Luft nach oben….

Gastbeitrag von Rheumi, der Laborratte

Ich bin im Dienste der Forschung unterwegs…. denke ich mir und quäle mich, noch Prinzessin Morgensteif, aus dem  Bett. Dauert ja alles länger als sonst.

Die Dokumentationsunterlagen und  Medikamente schon am Abend zuvor zurecht gelegt. Wieder etwas Neues. Das verstößt schon fast gegen meine Chaos-Queen-Ehre.  Wie war das noch mal mit konkurrierenden Hoheiten, trachten die sich nicht nach dem Leben oder heiraten? Noch dominiert das Chaos, wie ein Blick auf den wüsten Papierstapel verrät.

Als noch nicht klar war, ob ich zur Laborratte tauge, musste ich so einige Untersuchungen mit machen. Schließlich soll das Medikament auf dem deutschen Markt zugelassen werden und da will man nur Versuchsobjekte ohne Risikofaktoren.
Natürlich wirft so ein großes Pharmaunternehmen auch Köder aus: eine quasi-privatärztliche Betreuung, engmaschige Begleitung, Aufwandsentschädigung und natürlich das neue Medikament, ein Biologika.

Exkurs: Die medikamentöse Standardbehandlung bei Rheumatoider Arthritis sind Schmerz-und Entzündungs-Hemmer wie z.B. Ibuprofen, Diclofenac oder Kortison plus der sogenannten Basistherapie Methotrexat (MTX). Nur wenn das nach etlichen Monaten nichts bringt, bekommt man teure Biologika verschrieben. Genauer hier

Im Rahmen der Voruntersuchungen durfte ich erleben, womit man gut betuchten Kranken das Leben versüßt: das ist doch mal ein Wartezimmer!

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Aber eigentlich eine Attrappe, denn die Wartezeit betrug nur 1 Minute. Aber schön in Ruhe konnte ich den Fragebogen ausfüllen, nicht im Stehen, nicht auf den Knien schreibend. Da fühlt man sich gleich ganz anders. Wertvoller irgendwie.

Aber heute ist nur ein normaler Studientermin angesagt. Auch dabei läuft alles ganz geschmeidig: ich sage an der Rezeption des Rheumatologischen Versorgungszentrums, dass ich Studienteilnehmerin bin und schon darf ich zu einem speziellen Wartebereich durchgehen um dann sofort dort begrüßt zu werden und los geht’s mit dem jeweiligen Prozedere. Eigentlich eine reine Datenerhebung. Fragebogen, Labor und Gelenkstatus. Dann noch ein „Gespräch“ mit der Prüfärztin (leider wieder nur eine Vertretung, nun schon das zweite Mal und wieder eine andere als letztes Mal).
Frau Doktor ist kurz angebunden  will nur das wissen, was für das Pharmaunternehmen interessant ist.

Das ist aber nicht zwingend identisch mit dem was ich wissen will. Mir geht es hier immer noch um meine Gesundheit, mein Wohlbefinden. Und dass die im Vordergrund auch dieser Studie stehen, ist mir vertraglich zugesichert.
Also fange ich mit den Fragen meinerseits an und muss leider erleben, dass darauf nicht mit Begeisterung reagiert wird.
Dass ich meine Untersuchungsergebnisse ausgehändigt bekomme, ist doch wohl ein Selbstgänger …..ähem, ja natürlich.
Und die Aufwandsentschädigung möchte ich dem Unternehmen auch nicht spenden….ähem, natürlich nicht…da haben wir gar nicht dran gedacht.
Und nun würde ich gerne noch darüber reden, wie es aussieht mit nicht medikamentöser Unterstützung. z.B. Physio-oder Ergotherapie, Hilfsmittelberatung usw. ….ähem, da machen Sie  doch besser  noch einen Termin bei ihrer Rheumatologin.
Ups.
Ich dachte, die säße gerade vor mir. Steht nicht im meinem Vertrag, dass der Prüfarzt alles weitere veranlasst, nur dann eben ganz normal zu Lasten der Krankenkasse?

Noch bin ich milde gestimmt, denn das Medikament, dass ich seit 2 Wochen nehme, wirkt gut und Nebenwirkungen halten sich in Grenzen. Ich bekomme problemlos einen Termin bei der von der Krankenkasse bezahlten Rheumatologin  am Tag des nächsten Studientermins. Soweit alles gut. Meine Fragen können noch 2 Wochen warten.

Dennoch schleicht sich schon jetzt so ein Gefühl ein: Das Pharmaunternehmen bezahlt die Praxen, die die Studien durchführen. Ob diese dann die den Probanden vom Unternehmen zugesicherte komfortable medizinische Behandlung wirklich bieten, wird vielleicht gar nicht überprüft?

Ich bin ja mal gespannt, was meine – gut ausgebuchte- Rheumatologin nächstes Mal zu der Doppelarbeit sagt. Für mich sah das so aus, als hätte sie mich an ihre Kollegin abgegeben.
Na ja, nicht mein Problem.

Dennoch verlasse ich etwas gefrustet das Forschungszentrum. Die in Aussicht gestellte, viel bessere Gesamtversorgung lässt zu wünschen übrig.

Da liegt es doch nah, sich ein wenig zu trösten.
Eine wirklich gute Medizin sind Handtaschen und Schuhe, oder ein Eyecatcher in Form eines Ringes ….ach , letzteres ist ja nicht mehr so toll bei geschwollenen Fingern, also was dann?
Da nicht damit zu rechnen ist, dass mein Kopf rheumabedingt anschwillt versuche ich mein Glück mit einer neuen Brille, die ist sowieso fällig.
Schließlich will ich auch weiterhin das Kleingedruckte lesen können.

 

 

 

 

 

 

 

Station Orwell VI

Gerade hatte mich auf die Umstände hier eingestellt, schon ist das Ende da. Mit meinem kleinen “ niemand-will-was-von-mir-Refugium“ ist es vorbei.
Mehr Gedankenströme werden von mir nicht benötigt, Audi-Video-Überwachung reicht.
Ich genieße den Luxus der heißen Dusche und finde mich danach in der Warteschleife des regulären Stationsalltags wieder. Mein neues Zimmer ist direkt neben meinem persönlichen (verbotenen) Outdoor-Bereich, der Feuertreppe.
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Wenn ich es Recht bedenke, hat mir die Abgeschiedenheit gut gefallen.
Außer einem Routine-Check morgens und abends bestand meine einzige Aufgabe darin, mir mein Essen zu holen. Wozu ich höflich über Lautsprecher gebeten wurde.
Es war klar, dass nicht mehr passiert und so habe ich auf nichts gewartet.

Hier ist es wieder anders. Es ist unklar, ob was passiert oder nicht. Fragen danach werden mit ‚ vielleicht‘ oder ‚ später‘ beantwortet. Sich bereit halten und nicht wissen wofür…

Ich versuche, mir ein wenig von der ‚ ich bin mir selbst genug – Haltung‘ zu bewahren.
Hatte ich mich in den ersten Tagen noch über das nicht funktionierende TV aufgeregt, schaltete ich auf der Iso-Station das einwandfrei funktionierende Ding nur für 1einzige Sendung ein.

Lesen ist nun kein Problem mehr.
Aber noch lieber hänge ich meinen Gedanken nach, höre Musik.
Mein neues Zimmer erlaubt mir eine andere Perspektive auf den schönen Park.
Gewonnene Erkenntnisse aus diesen Tagen rufen nach einer neuen Justierung meines Blicks auf meine Zukunftspläne.

Zeit, all die gewonnenen Eindrücke der letzten Tage sacken zu lassen.
Für ein persönliches Arrangement mit mir selbst.
Zeit, die gut tut.

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Station Orwell V

Langsam komme ich mir schon selbst wie eine Beobachterin vor.
Mit Blick auf die inklusive Welt vor meinem Fenster verspeise ich mein Frühstück.
Gymnasiasten eilen in die Schule, Eltern schieben ihre Kids in die Kita oder ins Sozialpädiatrische Zentrum, die Busse der Behindertenwerkstätten trudeln ein, Alte auf dem Weg zum Einkaufsladen, ein Team des Gebäudemanagements, Lieferanten, Radelnde.
Landschaftsgärtner machen ihre erste Pause.
Ein junger Neuzugang mit viel Gepäck.

Das Pflege- und ärztliche Personal dieses ‚Dorfes‘ ist sicher schon eine Weile da.
Wie sonst hätte ich nach nur 3 Stunden Schlaf von dem netten jungen Mann geweckt werden können?
Die Nacht war unfreiwilliger Weise lang.
Annehmlichkeiten wie Kaffe bis Mitternacht, gute Lektüre und viel Musik brachten mich durch die Stunden. Und dennoch kam der Punkt, an dem mir fast die Augen zu fielen.
Nebenan eine junge Frau, der es ähnlich gehen musste.
Unerreichbar.

Hin.
Her.
Wo ist sie jetzt?

Die Kamera folgt mir unerbittlich durch das Zimmer.
Wenn der Sensor mich erfasst hat und das Gerät umschwenkt, bin ich schon wieder in der anderen Ecke.
Aber ich bleibe wach.
Das diensthabende Überwachungsteam kennt nach dieser Nacht meine spezial- Durchhaltesongs, meine Singstimme, weiß, wie ich tanze und wie ich immer wieder bemüht bin, diese motorische Unruhe in den Griff zu kriegen.
Was ich nicht zeigen mag: mein Gesicht beim Tanzen, beim Denken, beim Trauern um die Lieben, die dieses Jahr gegangen sind.

Wenn dir Melodien
Liebe Stunden wiederbringen,
Laß mit freienSchwingen
Deine Sehnsucht ziehn.

Nimm das Glück wie einst,
Daß dir Träume gütig spinnen,
Laß die Tränen rinnen,
Wenn du weinst.

( J. Ringelnatz, Schöne Musik )

Gedanken kommen und gehen.
Einige immer wieder.
Ich heiße sie willkommen.
Es ist nicht die Zeit, konstruktiv zu sein, etwas zu schreiben z.B.
Dafür muss mein Gehirn frisch sein, jeder Tag ein neues Blatt.

So schwer es mir fällt, ohne Bewegung auszukommen, so erholsam sind die Tage dieses Stillstandes dennoch.
War ich doch schon wieder viel zu oft auf der Überholspur.
Das Wenige, mit dem ich hier umgeben bin, reicht.
Die viele Zeit nur für mich tut gut.

So einen Zwangsstop bräuchte ich öfter.
Wenn ich heiß gelaufen bin, oder besser : vorher.
Wie organisieren sich das Menschen ohne Wochenendhaus, Wellness-Weekend, mit familiärer Verantwortung und beruflicher Belastung?
Menschen die es reizt, an ihre Grenzen zu gehen aber mit der Tendenz, nicht zu spüren, wann es genug ist ?

Bei allen Einschränkungen: dieses aus-der-Welt- sein, es möge noch etwas andauern.
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Station Orwell IV

Was ist heute für ein Tag?
Noch schneller als im Urlaub verliere ich das Zeitgefühl.
Körperlich ausgeruht, springen meine Gedanken umso mehr.
Ich könnte mal dies, würde gern das……
Alles graue Theorie zur Zeit.
Schon jetzt bedaure ich, dass ich niemals all diese tollen gedanklichen Projekte auch nur beginnen werde.

Für meine Raumstation habe ich wunderbare Verbesserungsvorschläge, die bestimmt keiner hören will, ich werde sie hoffentlich für mich behalten.
Diese einmalige Station im Bundesgebiet ist noch nicht einmal ausgebucht.
Nicht wg. mangelnder Nachfrage, sondern aufgrund von Personalmangel.

Draußen reges Treiben.
Schulkinder gehen über das Gelände.
Krankentransporte, Lieferwagen.

Innerlich bin ich heute ruhiger.
Max Hölz, Rosa Luxemburg, Emma Goldmann, Nelson Mandela, Angela Davis, Ulrike Meinhof……Menschen, bei denen ich mich seit meiner Jugend frage, wie sie die Isolation unter 1000 x schlechteren Bedingungen als ich sie jetzt hier habe, ausgehalten haben.
Ich ahne ganz entfernt, welche Kraft Überzeugung hat.
Welche Haftungserleichterung Papier und Schreibgerät sind.

Mir fällt es allein schon schwer, hier ein wenig Gymnastik zu machen.
Ist es doch das Wenigste, das ich in dieser Iso-Situation für mein gutes Körpergefühl tun kann.
Selbst-Disziplin.

Was täte ich ohne web 2.0. und ohne Musik aus der Konserve?

Immerhin: Bluesharp konnte ich hier gestern ( leise ) spielen.
Ich möchte meine Gitarre haben….seufz.

Rocketman – timeless flight – Sittin‘ On The Docks Of The Bay – watchin‘ the tide- wastin‘ time…. Every breath you take – and every move you make – every bond you break – every step you take – I’ll be watching you…..

Einige meiner Lieblingssongs strömen heute morgen durch meine Kehle.
Ich denke mir nichts dabei, dass jemand zuhört.
Gut, dass ich ein Einzelzimmer habe.

Mit dem Sport ist es schon schwieriger.
Die Verkabelung schränkt meine Bewegungsmöglichkeit ein.
1,80 m Radius lassen zwar ein wenig Auslauf zu.
Aber Drehungen können zu Fallstricken werden.
Der umgehängte Brainbox verheddert sich mit mir und dem Kabel.
Und was ist mit den Erschütterungen beim Springen?
Na ja, die werden schon kommen und meckern, wenn ich zu weit gehe.

Auch hier eine vorsichtige Ahnung, was Bewegungseinschränkung für mich bedeuten würde.
Duschen ohne die Elektroden nass zu machen erfordert eine genaue Handlungsplanung. Sich anziehen in verkabeltem Zustand ist kompliziertes Getüddel.
Räumliches Vorstellungsvermögen ist gefragt.

So konzentriert /fokussiert ich in Stresssituationen auch handeln kann – im Ruhezustand bin ich extrem zerstreut und hier sogar vertüddelig :

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So what?
Bewegung, Musik, Kommunikation …. mein Lebenselixier.
Was auch immer letztlich hierbei herauskommt, ich werde am Ende einiges Neues über mich erfahren haben.

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Station Orwell III

Nun ist es soweit.
Das total-Monitoring hat begonnen.

Ich habe ein schönes großes Zimmer für mich alleine.
Weiße, blanke Wände.
Ein riesiges Fenster beschert mit den Blick in einen Park. Heute ist es windig, viele Parkbesucher nehmen Kastanien auf.
Herbstzeit.

Ah…da bist du!

Kontakt zu den Menschen im Überwachungsraum erfolgt über Lautsprecher.
Wenn ich meinen Standort im Zimmer verändere, folgt mit die Kamera mit einem leisen Brummton.
Gerade eben bekomme ich aus dem ‚Off‘ die Aufforderung, mich auf der anderen Seite des Zimmers aufzuhalten, damit die Kamera mich erfassen kann.
Noch nie war ich so abgeschnitten von der Welt und doch so angekettet.

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Ich darf 20 min. tägl. das Zimmer verlassen.
Noch genieße ich die Ruhe…..aber mir graut vor der Isolation der nächsten Tage.

Ich möchte lesen, wenn ich Lust dazu habe, nicht weil ich jetzt Zeit ohne Ende habe.
Die Bewegungs- und Beschäftigungslosigkeit macht mich lustlos.
Meine ( relative, persönliche) Autonomie abzugeben ist mit zuwider.
Ich muss mich fügen.
Kann nichts beschleunigen.
Das bereitet mir mehr Pein als die Gewissheit, beim in-der-Nase-Bohren beobachtet zu werden.
Fast schon wünsche ich mir ein paar Belastungstests, nur damit etwas passiert.

Ich wollte das hier als Entspannungs-‚urlaub‘ nehmen.
Im Park ist schon lange niemand mehr.
Wie ein Mobilphone, das ein Netz sucht, fühle ich mich.

Können sich ADHSler in so anregunsarmer Umgebung entspannen?
Ich auf jeden Fall nicht.

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Station Orwell I

Eigentlich wollte ich ja darüber schreiben, wie ich mich so fühle, wenn ich mich bewußt einer rund-um-Überwachung aussetze.
Wenn jeden Moment klar ist, dass meine Bewegungen gefilmt werden und meine Gehirnaktivität gemessen wird.
Ob es einen Unterschied gibt zur alltäglichen Überwachung, von der ich weiß, sie aber meist nicht merke.

Aber nun kann ich erst einmal nur darüber schreiben, wie es sich anfühlt, mit einer ADHS Disposition zum Warten, zum Rumsitzen, zum Geschehen lassen verdonnert zu sein. Und das alles, ohne sich irgendwie passiver als sonst zu fühlen.
Ich habe die besten Vorsätze, diesmal eine geduldige und verständige Patientin zu sein.
Und bekomme sogleich Gelegenheit, dies unter Beweis zu stellen:
Die Totalüberwachung beginnt nämlich nicht sofort, sondern es liegen zunächst einige Standard-Untersuchungen an, die auch vorab ambulant möglich gewesen wären.
Dafür läuft die Audio-Video Überwachung des Zimmers von Beginn an. Was ich bis eben nicht wusste, weil ich meine Aufmerksamkeit nicht den Beschilderungen an der Tür, sondern den Dingen, die nicht nach meinem Geschmack laufen, widmete.

Ich komme also mit der Erwartung her, dass man sofort mit der eigentlichen speziellen Untersuchung startet. Dass alles rucki-zucki durchgeführt wird ….und bleibe im zähen Stations-Alltags-Rhytmus stecken.
Horrorgeschichten über die nonstop-Audio-Video-EEG-Station anderer Patienten runden das Bild ab.

Die technischen Möglichkeiten sind hier wie in keiner anderen Klinik im Bundesgebiet. Die Begehrlichkeiten des Oberarztes bezüglich der Untersuchungsvielfalt entsprechend.

Nun habe ich schon enttäuscht: nein, ich will nicht um jeden Preis eine mega super detaillierte Diagnose.
Ich muss auch nicht unbedingt grundsätzlich bewährte Behandlungsmethoden verändern.
Mir reicht die Erhaltung meiner jetzigen Lebensqualität.
Der Arzt hat es nicht leicht mit meinen ‚ ja, abers ‚ .

Dann sind da noch : ein TV, das drei Schneesender hat : schwarz-weiß, bunt und dunkel. Und 2 mit Dauer-Reality-Doku-Soaps.
Ein Aufenthaltsbereich im Freien, der dem Inneren eines Aschenbechers gleicht.
Internet nur sporadisch und nicht überall.

Mein Ort für frische Luft und Internet: die Feuertreppe

Der Aufprall gestern hier war hart. Von Arbeitstempo 150 auf 0 mit gelegentlichem Stop and go.
Desillusion und Verärgerung.
Eine eher nicht stimulierende Umgebung: kein einziges Bild ziert die Wände dieser Station.
Die prickelnde Aussicht, Langeweile u.a. mit Entspannungsübungen bekämpfen zu müssen.
Ich bete, dass mir Seidenmalerei erspart bleibt und Teddys nähen möchte auch nicht.

Selbstverständlich habe ich 10 Bücher dabei.
Kurz vorm emotionalen Vulkanausbruch eignen die sich aber weniger zum Gelesen werden, denn zu Wurfgeschossen. Aber mittlerweile bin ich aus diesem Alter schon raus und veranstalte solche Zweckentfremdungs – Events nur noch mental.

Was für ein Kontroll- und Geduldstraining!

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Zeitinsolvenz ?

 

Interessante Überlegungen über die Folgen von Zeitmangel aufgrund von beruflicher und privater Belastung stellt Dr. Martin Winkler in seinem neuen Blog Seelenklempnerei an und bezieht sich dabei auf ein Interview im Deutschlandfunk mit Prof. Merz von der Leuphana Universität Lüneburg.

Auch die mögliche Kombination von materieller Armut und Zeitarmut wird sicherlich nicht allzu selten anzutreffen sein.

Aber lest selbst hier.

Leider immer noch unpopulär: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich  und das bedingungslose Grundeinkommen. Wenigstens tut sich beim Mindestlohn was.

 

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Des Kaisers neue Kleider

Via twitter bekam ich gerade einen etwas längeren Artikel , erschienenen in brand eins 6/2013 auf den Bildschirm.
Manfred Lütz, Psychotherapeut , Chefarzt des Kölner Alexandria Krankenhauses sowie Autor u.a. von “ Irre-wir behandeln die Falschen“ (das mir gut gefallen hat) dort zum Thema Burn Out anlässlich seines neuen Buches “ Bluff -die Fälschung der Welt“.

Nun soll das ja hier kein Werbeblog werden…..wer aber zum ruhigen Sonntagsfrühstück auf Allerwelts-Totschlags-Klatsch und Tratsch-Nachrichten verzichten kann oder gerne selber entscheidet, worüber er/ sie sich Gedanken machen möchte, schreckt vllt. nicht vor diesem etwas längeren Artikel zurück:

Wir leben in einer Fleißgesellschaft, nicht in einer Leistungsgesellschaft.

Es ist keine Leistung, etwas zu tun, was andere einem vorschreiben. Leistung ist, wenn Arbeit und Tätigkeit Sinn stiften, wenn sie für den Menschen einen Zweck haben, der sich von selbst erklärt.

Eine Leistungsgesellschaft bestünde demnach aus Menschen, die für das, was sie tun, brennen, und nicht von dem, was sie tun müssen, verbrannt werden.

Man muss lange googeln, um wenigstens ein paar halbwegs positive Wendungen des Wortes Leistungsgesellschaft zu finden. Leistung, das ist im Fußball, unter der Motorhaube, beim Marathon okay.

Wer aber für seine Arbeit brennt, für das, was er tut, Begeisterung entwickelt, sich dafür einsetzt und diesen Sinn und Zweck – auch gegen große Widerstände – verteidigt, gilt abseits aller Innovationsrhetorik immer noch als Spinner, Querulant und Maniker.

Wer heute behauptet, dass Leistung die wichtigste Voraussetzung für Gerechtigkeit und Fairness ist, muss damit rechnen, dass man ihn einen neoliberalen Sack nennt.
Soll man sich darüber ärgern? Kaum. Denn wenn es so wäre, dann wären auch alle Sozialrevolutionäre – von den Aufklärern über Karl Marx bis Ernesto „Che“ Guevara – neoliberale Säcke.
Worin sonst bestünde der gemeinsame Nenner ihrer Theorien, als darin, eine Leistungsgesellschaft an die Stelle alter Privilegienwirtschaft zu setzen? Leistung ist die Zündkerze der Gerechtigkeit. Den „Tüchtigen gehört die Welt“, und die Tüchtigen sind nicht immer jene, die die Welt nur von ihren Eltern geerbt haben. Das Leistungsprinzip ist ein Herzstück der Emanzipation. Wer sich dafür aussprach, wollte immer das Beste aus den Menschen herausholen – zu ihrem eigenen Vorteil. Quelle

Die Gedanken von Lütz sind durchaus streitbar.
Allein schon dadurch, dass er behauptet, Burn-Out gäbe es gar nicht, zumindest nicht als Krankheit.
Selbst mit dem Thema Dauerbelastung durch Kind, Arbeit usw. konfrontiert
und auch schon einmal an dem Punkt angekommen, an dem ich die Reißleine gezogen habe, kann ich seinen Überlegungen jedoch viel abgewinnen:

Allerdings sagt der Nervenheilkundler nicht, dass den Leuten, die sich schlecht fühlen, nichts fehlt. Möglicherweise leiden sie an einer Depression, die als solche auch zu behandeln wäre. Oder jemand, der meint, an Burnout zu leiden, steckt in einer tiefen Lebenskrise, die Folge einer Scheidung, eines Todesfalls in der Familie, eines ungeliebten Jobs oder ekelhafter Kollegen ist. Und es kann auch sein, dass man schlicht zu viel gearbeitet hat. Man braucht Ruhe und Zeit, sich wieder zu besinnen. Doch für einen solchen Rat sei kein Burnout-Experte notwendig, sagt Lütz. „Das wusste meine Oma auch. ( Quelle: ebenda)

Genau wie meine. Aber die hätte mich nicht bei der Arbeit entschuldigen, nicht meine Miete zahlen können und auch nicht mein Kind ernährt.
Solange der “ gelbe Zettel“ für alle, die keine Finanzreserven haben, die einzige Möglichkeit ist, hinreichend Zeit, Ruhe und Unterstützung zu finden, bis Kraft und Kreativität wieder da sind, denn diese brauchen wir, um überhaupt Veränderungen einleiten können, ist der Bluff gerechtfertigt.
Wir sollten nur wissen, dass es Bluff ist.

Oder schon mal umsteuern, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Dazu braucht es heutzutage aber geradezu schon Widerstandsgeist.
Nur zu!

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Lesenswert auch dieses Interview mit Lütz zum Thema.

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Wissen ADHS-Eltern mehr ……? Zwischenmeldung

Wie hier versprochen, lese ich weiter und melde mich beizeiten.

Vorerst zum Thema Internet-Sucht diesen coolen Video-Clip.

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Hochleistungsmedizin Top – Nachsorge Flop

Wer ein schwer krankes oder ein zu früh geborenes Kind hat, kann ein Lied davon singen.

Und braucht keinen Ärzte- Kongress, um zu wissen, dass die Medizin wirklich viel leistet, um die Kids zu retten ( manchmal schon sehr Grenzwertiges, in meinen Augen) ….aber wenn das Kind dann „übern Berg“ ist, steht man allein da und darf sich in Selbsthilfegruppen tummeln, um gemeinsam die Wunden zu lecken.

Die Narben behandelt nämlich keiner. Eltern dürfen sich schlau lesen, und auf Erzieher und Lehrer hoffen, denen nicht alles egal ist und die noch motiviert genug sind, um sich auf das Kind ein zu lassen. Inklusion steht noch ganz am Anfang und ist doch gerade für diese Kinder, oft mit nicht sichtbaren „Behinderungen“ , so bitter nötig.

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Deshalb ist es gut, dass die Kinderärzte mit einen Kongress u.a. diese Problematik in das Licht der Öffentlichkeit brachten:

Auf die Überlebenden sei man noch nicht gut genug vorbereitet, sagte Anika Resch vom Uniklinikum Hamburg: „Wir stellen immer mehr fest, dass die Nachsorge ein schwarzes Loch in unserer Gesellschaft ist.“ Die Diplom-Psychologin untersuchte die kognitiven Defizite von Kindern nach einer Hirntumorerkrankung. 66 Kliniken aus ganz Deutschland stellten dafür Daten zur Verfügung. Die Kinder, die im Alter von vier Jahren oder älter erkrankten, wurden zwei und fünf Jahre nach der Diagnose nachuntersucht, mit einem Test kognitiver Fähigkeiten und einem Elterninterview. „Die Kinder sehen vom Augenschein her nach der Therapie wieder völlig gesund aus und werden deshalb von den Lehrern genauso wie Gleichaltrige behandelt“, sagte Resch. „Im Vergleich zu Altersgenossen haben sie aber deutliche Defizite.“

Nicht ganz nachvollziehbar finde ich die Sache mit dem IQ : wenn ein Frühchen entwicklungsverzögert ist, warum vergleicht man es dann beim IQ-Test mit Gleichaltrigen?
Das muss doch ein schiefes Bild geben, denn diese Kinder brauchen oft nur viel mehr Zeit für ihre Entwicklung.
Die sie aber nicht bekommen. Und so kämpfen diese starken Kids nach ihrem schweren Lebensstart auch weiterhin in Kita, Schule und Ausbildung gegen permanente Überforderung, die dann oft in die im Artikel aufgezählten Auffälligkeiten münden können:

“Sehr früh geborene Kinder haben vor allem Schwierigkeiten mit Aufgaben, für die sie Informationen simultan verarbeiten müssen, etwa beim Legen von Puzzles“, sagte Dieter Wolke, Entwicklungspsychologe an der britischen University of Warwick. „Dementsprechend haben betroffene Kinder vor allem im mathematischen Bereich, wo simultane Verarbeitung wichtig ist, eine klare Teilleistungsstörung, beim Lesen und Schreiben zeigen sie aber lediglich Schwierigkeiten, die dem Level ihres oft unterdurchschnittlichen IQ entsprechen.“ Wolke war Mitautor der Studien Epicure I und II in Großbritannien, für die Kinder mehrfach nachuntersucht wurden, die vor Vollendung der 26. Woche geboren waren, und der bayrischen Entwicklungsstudie, in der Frühgeborene unter 32 Wochen bis zum Alter von 26 Jahren beobachtet wurden. Nicht nur der geringere IQ, auch andere Unterschiede zu Vergleichsgruppen fielen dabei auf: Die Kinder leiden häufig unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität, zeigen weniger Risikoverhalten und sind sozial besonders zurückhaltend.

Unterschätzte Schwierigkeiten

Für Wolke werden aber vor allem die Schwierigkeiten einer weiteren, größeren Gruppe unterschätzt: Die Kinder, die nach einer Schwangerschaftsdauer von 32 bis 36 Wochen geboren werden. Ihre Zahl steige, da häufiger geplante Kaiserschnitte und Zwillingsschwangerschaften nach Reproduktionsbehandlungen auftreten. „Schon mit jeder Woche weniger als vierzig Wochen sinkt der IQ um 0,3 Punkte“, zeigen Wolkes Untersuchungen. „Unterhalb der 32. Woche sind es dann 2,7 Punkte pro Woche.“ Die Sichtweise, nach der 37. Woche, wenn offiziell nicht mehr von Frühgeburt die Rede ist, sei eine geplante Geburt unproblematisch, solle man hinterfragen.

Hinterfragen sollte man aber vor allem die Ergebnisse der IQ – Tests. Was sagt schon diese Ziffer?
Besser, man schaut auf die Entwicklung seines Kindes, unterstützt es und gibt ihm die Zeit, die es wirklich braucht.
Und wenn dann noch hilfreiche Nachsorge für Kinder und Eltern da wäre, wär‘ n wir ein ganzes Stück weiter.

Den ganzen Artikel kann man hier nachlesen.

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