-Stimmen holen.

Greta macht sich auch deshalb angreifbar, weil sie zu ihrem Autismus steht. Das hat die Welt noch nicht gesehen: eine junge AutistIN schafft es, unsere „normalen“ Jugendlichen zum Engagement inklusive Regelverstöße zu bewegen.

Irritierend

Also da ist jemand Leitfigur, der normalerweise von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen wird. Das ist doch der Hammer. Da kann doch etwas nicht stimmen. So funktioniert unsere Welt doch gar nicht. Ja liebe Leute, ist schwer zu verstehen in einer Welt, die es so gut geschafft hat, Menschen die anders sind als die meisten, zu separieren.

Und dann ist ja dann noch diese eine Kleinigkeit. Greta fehlt das, was die Mehrheitsgesellschaft  mit diesem Phänomen noch versöhnen könnte.

Wenn schon autistische Fähigkeiten, dann bitte getragen von Männlichkeit. Damit könnten wir noch leben:

  • Ein zerstreuter Junior-Professor (Autist, männlich, hochbegabt)
  • Ein erfolgreicher Jungunternehmer ( Autist , männlich, hochbegabt)
  • Ein kreativer Künstler ( Autist, männlich, hochbegabt)
  • Ein leidenschaftlicher Revoluzzer ( Autist, männlich, hochbegabt)

Das alles passt irgendwie in unser Schema. Wir sagen Einstein Autismus nach, ebenso Steve Jobs, Bill Gates, Mozart und Andy Warhole. Von Steven Spielberg und Vernon L. Smith und Karl Lagerfeld wissen wir es.

Aber wer kennt Dr. Prof. Temple Grandin?  Und die vielen anderen autistischen Frauen mit ihren herausragenden Fähigkeiten?

Provokation

Wir können einen Nelson Mandela toll finden, einen Barak Obama, einen Rudi Dutschke…aber wir schaffen es nicht, herausragende Frauen zu bejubeln. Das passt einfach nicht, wenn es um ernsthafte Themen geht. Mode, Lifestyle, Familie – da sind Frauen die vermeintlichen Expertinnen und erhalten dafür  eine „milde“ Wertschätzung. Mischen sich Frauen in die harten Themen ein, so ist Ihnen eines sicher: Man nimmt ihre (jedem Menschen innewohnende) Widersprüchlichkeit in einer Art und Weise auseinander, wie es keinem im Rampenlicht stehenden Mann dieser Welt bisher widerfahren ist. Alice Schwarzer, Sarah Wagenknecht,  Bundeskanzlerin Merkel ( besonders in ihren ersten Politikerin- Jahren) und Hilary Clinton sind gute Beispiele dafür. Schauen wir etwas weiter zurück, so konnte das auch in unseren Breitengraden lebensverkürzend sein.

Ich bräuchte diesen ganzen Personenkult nicht. Für andere Menschen scheint es wichtig zu sein. Aber dafür kann Greta nichts. Und dass sie sich das für ihre Sache zu Nutze macht, kann ihr ja wohl keiner vorwerfen.  Müsste sie ja nicht, wenn andere Menschen von selbst den Arsch hochkriegen würden.

Gretas unangepasstes Äußeres, Ihre Redegewandtheit, ihr gutes Englisch, ihr Intellekt, ihre Bereitschaft, persönliche Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen – das alles sind reine Provokationen. Und natürlich auch ihre autistische Disposition.

Wäre Greta ein Gretus, so würde vielleicht auch an der Aktionsform herum kritisiert werden. Die ach so vernünftige Eltern-Generation legt großen Wert darauf, dass ihre Schulkinder keinen einzigen Schultag verpassen ( außer wg. Fernreisen mit der Familie). Könnte ja das 1ser-Abitur in 4 Jahren gefährden.

Gretus würde trotz Schulschwänzerei eine brillante Zukunft vorausgesagt werden. Mit Sicherheit hätten ihn einige Headhunter schon im Visier.

Die pubertierenden Bengelchen würden mit den Worten beim chillen gestört werden: nimm dir mal ein Beispiel an Gretus, der macht was aus seinem Leben.

Weil die Akzeptanz von Gretus zwar einiges in Frage stellen würde, aber eines nicht: dass Macht und Einfluss männlich sind. Die Sache mit der Behinderung würde man schon irgendwie kaschieren können. Schäuble fährt ja auch unbehelligt im Geld-und Polit- Adel herum.

Zukunftsweisend

Viele Jugendliche scheinen es begriffen zu haben: dass es nicht darauf ankommt, welches Geschlecht man hat. Dass es nicht darauf ankommt, ob man behindert ist oder nicht. Ob man einen deutschen Pass hat. Hier sind offensichtlich Grenzen, die für die Erwachsenen-Generation noch unüberwindbar sind, aufgeweicht. Na klar, viele machen da mit, weil sie keinen Bock auf Schule haben. Das eine schließt aber das andere nicht aus. Jedoch zum Schuleschwänzen braucht man keine Streiks und keine Demos.

Und werft ihnen nicht immer ihr  Konsumverhalten vor. Von wem haben Sie es denn gelernt? Nase fassen, wie man so schön sagt.

Viele Autisten*innen sind längst nicht mehr bereit, im Hinterhof der Gesellschaft zu leben. Andere Menschen mit Behinderung auch nicht. Gewöhnt euch dran.

Übrigens: eine männliche Form des Namens „Greta“ gibt es nicht.

Teilhabe, die x-te

Seitdem ich für mich beschlossen habe, dass ich mich mit meinem nun in mehr als 2 Jahrzehnten (bewusst)   angesammeltem  Wissen über Neurodiversität nicht in mein stilles Kämmerlein zurückziehen werde ( wonach mir manchmal ist),  sondern auch weiterhin für Inklusion, Teilhabe und ein selbst bestimmtes Leben für alle Menschen aktiv sein möchte, besuche ich wieder öfter  Veranstaltungen zum Thema. Manchmal sind es Fachveranstaltungen, manchmal kulturelle Anlässe.

Schöne Konzepte

Im Rahmen der örtlich gerade stattgefundenen Inklusionswoche wählte ich zunächst die Veranstaltung einer gewerkschaftsnahen Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Betriebe darin zu unterstützen, schwerbehinderte Menschen weiter oder erstmals zu beschäftigen. Konkret ging es um den Einstieg in das Erwerbsleben nach der Schule. Ziel der Veranstaltung war, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Inklusion auch in der Arbeitswelt umgesetzt werden kann. Es wurde ein Pilotprojekt der Berufsorientierung vorgestellt, dann erklärte die Bundesagentur für Arbeit, welche Maßnahmen und Fördermöglichkeiten es gibt.
Im Publikum: interessierte Profis von Maßnahme -Trägern, Berufsschule, Handwerkskammer, Betriebsräten, Schwerbehindertenvertretungen usw.
Ach ja, es gibt wirklich tolle Konzepte. Wie kommt es nur, dass bei den Betroffenen so wenig davon ankommt?
Wer absoluter Neuling auf diesem Gebiet war, hat sicherlich etwas  gelernt. Für alle anderen lag der Nutzen der Veranstaltung wohl eher in der Möglichkeit der Vernetzung. Ist ja schon mal was.

Im Pausengespräch merkbar: fast alle Teilnehmer, die sich hier engagierten, sind durch eigene Betroffenheit oder durch betroffene Familienangehörige zum Thema – auch der beruflichen Vertiefung damit- gekommen. So viel zur Verantwortung ALLER.

Knapp vorbei ist auch daneben

Um Armut und  Behinderung sollte es bei einer weiteren Veranstaltung, zu der eine Bürgerschaftsfraktion eingeladen hatte, gehen. Das Setting: die klassische Podiumsdiskussion. Immerhin waren hier 2 Vertreter von Schwerbehindertenverbänden geladen, ansonsten sich selbst als inklusive Einrichtungen verstehende Träger ( Integrationsfachdienst und Integrationsfirma) sowie ein Sozialverband, der Menschen unterstützt, deren Arbeitsfähigkeit unterhalb der für eine Werkstatt geforderten 3 Stunden täglich liegt. Um es vorweg zu nehmen: Der Vertreter dieser Gruppe war der einzige Podiumsteilnehmer,  der Selbstbestimmung und Würde unabhängig von individueller Leistungsfähigkeit einforderte. Wobei auch ihm klar war, wie utopisch sich so eine Forderung in unserer exklusiven Leistungsgesellschaft – ja, davon redete er- anhört

Zwar wurde in der Einführung zum Thema geschildert, dass Behinderung fast schon ein Garant für Armut ist bzw. zumindest meist die Gefährdung von Armut mit sich bringt. Aber auch dann wieder: Berichte über schöne Konzepte und Möglichkeiten. Kritisch zum Glück die Vertreter der Behindertenverbände, wenngleich sie überwiegend darstellten, dass der Behördendschungel eine der größten Barriere für Teilhabe darstellt und ansonsten die Besonderheiten ihrer jeweiligen Bedarfe schilderten ( Sehen und Hören ).

Auch auticon war mit einem Kurzbeitrag zugegen.

Das Publikum: Interessierte, Eltern, Werkstatt-Beschäftigte. Leider gab es immer nur wenig Zeit für den Austausch. Beschäftigte aus den WfbM kritisierten zu Recht, dass es dort noch nicht einmal den Mindestlohn gibt.

Die Moderation ( oder war es das Konzept?) ließ zu wünschen übrig, denn nach jeder Wortmeldung kam die penetrante Rückfrage, an welchen Podiumsteilnehmer sich die Frage denn richte – auch wenn es gar keine Frage war. Was ich kritisierte, denn ich hatte nicht nur Fragen, sondern Ideen, was denn unsere Landesregierung mal anfassen könne ( ich glaube, die Kernpunkte kann ich schon im Schlaf aufsagen, gebetsmühlenartig…..).

Peinlich: das Thema Armut kam fast gar nicht mehr vor in der Diskussion, falls man den Austausch überhaupt so nennen darf. Ich habe das Unwort trotzdem mehrmals genannt. Denn selbst, wenn ein Behinderter einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt findet, ist das oft ein Job, der im Niedriglohnsektor angesiedelt ist. Muss er dann vllt. Teilzeit arbeiten, muss er aufstocken. Wer in einer WfbM arbeitet, ist sowieso arm.

Kunst und Kultur

Ein Inklusionsfest sollte es sein. Zumindest gab es Kunst zu betrachten, entstanden von und mit Menschen mit Handicap: Malerei, Theater, Musik.
Bestimmt waren die Beiträge gut. Sicher hätte mir einiges Spaß gemacht.
Ausnahmsweise fehlten mir die Menschen ohne Behinderung. Ist ja sonst anders rum.

Die inklusive Welt war exklusiv für sich.
Ich hab es nicht ausgehalten, dort.

 

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Neurodivers durch die NoG20 -Tage

Ganz von allein wache ich heute morgen auf. Irgend etwas ist anders. Ich horche. Ein Bus fährt an. Ein PKW rollt vorbei. Es dauert eine Weile, bis ich kapiere, dass es das Ratta-ratta-ratta-ratta der Militärhubschrauber ist, das fehlt. Kein einziges Lalülala zu hören.
Ein Blick auf die Uhr: schon fast 09:00 h – ungewöhnlich für die letzten Wochen. Teenie erscheint kurz danach auf der Bildfläche, findet diese Ruhe richtig unheimlich.

Grundsätzliches, auch wenn alle nur über Krawall reden

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Kulisse in der leeren Innenstadt – 1 Woche vor dem Gipfel

Ihr werdet es mehr oder weniger in den Medien verfolgt haben: meine Stadt war Gastgeberin des G20, zu dessen politischer Bedeutung sich Gerhard Mersmann in form7 Gedanken  gemacht hat:

Diese Länder haben sich bereits seit 1999 das Recht herausgenommen, außerhalb der Vereinten Nationen über die Probleme dieser Welt zu reden und sie zu lösen. Die Differenzierung wurde vorgenommen, weil dieser G 20, in dem die leidende Seite dieser Welt keine Stimme hat, trefflich über alles redet, aber Probleme gelöst hat er bislang nicht. mehr

Eine Nachbetrachtung mit Blick auf unsere demokratischen Grundrechte nimmt Günter Urabanczyk vor:

Es ist jedenfalls ein Unding, dass wir im Fernsehen Bilder der Mächtigen dieser Welt sehen, ohne dass man zugleich Sprechchöre im Hintergrund hört und Demonstranten und Demonstrantinnen sieht. So kann das in Moskau, Ankara und Riad aussehen, aber nicht in Deutschland. mehr

Dass von Beginn an Deeskalation nicht auf der Agenda stand, wird sehr anschaulich  von Markus Reuter auf netzpolitk.org dargestellt:

Schon vor dem eigentlichen Start des G20-Gipfels zeichnen sich massive Einschränkungen von Grundrechten wie der Versammlungsfreiheit ab. Das Verhalten von Polizei und Behörden verletzt nicht nur Bürgerrechte, sondern läuft einer Deeskalation bei den erwarteten Großprotesten zuwider. Ein Überblick. mehr

Neurodiverses Mitten-Drin-Sein

Wir leben nur einen Straßenzug entfernt des 38 qm großen Gebietes, in dem Hamburger Bürger*innen Grundrechtseinschränkungen zugunsten der G20 Teilnehmer*innen hinnehmen mussten. Unsere Teilnahme war nicht erwünscht, stille Zaungäste sollten wir sein und vor allem nicht zu dicht dran.

Schon Tage vor Beginn des G20 gab es hier kaum eine ruhige Minute. Helikopter, zunächst nur von der Polizei, dann auch die die vom Militär, schwebten über uns.  Leben hinter geschlossenen Fenstern. Durchschlafen war gestern.

Das Straßenbild wechselte von normal zu Polizei-Auto-Korso zu leergefegt.

Kein Treffen mit Freunden, in denen die Frage: „bleiben oder die Stadt verlassen?“  nicht thematisiert wurde.

Je näher der Gipfel rückte, desto präsenter die Staatsmacht. Rund um die Uhr. Beim Einkaufen auf schwerbewaffnete Beamt*innen treffen. Immer wieder diese Helikopter. Das Eintrudeln der Hundertschaften aus anderen Bundesländern in Reisebussen der Polizei, die Ausfahrten der Wasserwerfer und Räumfahrzeuge auf den Straßen der Innenstadt, Sperrgitter -Vorrat am Rande des Fußweges. Unser schwer bewachtes Straßenfest, von dem aus immer wieder mehrere Mannschaftswagen mit Sirene los fuhren um nach 10 Minuten wieder am selben Platz zu parken.
S-Bahn-Fahrten in die Innenstadt, Stacheldraht umzäunt. Bahnhöfe mit herumstehenden, bewaffneten, jungen Polizist*innen.

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Nervosität macht sich breit. Sicherheit strahlt das alles nicht aus. Auch nicht für NTs. Wer aber um ein leichter zu alarmierendes Nervensystem, das Reize nicht mal so eben weg filtern kann, verfügt, ist um etliches angespannter, spürt, hört, sieht und –   nach den Krawallen in unserem Stadtteil-  riecht das  alles viel intensiver. Und keine Ruhe zum

verarbeiten, die Show geht weiter und weiter und weiter.

Obwohl wir gut mit Spannungszuständen und Overload umgehen können: in der Nacht zum Samstag brauchten wir die Unterstützung der ohnehin schon schwer beschäftigten Rettungssanitäter.

Da zieht es mich hin – ich will davon weg

Teenies und mein persönlicher Umgang mit dieser Reizflut kann unterschiedlicher nicht sein.

Obwohl Rheumi mit mir geschimpft hat, lasse ich mir mein Recht auf Protest nicht nehmen. Ich freue mich über die vielen jungen Leute, die sich fantasievoll mit ihrer Zukunft auseinander setzten und ihre Vorstellungen einen gerechten globalen Welt auf die Straße bringen. IMG_0185 (2)Ich staune über die tollen Ideen, die da zusammen gekommen sind, ob getanzt wird, sich mit Lehn beschmiert und durch die Stadt geschlichen, Sitzblockaden errichtet, Joga und was noch alles gemacht wird.

 

Geht ins Netz Leute, da werdet ihr so viel mehr finden als Krawall und Unvernunft.

Ich bin beschämt darüber, dass jungen Menschen das Schlafen im Zelt verwehrt wird und freue mich, wie gut sie damit umgehen. Sehe auch die Hilfsbereitschaft vieler Menschen und Institutionen wie Gemeinden und Theater.

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Soweit es gesundheitlich geht, bin ich dabei. Eine spontane Demo nach einer Lesung in der Musikhalle, selbstverständlich bei der Protestwelle im Vorfeld der Anreise der G20 Teilnehmer und gestern auf der Groß-Demo “ Grenzenlose Solidarität statt G20 „. Immer wieder Polit-Festival – Stimmung, gestört durch die martialisch auftretende Staatsmacht. IMG_2128Warum muss eine Hundertschaft im Gleichschritt quer durch sommerlich gekleidete und sich auf der Straße ausruhende Demonstrant*innen joggen und sich mittendrin positionieren? Dort 10 Minuten drohend  stehen, bevor es „Abmarsch“ heißt, ohne dass eine Gefahrenlage erkennbar war oder eingetreten wäre? So wiederholt geschehen. Das verunsichert und heizt die Stimmung auf.
Das ist das Gegenteil von Deeskalation.
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Etwas in mir schreit nach Ruhe und abschalten, aber es zieht mich dennoch hin zu allem, was aktiv ist. Letzteres  ist meiner politischen Einstellung geschuldet, aber auch meiner neurologischen Formatierung. Ich bin innerlich aufgeputscht.

Bei Teenie zu Hause das Gegenteil.
Hohe Anspannung aufgrund der extremen Lärmverschmutzung durch Helikopter und Sirenen und der sicht-und spürbaren Veränderung unseres Alltags. Busse werden umgeleitet, das Stadtbild ist verfremdet. Die Folge sind Gereiztheit, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen; insgesamt ein Gefühl von Orientierungslosigkeit.
Nur zu Hause scheint es relativ sicher.
Vom Fenstersims aus Action Film und friedlichen Protest schauen.

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Blick aus Fenster G20

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Und so baut sich nach und nach der erste Overload auf, dank Entspannungs-und Selbststeuerungstechniken können wir immer wieder den großen Ausbruch verhindern.
Allein zu Hause sein ist kein gutes Gefühl mehr und so arrangieren wir uns mit meinem Wunsch, dabei zu sein und Teenies Schutzbedürfnis.

Als wir dann Freitag vom Lärm mehrerer Militärhelikopter, Leuchtkugeln, Polizeisirenen und aufsteigendem Rauch aus den Nachbarstrassen geweckt werden, steigt die Anspannung mehr und mehr. Und entlädt sich immer wieder in schockartigen Zusammenbrüchen.

Bittere Bilanz

Es sind anstrengende Tage und Nächte.
Wir erleben, dass es völlig egal ist, ob und wie Menschen von einem solchen Polizei-Aufgebot eingeschränkt und belastet werden, mal abgesehen von der politischen Bewertung der ganzen Veranstaltung.
Viele unserer Freund*innen waren immer wieder bei den unterschiedlichsten Protesten dabei und wir bekamen von zu Hause aus mit, was die Medien nicht zeigten.  Eine Freundin schrieb von der (seit Monaten herbeigeredet) berüchtigten Demo „welcome to hell“:
„Ich  bin erschüttert, wie diese fröhliche Veranstaltung kriminalisiert wurde. Die Polizei hat einfach die Straße blockiert. Später ist sie mit Wasserwerfern in die Demomenge, dort wo keine Vermummten waren. Die Demo wurde verarscht. Ich fahre jetzt nach Hause.“
Wie ich sie kenne, im Sommerkleid.

Politisch war dieser G20 eine Null-Nummer, was zu erwarten war.
Er hat nicht zu einer gerechteren Welt beigetragen.
Die Rechnung zahlen wir (wie immer).

Er  kostete uns Nerven und fügte unserer Demokratie Schaden zu.
Man darf sich fragen, ob hier nicht nur eine Exklusive-Polit-Show vor wem auch immer gesichert wurde, sondern ob es sich nicht gleichwohl um eine Real-Life-Übung der Sicherheitskräfte für Auseinandersetzungen ganz anderer Größenordnung gehandelt hat. Bei den Krawallen  Freitag Nacht hat die Polizei so lange mit dem Einschreiten gewartet, bis Anwohner*innen sich gegen Randalierer*innen gewehrt haben. Erst dann wurde geräumt. Auch in unserem Land geht die Schere zwischen Arm und Reich mehr und mehr auseinander.
Nachdenken.
Nicht nur für Teenie politische Bildung konkret.

Dank und Wünsche

Bedanken möchte ich mich bei allen Freund*innen und Bekannten, die uns in diesen heftigen Tagen unterstützt haben. Ihr habt uns mit Infos versorgt, weil wir selbst nicht dabei sein konnten und ward hier, damit ich draußen sein konnte. Ganz besonders geholfen hat Teenie der Tag auf dem Land – weitab von all dem Getöse. Mir hat er zudem die Gelegenheit verschafft, mich mit meiner angereisten Familie dem Protest gegen G20 auf der Straße anzuschließen.

Den jungen Menschen, die noch immer politische Ansprüche haben und deren Ziel eine bessere Welt ist, aber keine andere Möglichkeit sehen, als Randale zu machen, wünsche  ich Entwicklung und Einsicht.
Denjenigen, die sich vorschnell von allem distanzierten, das der Obrigkeit nicht gefällt  und lieber auf deren Demo (Hamburg zeigt Haltung)  mitliefen – und dann noch die Krawalle und nicht die Zukunft unseres Planeten in den Fokus rückten- mehr Mumm und Durchblick.

Menschen, die uns in den Rücken fallen, nur um ihre Aggressionen  loszuwerden, wünsche ich nix.

Wir, die Eltern dieser Generation mit unklarer Zukunft, sollten uns mal fragen, was Teile dieser dazu bringt, rücksichtslos Stadtteile zu zerstören.  Letzte Nacht in Hamburg – die im Bündnis organisierten politischen Aktionen waren alle vorbei – mischte sich der unpolitische Demo-Mob mit abenteuerlustigen Party-Touristen. Eine Saturday-Night der besonderen Art.  Wie viele davon fahren jetzt nach Hause in ihre wohlbehüteten Vororte zurück in ihr bürgerliches, leistungsorientiertes Leben?

Teenie und ich ruhen uns heute aus, jede auf ihre Weise.
Rheumi darf jammern.
Dieses Mal fand das elitäre Treiben bei uns statt. Die Politiker*innen bei euch sind sicherlich nicht weniger rücksichtlos als hier. Im Zweifel werden unsere Interessen untergeordnet.
Passt auf euch auf.
Und mischt euch ein, so lange es noch geht und so wie es für euch geht.
Nicht jede/r hält eine Demo aus. Aber jede/r kann irgend etwas zur Veränderung beitragen.

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Banner des Thalia Theaters

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Je suis….

… im virtuellen Erklärungsnotstand.

Das ungefähr trifft meinen derzeitigen Zustand.

Niemand in meiner Familie ist religiös.
Dennoch treffen islamisch und christlich geprägte Menschen aufeinander.
Verallgemeinernd wird hier ‚ les europaens‘ gespottet und im Gegenzug ‚ die Afrikaner ‚ gestöhnt oder aber beides je nachdem gelobt.
Das geht, weil wir gelernt haben, genau hinzuschauen.

In den letzten 15 Jahren musste ich weitaus häufiger um das Leben meiner Familienmitglieder bangen, die viele tausend Kilometer von uns entfernt leben, als um die hiesigen und mich selbst. Um Geschwister meiner Tochter, die schon als Kleinkinder das Geräusch von Gewehrschüssen hören mussten.
Um ihren Vater, der trotz Bürgerkrieg seine Eltern sehen wollte.
Der Gedanke “ hoffentlich kommt er heil wieder “ ist mir vertraut.

Sorgen bereiteten mir gelegentlich amoklaufender Schüler… man weiß ja nie.
Die soziale Kälte hierzulande, die alle Menschen ausgrenzt, die nicht optimal funktionieren/ anders sind.

Angst vor Terror-Anschlägen kenne ich nicht.
Ich besuche Massenveranstaltungen, fahre U-Bahn und Zug bei gleichbleibend niedrigem Blutdruck.
Auch die gelegentlich aus beruflichem Anlass bedingte räumliche Nähe mit Senatoren, Richtern oder Geschäftsleitungen treibt mir keinen Angstschweiß auf die Stirn.

Die schrecklichen Dinge, die unsere Familie wirklich erschüttert haben, waren den Deutschen Medien kaum eine Zeile wert. Der wirtschaftliche Nutzen ( sprich Ausbeutungsmöglichkeit ) des Landes unser afrikanischen Familienmitglieder ist zu gering.

Klickeritis

Nach dem üblen Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris nimmt die Klickeritis in den sozialen Netzwerken Ausmaße an, die ich mit Sorge betrachte.
Alle sind jetzt für Pressefreiheit.
Bin ich auch. Ich würde es nicht richtig finden, wenn das Axel-Springer Verlagshaus in die Luft flöge, obwohl ich dessen Medienerzeugnisse wirklich gefährlich finde. Ich möchte nicht, das Mütter, Väter, Töchter, Söhne sterben, egal was und wo sie arbeiten. Aber um die Verstorbenen geht es ja bei Charlie Hebdo gar nicht.
Es geht um Höheres ( als das Leben).

Hat eigentlich schon einer gemerkt, dass unsere Presse so frei gar nicht ist?
Überwiegend Übles lesen wir über Länder, die sich vermehrt gegen Neokolonialismus wehren.
Die Zeiten sind vorbei, in denen sich andere Länder einfach ausplündern ließen und damit die Ressource für das hiesige Wirtschaftswunder, Vollbeschäftigung und Co lieferten.
Der Islam ist dafür Synonym geworden. Kaum einer nimmt den Islam noch als Religion wahr, so das Ergebnis einer Untersuchung von Professor Kai Hafez, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt.
hier

Wo sind die Schlagzeilen über die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes in Paris? Was zum Teufel haben die 88000 Einsatzkräfte in Paris geübt oder lautet die Frage eher: gegen wen?
Es ist noch nicht lange her, da wurden ganze Stadtteile in einer deutschen Großstadt anlässlich einiger Hausbesetzungen (!) zur Gefahrenzone erklärt und Menschen wie ich konnten jederzeit ohne Angabe von Gründen verhaftet werden, so sie denn ohne Personalausweis angetroffen wurden.
Meine Eltern sollten in den 70ern glauben, dass sie genauso von Terrorismus bedroht seien wie z.B. Arbeitgeberpräsident Schleier und es hinnehmen, dass ständig bewaffnete Bundespolizisten in unserem Hochhaus – Stadtteil präsent waren. (Haben sie leider, was für ständigen Streit mit ihren halbwüchsigen Kindern sorgte.)
Alles Zufall?

Teilen ist toll!

So lehren wir unsere Kinder, solange es nur um Gummibärchen geht.
Geht es um Bildung, Lebensstandard, ja sogar um ein Leben ohne militärische Intervention, hört der Teilungswille vieler Menschen ganz schnell auf. Deutschland ist Waffenexporteur Nr. 1 und unsere Soldaten entsendet man ins Morgenland.

Hand aufs Herz: wer von euch zählt Menschen aus nicht westlich geprägten Ländern zu seinen engsten Freunden? Kennt sich aus mit deren kulturellen Gepflogenheiten? Steht mit ihnen im intellektuellen und emotionalen Austausch?
Freut sich über die kulturelle Heterogenität in der Schulklasse seines Kindes?

Ach ja, da gibt es ja noch die Möglichkeit den richtigen Klick im sozialen Netzwerk zu machen : so what … wenn die eigene Wohnungstür ( Landesgrenze ) für unchristlich morgenländlichen Nachbarn zu bleibt ?
Natürlich freue ich mich über die vielen Menschen, die öffentlich Position beziehen, aber ein fahler Geschmack bleibt. Entspricht diese Weltoffenheit doch so gar nicht dem, was wir als binationale Familie erleben.
Ich fühle mich gedrängt, mit zu klicken, und doch widerstrebt es mir. Ich mache mich nicht beliebt per Klick, nur weil es gerade angesagt ist.
Ich verwahre mich gegen Sprüche wie “ schweigen = nicht-Klicken “ ist Zustimmung.
Massenhysterie ist mir zudem suspekt.
Ersatzhandlungen wie Lichterketten und Mahnwachen finden ohne mich statt.

Parallel zum Klicken für das Gute gibt es allzu viele, die momentan deutlich kundtun, dass sie das ‚Abendland‘ retten wollen. (Äh…oder wollen das die Charlies auch? Jetzt bin ich verwirrt.)
Die Anschläge in Paris geben diesen Menschen nun Aufwind.
Der mediale Hype über Charlie Hebdo sorgt für eine Relativierung unserer Wahrnehmung von PEGIDA als Gefahr für unsere Gesellschaft.

In Paris demonstrierten die Regierungschefs der EU unter dem Slogan ‚Je sius Charlie‘ in Paris. Was haben die denn noch mit Meinungsvielfalt, Pressefreiheit und Demokratie zu tun? Ich sage nur TTIP und TISA…..
Wenn die Charlie sind, kann ich es schon mal nicht sein.

Je suis … für das Recht auf körperliche und persönliche Unversehrtheit
Je suis … für Meinungs- und Pressefreiheit
Je suis … für eine soziale und gerechte Gesellschaft, die umfassende gesellschaftliche Teilhabe aller ermöglicht
Je suis … für eine integrative Gesellschaft
Je suis … für fairen Handel
Je suis … für politischen Diskurs

Je ne suis pas Charlie.
Ne ne suis pas non plus PEGIDA.

Sich unbeliebt machen

Jede und jeder hat täglich die Möglichkeit, der Verrohung unserer Gesellschaft persönlich entgegen zu treten.
In der Nachbarschaft, dem Arbeitsplatz, der Kita, im öffentlichen Raum.
Wir können Stellung beziehen, wenn über Migranten hergezogen wird.
Über Schwule oder Arme.
Unseren Freundeskreis heterogen denken und leben.

Wer von sich sagt ‚ Je suis Charlie ‚ wird das doch locker hinbekommen, oder?

Klickeritis

Anmerkung: Dieser blog wurde kurz nach dem Anschlag in Paris geschrieben. Ich habe ihn nicht veröffentlicht.
Warum?
Weil man in dieser Diskussion anscheinend nur Charlie oder Terrorist sein kann…

Das erschreckt mich zutiefst.

Und wirft grundsätzliche Fragen auf, wie die von Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe in der Zeit online veröffentlichten Kolumne zeigt:

Befinden wir uns wirklich im „Krieg“ mit dem sogenannten „Islamismus“? Wenn ja: Befinden wir uns auch im Krieg mit dem „Christianismus“? In den offenen Kriegen in Afghanistan und Irak und in den versteckten Kriegen in einem sehr großen – den meisten Deutschen unbekannten – Raum dieser Welt werden seit vielen Jahren Millionen von Menschen in uns unvorstellbarerer Weise ungerecht behandelt. Die Drohnen, die in Afghanistan oder im Irak Familienfeiern und Hochzeiten in Stücke gerissen haben, weil sich – vielleicht, vielleicht aber auch nicht – ein Mitglied von Al-Kaida unter den Gästen befand, sind ja in unserem Namen, für die Verteidigung der von uns definierten Menschenrechte eingesetzt worden. Niemand in Deutschland hat je eine Träne vergossen über die Verzweifelten und sprachlos Überlebenden jener Feiern, die ganz gewiss keine Schuld hatten. Ein Showmaster im Fernsehen zeigte uns dann bei Gelegenheit, wie deutsche Rollstühle und Prothesen den Kindern ohne Beine zu neuem Lebensmut verhelfen. Danke, liebes Publikum! mehr

Wessen Karren ziehen wir da eigentlich?

Geht’s noch?

In Nienburg müssen sich Schüler aus Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften vorm Jobcenter rechtfertigen, wenn sie nach ihrem 15. Geburtstag weiterhin zur Schule gehen wollen. Die sogenannte Verfolgungsbetreuung, die ab diesem Alter greift, beinhaltet Einladungen zu Terminen mit Rechtsfolgenbelehrungen, die bei Nichteinhaltung Sanktionen gegen die Minderjährigen zur Folge haben können. Die Zeitung „Junge Welt“ (jW) berichtet über einen aktuellen Fall, in dem zwei Brüder, deren Eltern mit Hartz IV aufstocken, massiv vom Nienburger Jobcenter unter Druck gesetzt, weil sie weiterhin zur Schule gehen wollen.
Quelle

Soviel zum Thema Chancengleichheit.
Da klingen die Sonntagsreden der Politiker_innen über die Erhöhung der Bildungsmöglichkeiten benachteiligter Kinder doch ganz anders.

Manchmal ist es echt schwer, nicht zynisch zu werden.

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Hilf dir selbst….

….dann hilft dir Gott.

Die zentrale Lebensweisheit meiner Großmutter.
Nach 2 Weltkriegen und anderen schwierigen Lebenslagen war das ihr Überlebensmotto, welches sie an mich weitergab.
Nicht das Schlechteste, wie ich finde.

Hat aber auch eine Kehrseite.
Unser Sozialstaat ( oder das, was davon übrig ist) , hilft denen, die es nicht mit eigener Kraft schaffen.
Ein Prinzip, das ich unterstütze.

Aber dann fängt die Krux schon an.
Wieviel Kraft muss der/die Einzelne haben, bevor er/sie Unterstützung bekommt?
Ich schaue mich mal um:

Elternini.
Hier treffen sich Eltern ( meist Mütter) die autistische Kinder haben. Die meisten leben in Partnerschaft und der weibliche Elternteil hat seine Berufstätigkeit an den Nagel gehängt , drastisch runter gefahren oder sich dahingehend umorientiert, dass die Tätigkeit dennoch bei gleichzeitiger Betreuung ( die oft Anwesenheit bedeutet) möglich ist.
Alleinerziehende schaffen es kaum, regelmäßig dabei zu sein.
Hilfe von außen steht und fällt mit einer Diagnose des Kindes.
Rechtsstreitigkeiten um Schulbegleiter und Familienhilfe sind an der Tagesordnung.
Muss ich erwähnen, dass sich hier eher gut situierte, informierte und organisierte Menschen treffen?
Depressionen/ Burn Out sind diesen Familien nicht fremd.

Ärzte.
Ihnen fällt schon mal auf, dass die Eltern ( Mütter ) Entlastung bräuchten. Vielleicht verschreiben sie eine Mutter- und Kind Kur.
Sie geben Tips wie: machen sie mal was schönes für sich usw.
Manche schreiben wenigstens mal für eine Woche krank.
Ansonsten: die meisten haben einfach keine Ahnung, wo und wie die Betroffenen Hilfe bekommen können.
Über Vernetzung viel wird gesprochen….aber vielleicht sind damit nur Twitter & Co gemeint.

Beratungsstellen.
Die erste Frage lautet: gibt es einen Schwerbehindertenausweis?
Wenn nein, dann Pech.
Hat man sein Kind unter Aufbietung aller Kräfte , oft unter Missachtung der eigenen Ressourcen, dahin gebracht, dass es ohne Schulbegleiter auskommt, einen Schulabschluss hat, sich relativ selbstständig und sicher in der Welt bewegt, hat man selber Schuld.
Dass eben diese Funktionsfähigkeit nach wie vor davon abhängt, dass es eine immer noch intensive Unterstützung aus der Familie gibt, ist egal.
Was ist das denn: Ein Schwerbehindertenausweis für das Kind, wenn die Mutter/Familie Unterstützung/Entlastung braucht?
Davon ganz abgesehen, dass man den nicht hinterher geschmissen bekommt. Bei nicht sichtbaren “ Behinderungen“ kann es einem durchaus passieren, dass 3 Ärzte 4 Diagnosen stellen oder dem Sozialträger später dennoch gar nichts auffällt.
So ähnlich wie bei Opi, bei dem auch immer alles klappt, wenn der medizinische Dienst eine Pflegestufe feststellen soll.
Die Rechnung ohne den/ die Jugendliche_n sollte man schon gar nicht machen.
Es ist ihr/sein Leben.

Stiftungen, und Vereine.
Versuchen oft, diese Lücke zu füllen. Aber in Zeiten knapper Kassen kann da eher mal ein Laptop spendiert, als ein Mensch organisiert werden, der sich regelmäßig mit dem/ der Jugendlichen trifft und die Dinge macht, die andere Jugendliche in einer Peergroup erleben: Gespräche übers Leben, Perspektiven, Wünsche und Träume, Hobbys nachgehen oder einfach nur mal rumhängen und quatschen.
Rar sind die Möglichkeiten für Jugendliche über 14; das hängt wohl davon ab, aus welchem Topf die Zuwendungen für diese Vereine gespeist werden.
So werden ältere Jugendliche dann in dieser besonders wichtigen Zeit der Orientierung/ Weichenstellung im Übergang von Schule und Beruf auf sich allein zurück geworfen.
Oder auf Lehrer ( wie unspannend ) und Eltern ( wie nervig ).
Ältere Geschwister sind ebenfalls kein Segen…häufig viel zu nah dran.

Jugendzentren, offene Jugendarbeit.
Existiert kaum noch. Wenn, dann eingebunden in die Ganztagsschulen.
Wenn die Kids frei haben, haben sie oft geschlossen .
Jugendliche Steppenwölfe verirren sich dort eher selten hin.

Vergiss alles, was du über Prävention weißt.

Nüchterne Erkenntnis ( nicht neu, sondern wieder einmal bestätigt):
Solange du nicht (wieder) ernsthaft krank bist, dein Kind nicht offensichtlich an fast allem scheitert, du nicht arbeitslos bist oder Hartz 4 beziehst, und sei es nur als Aufstocker, mach weiter wie bisher.
Belästige unsere Gesellschaft nicht.
Die ist für dich da, wenn du verarmt bist, nicht mehr Arbeiten kannst und auch dein Kind gar nicht mehr auffangen kannst.
Sie zahlt dann deine langwierigen Behandlungskosten, übernimmt Transferleistungen und für dein Kind die Kosten in einer Jugendwohnung.
Bitte, komme uniformiert in die Beratungsstelle / Arzt/ Jugendamt.
Oder stell dich doof.
Gebe dich ohnmächtig.
Geh‘ in Jogginghose hin.
Bringe „um Himmels willen“ unser Bild von hilfsbedürftigen Menschen nicht durcheinander.

Vielleicht wirst du dann geholfen.

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Alternativen:
1. gewinne im Lotto
2. such dir einen alten, reichen Mann
3. Banküberfall ….ach nee, das klappt nicht.
4. Gesellschaftspolitisches Engagement: hilft nicht sofort aber wenigstens bist du nicht nur Opfer

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Ach Michel……

Unheimliche Nähe

Nur rund 300 m von meinem Wohnhaus entfernt wurden gestern vor 80 Jahren – am 1. August 1933 – vier junge Männer von den Nazis mit dem Handbeil hingerichtet:
Bruno Tesch (20)
Walter Möller (28)
Karl Wolff (33)
August Lüttgens (35)
Allein der Gedanke daran lässt mich schlucken, beklemmt mich.
So nah.

Vorangegangen war der legendäre Altonaer Blutsonntag im Juni 1932.

Am 17. Juli 1932 marschierten 7000 SA- und SS-Männer uniformiert und teilweise bewaffnet durch Ottensen und Bahrenfeld in Richtung Altona. Starke Polizeikräfte schützten den Aufmarsch. Dieser öffentlich angekündigte Propagandamarsch stellte eine gezielte Provokation im bekanntermaßen „roten Altona“ dar, Angriffe und gewalttätige Zwischenfälle waren zu erwarten. Die Anhänger der Kommunisten und der „Antifaschistischen Aktion“ hatten Widerstand angekündigt und Häuserschutzstaffeln gebildet.
mehr
, auch zu den Hinrichtungsopfern

Der Stadtteil, in dem ich lebe, war bekannt dafür, dass die Nazis hier schlechte Karten hatten. Gut organisierte Arbeiter_innen stellten sich den Nazis entgegen. Träumten von einer anderen Welt als dem Tausendjährigen Reich. Und kämpften dagegen.
Abruzzen nannten die Nazis ihn. Als Synonym für eine Gegend, in der in ihrer rassistischen Denkweise „Pack“ lebt.
Stolperviertel – so heißt es heute im Polizeijargon. Weil hier so viele Migranten und Arme leben, eine Gegend also, in der Polizeieinsätze nicht mit Samthandschuhen gefahren werden. Erst kürzlich gab es wieder polizeiliche Übergriffe, bei denen verdächtig (arm, dunkel, anders) aussehende Jugendliche einfach mal so eben unsanft kontrolliert wurden. Und eine Demo als Reaktion darauf. Mehr Info dazu hier

Vielleicht ein Grund dafür, dass gestern viele junge Menschen an der jährlichen Gedenkveranstaltung der VVN – Bund der Antifaschisten teil nahmen.

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Firma Neupack. Ein 8monatiger Streik, der durch die Medien ging.
Murat Günes, vor Jahren noch als “ Türkenbetriebsrat “ beschimpft, heute angesehener Betriebsratsvorsitzender.
Er erzählt, wie türkische und deutsche Kollegen sich gemeinsam zur Wehr gesetzt haben.
Was alles möglich ist, wenn rassistische Vorurteile nicht im Weg stehen.
Dass auch heute Solidarität nötig ist, um erfolgreich zu sein.
Noch ist das letzte Wort bei Neupack nicht gesprochen, Kollegen sind noch immer vom Arbeitsplatzverlust bedroht, bei Günes selbst wird darüber sogar ein Strafgericht entscheiden.

Bis zuletzt war der Knackpunkt in den Verhandlungen bei Neupack eine sogenannte Maßregelungsklausel, durch die sich der Joghurtbecher-Hersteller verpflichtet, auf Sanktionen gegen die am Streik beteiligten Mitarbeiter zu verzichten – unter anderem auf die Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden Murat Günes. Neupack hat angekündigt, zwar grundsätzlich auf arbeitsrechtliche Maßnahmen zu verzichten. Ausgenommen davon seien jedoch Fälle, in denen schon Strafverfahren laufen. So wird letztlich ein straf- und kein arbeitsrechtlicher Beschluss darüber entscheiden, ob Günes seine Stelle behält. Er soll einen Vorgesetzten an der Streikpostenkette geschubst und eingesetzte Leiharbeiter genötigt haben. Beschäftigte bestreiten dies.
Unklar ist bisher auch, was mit den Dutzenden nun überzähligen Beschäftigten passiert. Denn Neupack hatte nach Streikbeginn am 1. November vorigen Jahres bis zu 60 polnische Leiharbeiter als Streikbrecher eingesetzt, die aus arbeitsrechtlichen Gründen im Verlauf des Konfliktes befristet zum Teil bis 2014 eingestellt wurden.
Beobachter rechnen deswegen damit, dass sich die Lage bei Neupack so schnell noch nicht beruhigt. Weil die Inhaberfamilie Krüger sich geweigert hat, einen Tarifvertrag abzuschließen, ist die Belegschaft an keine Friedenspflicht gebunden, kann also jederzeit wieder streiken.
Quelle

Hamburg, das Tor zur Welt.
In dem zur Zeit eine Gruppe libyscher Kriegsflüchtlinge, Lampedusa, auf der Strasse lebt und darauf hofft, hier in Sicherheit bleiben zu dürfen.
Auch sie brauchen Unterstützung in einer Welt des Tötens, Ab- und Ausgrenzens.
Sie erfahren von offizieller Seite eher Ablehnung, Freundlichkeit und Offenheit hingegen von vielen hamburger Bürger_innen.

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OneStepAhead – jugendliche/ junge Rapper aus einem sogenannten Problemviertel haben sich mit den vergangenen und aktuellen Diskriminierungen, letztere zu oft selbst erlebt , auseinandergesetzt und einen coolen track über Bruno Tesch geschaffen ( demnächst hoffentlich auf yt).

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Diese Kids sind Klasse, talentiert und politisch bewußt.
Ihnen wünsche ich sehr, dass sie, auch falls ihr Haus der Jugend nun samt den Probenräumen und Technik umziehen muss, um dem Neubau einer Schule zu weichen, Ort, Mittel und Unterstützung für den eingeschlagenen kreativen Weg finden.

Mehr Menschlichkeit wollen die jungen Rapper, davon handeln ihre tracks und dafür engagieren sie sich.
Bruno Tesch war kaum älter als sie und musste bitter und auf unmenschliche Weise für sein Engagement zahlen.

Briefe der 4 Hinrichtungsopfer an Eltern und Freundinnen , verlesen von jungen Gewerkschafter _innen gaben einen ganz persönlichen Eindruck vom Geschehen vor 80 Jahren.
Da war es dann wieder, das Beklemmungsgefühl, nicht nur bei mir.

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Und so kam es, dass ich gestern, quasi beim Einkaufsbummel, die gute alte Internationale sang, sozusagen „light“, nur eine halbe Strophe….viele hatten vorher den angebotenen Text genommen.
Aber niemand fand es komisch, peinlich oder aufgesetzt.

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PS: erst am 13. November 1992 hob das Hamburger Landgericht die auf zweifelhaften Zeugenaussagen und manipulierten Beweisstücken beruhenden Urteile auf und rehabilitierte die Hingerichteten.

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Der Himmel flippt aus!

Unübersehbar weht die gute Botschaft von Hamburgs Rathaus.

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Soviel du brauchst.
Stolze 7,5 Mio € spendiert die Stadt Hamburg den Gläubigen für diese schöne mehrtägige Party.

Ich finde es gut, ehrlich, wenn so viele Menschen an einen Ort zusammenkommen um sich über Arm und Reich, Globalisierung, Umweltzerstörung und Verantwortung auszutauschen.

Wenn Menschen kostenlos mit gutem Trinkwasser versorgt werden, hier und anderswo.

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Ein gutes ÖPVN und Mietfahrräder die Umwelt schonen und es für viele eine Koje quasi für lau incl.. Frühstück in hamburger Familien gibt.

Das nenn‘ ich mal Nächstenliebe.

Um es noch einmal zu betonen: ich finde es absolut richtig und geboten, wenn der Staat das Steuersäckel öffnet um die vielen caritativen Aufgaben unseres Lebens damit zu beschicken. Auch Veranstaltungen, bei denen über den Weg, den unsere Gesellschaft nehmen soll, gestritten wird, damit sponsert.

Nicht aber, dass er das Geld an einen tendenziösen Dritten, dem ich vor Jahrzehnten meine finanzielle Unterstützung – amtlich und gegen Gebühr – entzogen habe, weitergibt.

Und gleichzeitig

….Streichungen bei Stadtteilprojekten der Kinder- und Jugendarbeit um 3,5 Millionen Euro sowie weitere zehn Millionen Euro Einsparung bei Zuwendungen für Kinder-Kuren, Integrations-Projekte und Sportvereine….. Quelle

vornimmt.

Schon mal versucht, öffentliche Mittel für eine Veranstaltung z.B. deiner SHG oder Stadtteilinitiative zu bekommen?

Soviel du brauchst – für hamburgs Berber gilt das nicht. Die sind aus dem schönen Stadtbild zur Zeit verschwunden.
Lediglich ein alternativer Stadtbummel und eine große begehbare Bretterbude zeugen von ihrer Existenz.

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Besucherquote?

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Soviel du brauchst – hamburgs Einzelhandel weiss, was angesagt ist. Warteschlangen an den Kassen einschlägiger Trendshops wie in der Vorweihnachtszeit. Kann ich schon verstehen, wenn man schon mal hier ist. Und so günstig untergekommen ist….

Besorgungen haben mich in das blaue Treiben geführt …

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… und ich nutze die Gelegenheit, mich ein wenig umzuschauen und zu hören.

Es ist durchaus nicht alles weltlich, was da diskutiert wird.
Ein Mann erzählt, wie ihn Gott aus seinem Burn-Out geführt hat, seitdem der nicht mehr nur an ihn glaubt, sondern ihm glaubt. Sprach‘ s von der großen Bühne auf dem Rathausplatz.

Amen.

Angst darf ebenfalls nicht fehlen.
Bist du bereit, deinem Schöpfer zu begegnen?
Ja ja, die Hure Babylon….Bücher gibt es hier kostenlos. Ob‘ s hilft?

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Posaunenchöre, Glockengeläut, Lieder zum Gitarrenklang – eine Klangkulisse die bei mir irgendwie nicht für einen verklärten Blick sorgt.

Aber das Beste zum Schluss: ein durchaus wortgewandter Redner, nicht mehr jung, noch nicht alt , empört sich laut im „Jugendjargon“ über die Ungerechtigkeit der Welt :

Der Himmel flippt aus!

yo man….
klar, ey
das jüngste Gericht, yeah…
check digger,
mach ma
jez auf Gutmensch,
yo – ey ey ey ey

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Wir ham’s ja…

Kulturfest in einer Stadtteilschule.
Wahlpflicht – und Neigungskurse der Klassen 5-13 aus den Bereichen darstellendes Spiel, Musik, Tanz , Modesdesign und Kunst präsentieren ihre Jahresergebnisse.
Mit professioneller Unterstützung zweier Theater und gesponsert vom Senat als Schule mit kulturellem Schwerpunkt darf man durchaus gespannt sein.

Eintritt auch für Eltern 3 €.
Kultur kostet eben.
Von den jungen Künstlern keine Spur. Noch ist die Aula zu.
In der Pausenhalle haben die Kunstkurse ausgestellt.

Das Publikum: gewöhnlich.
Hier sieht man weder Business- Look noch Szene-Öko-Fummel.
Die besser gestellte Elternschaft fehlt – deren Kinder lernen eine zweite Fremdsprache, wenn sie denn überhaupt diese Schule besuchen.
Für Künste verbleibt da im Wahlpflicht-Stundenplan keine Zeit.

Viele dunkle Haare, manch‘ exotische Garderobe.
Die Gesichter müde vom langen Arbeitstag.
Geschwisterkinder, aufgeregt.

Bühne frei.
Der Saal ist voll.
Eine kurze Ansprache.
Und dann darf man staunen.
Nein, hier gibt es nicht „Romeo und Julia“ , sondern die Akteure zeigen kurze ausschnittartige Episoden der jeweiligen Produktionen.

Eine Choreographie mit Stuhl, Becher, Bewegung, Rhytmus.
Rap.
„Shelter“ – Kinder, die aus seiner Textilfabrik in einem Entwicklungsland vor ihren “ Eigentümern“ flüchten.
Eine Solo – Jonglage, die sich sehen lassen kann.
Die etwas andere Modeperformance.
Der coolste Reggae aller Zeiten…. wg. pubertärer Peinlichkeitsalluren eher als musikalisches Standbild geboten 😉
Literarisches Sinnieren über die Marktwirtschaft.
Modern Dance – „Jane Bond“.

Allem gemeinsam: sichtbares Engagement, viele Talente, viel Potenzial.

Etliche Familien kenne ich schon aus der Grundschulzeit.
Man trifft sich im Viertel. Weiß um manches Problem.
Für viele ihrer Kinder wird heute ein schöner Abend geboten.

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Erfolg. Sich gut fühlen. Etwas können.

Die Möglichkeit, ihr Licht angemessen zum Strahlen zu bringen, haben nur wenige.
Nach Klasse 9 oder 10 ist arbeiten angesagt, da braucht man so einen schnick-schnack nicht mehr.
Kultur- das ist DANN etwas für die Anderen.

Aber heute, heute dürfen unsere Kids stolz sein und wir auch.

Geleitet von den Musikkursen ließen Publikum und Künstler den Abend dann auch entsprechend krachend ausklingen:

Und da war kaum einer, dem das Mitsingen peinlich war.

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