What a year!

Vor 2 Wochen ist es geschehen: ich bin nur noch einen Jahresschritt von der Senioren-Bahncard entfernt. Ich dachte immer, je älter, desto weniger ereignisreich das Leben, desto ruhiger. Für mich selbst trifft das – verglichen mit meiner Sturm -und Drangzeit – ein wenig zu. Mit meinem erwachsenen Fohlen bei Fuß (RW) werde ich aber unweigerlich immer wieder in die Stürme der Jugend hineingezogen. Und die sind nicht zu knapp für eine junge Autistin.

Jahr des Wassers

Unser Jahr begann mit einem Wasserschaden im Januar und endet mit einem weiteren am Heiligen Abend. Nervig, aber eine der kleineren Widrigkeiten.
Mann des Jahres ist unangefochten deshalb unser Klempner.

Jahr der Unbeweglichkeit

Rheumi ist wirklich eine fiese Ratte. Es hat viel Kraft gekostet, ihr ein wenig Benimm beizubringen und ich muss immer am Ball bleiben, damit sie nicht wieder über die Stränge schlägt. Immerhin ist ihre Tarnung aufgeflogen. Ein ganzes Jahr hatte sie die Ärzte verarscht, ehe sie gefunden wurde. Nun, sie bleibt, aber sie muss sich fügen. Ich kann ja nicht wegen ihr nur noch zu Hause herumsitzen.
Meine medizinische Helferin des  Jahres ist ganz klar die Pharmaindustrie. Und die Ernährungsdocs aus der Glotze, aber die erst an zweiter Stelle.

Jahr des Mutes

Nach einer sehr belastenden Zeit in einer komplett unpassenden Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit, dem Abbruch derselben, großer Verzweiflung und Ratlosigkeit hat Twen (!) es geschafft, sich auf eine weitere Maßnahme einzulassen. Mit all den Erfahrungen, die sie leider schon machen musste, geht sie nun sehr zielgerichtet dort hinein und lässt sich nicht in die für Behinderte so gern vorgesehenen Bereiche
“ Küche, Lager, Gartenbau“ abschieben. Diese entsprechen so gar nicht ihren Interessen und Fähigkeiten. Das macht sie zur unbequemen Klientin, fordert es doch von den sogenannten Experten, dass sie von ihrer geliebten Routine abweichen müssen. Stellt, euch vor, Twen erwartet doch wirklich, dass die nicht nur behaupten, sie hätten „Autismus-Kompetenz“ ( arghhhh…wenn ich dieses Wort schon höre !) sondern fordert ein, dass die sich wirklich diesbezüglich (fort)bilden.
Da lacht das Mama-Herz.

Noch immer verfolgt sie Ziele, die sie von Amts wegen gar nicht haben dürfte: einen weiteren Schulabschluss, doch noch eine Ausbildung machen …. und in der Zwischenzeit das Lernen nicht aufhören. Wenn nicht institutionell begleitet, dann eben autodidaktisch zu Hause. Wenn´s nicht ganz allein geht: frag Mutti 😉

Noch ist unklar, ob sie diese Maßnahme fortführen wird. Mehr als ein Taschengeld bekommt sie dafür sowieso nicht.

Als junger Mensch einer als Expertin gehandelten Therapeutin zu sagen, dass sie keine Ahnung von Autismus hat, wenn sie denkt, man könne sich diesen durch Verhaltenstraining „abgewöhnen“  , ist sicher nicht einfach. Und dann die entsprechende Konsequenz zu ziehen, Adieu zu sagen, sich eine Therapeutin zu suchen , die sie in ihrem So-Sein unterstützt und die Mühsal des Neubeginns auf sich zu nehmen, auch nicht. Twen hat das gepackt.  Chapeau.

Twen, eindeutig meine Heldin des Jahres.

Jahr der Einkehr

Durch Rheumi zum Stillstand gezwungen hatte ich hinreichend Gelegenheit, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, die im Alltags-Wirbel regelmäßig untergehen.
Meine intensiven Studien über Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel, waren mehr als heilsam für meine Seele.
Rheumi war es auch, die mir klar machte, dass ich nicht für alle Zukunft wie eine Duracell durch das Leben rauschen werde und deshalb gut daran tue, Alternativen zu der jetzigen Wohn-und Lebenssituation zu suchen. Dazu muss ich erst mal wissen was ich will und was ich mir leisten kann. Die Lösung muss jedoch kompatibel mit Twen sein. Denn es ist nun einmal so: nur ein Weg, der uns beiden gerecht wird, führt zur angestrebten Entlastung.

Absolut cooler Bewegungsausgleich: die Geschichte der Philosophie, mehrbändig, hintereinander weg gelesen. Für eine Halbgebildete wie mich ein ungeheurer Luxus. Wann hatte ich dafür schon mal Zeit?

Themen des Jahres waren deshalb transgenerationale Kriegstraumata, Wohnen 60plus, Teilhabe und Selbstfürsorge.

Jahr des Engagements

Humpelnd auf die Demo oder im sportiven Business-Dress zur Fortbildung für Beschäftigte der Berufsbildungswerke – in diesem Jahr haben wir so einiges bewegt.
Neue Handlungsfelder haben sich ergeben.
Mein Dank des Jahres geht an meine Mitstreiterinnen, die sich situationsangepasst auf mein reduziertes körperliches Tempo oder mein Turbohirn eingestellt haben und so Gemeinsamkeit ermöglicht haben.

Jahr der Bürokratie

Ich erspare euch die Aufzählung aller Ämter, Behörden und Beratungsstellen, mit denen ich Kontakt hatte. Die Anzahl der Anträge, Widersprüche, Anhörungen usw. weiß ich selbst nicht mehr.
Quasi ein Zweitjob, der meinem Erstjob zum Glück fachlich entspricht. Hätte Rheumi mich nicht vor dem Erstjob bewahrt, wäre garantiert das Gefühl von “ nie Feierabend haben“ aufgekommen. So war es nur das Gefühl von „nicht krank geschrieben sein“.
Ist das gut oder schlecht?

Zur Rechtsberaterin- und Vertreterin des Jahres küre ich mich deshalb selbst.

Jahr der digitalen Technik

Bei eingeschränkter Mobilität zeigt sich erst, welche Unterstützung man von digitalen Geräten haben kann. Ich habe die Technik nicht nur vielfältig genutzt, sondern auch viel dazu gelernt.
Die bei uns nicht religiös geprägten Weihnachtstage verbrachte ich nun mit diverser Installationssoftware und neuen Programmen. Murphys Gesetz schlug leider auch wieder zu und es mussten Neuanschaffungen getätigt werden, die das Budget belasten, es mir aber wert sind.

Online-Dienste, social Media, Apps, Rechner und mobile Geräte – meine Hilfsmittel des Jahres.

Jahr der Qualität

In Krisenzeiten zeigt sich, wer Freund ist und wer nicht.
Ich habe entsprechende Konsequenzen – auch schmerzliche – gezogen.
Beziehungsmäßig habe ich „gelindnert“: lieber keine Beziehung als eine, die über meine Kraft geht, mag der Gefährte auch noch so liebenswert sein.
Einige alte Freunde habe ich verloren, ehemalige tauchten wieder auf und es bahnen sich neue Verbindungen zaghaft an. 

Viel Lob und Dank gebührt meiner  besten Freundin und ihrer Familie.
Großes Dankeschön auch an die beste und liebste  Nichte aller Zeiten.
Nicht zu vergessen der hilfsbereite Lieblingsnachbar, mit dem sich eine wechselseitige  Alltags-Katastrophen- Rettung etabliert hat.

Erkenntnis des Jahres: ich muss nicht funktionieren, um geliebt/gemocht  zu werden.

Jahr der Musik

Wenig  Konserve, dafür mehr live und das u.a. mehrmals im örtlichen Skandalpalast.
Das Cello hat pausiert, was auf Rheumi´s  Rechnung geht. Zuweilen wankelmütig, war ich mehrmals davor, mein Engagement im Chor aufzugeben. Diese ganztägigen Proben und langen Auftritte sind doch sehr strapaziös. Nun bin ich immer noch dabei und wie immer mit dem Einstudieren der Texte vor dem nächsten Konzert unter Zeitdruck.

Damit wird die Musik zum Beständigkeitsfaktor des Jahres.

Jahr der vakanten Titel

Leider nicht vergeben werden konnten:

  • Steuerberater der Jahres
  • Haushaltshilfe des Jahres
  • Sachbearbeiter des Jahres
  • Wunder des Jahres

Fuck 2017

Die Bilanz ist leider eher negativ.
Vielleicht gehen einige Saatkörner, die wir dieses Jahr gestreut haben, im kommenden Jahr auf (RW). Das wünschen wir uns. Und das Ausbleiben von kleinen und großen Katastrophen.

Das wünsche ich auch euch, liebe Leser und Leserinnen. 

An dieser Stelle ein Willkommen an alle Leser und Leserinnen, die mir dieses Jahr neu beschert hat und ein Dankeschön an alle, die mich schon lange lesend und kommentierend  begleiten. 

Kommt gut rein ins Neue Jahr, 

Eure LW

 

Ich freue mich über Feedback, wie immer ohne Registrierung möglich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bücher, die anfassen

Aufgetaucht. Aus einem Meer von Buchstaben, nach Tagen unregelmäßigen Essens, viel Kaffee, vernachlässigtem Pflichtenheft, tiefem und kurzem Schlaf…diese Art Bücher, die mich nicht los lassen, selten sind sie.

Flucht-und Orientierungspunkte

In meiner Kindheit waren es Karl May-Bücher, mit denen ich mich aus meiner lebhaften Großfamilie beamte. Das war mit dem Geist einfacher als körperlich, da blieb oft nur die Flucht aufs Stille Örtchen …. Licht unter der Bettdecke, das Treppenhaus.

Es folgten Jack London, Mark Twain, Tolkien, Borchert, Hesse, unzählige
( Auto) -Biografien  widerständiger Menschen – von Emma Goldmann über Max Höltz zu Mandela. Alles über den Holocaust. Alice Schwarzer, Christa Wolff, Irmtraud Morgner. B.Brecht.

Dann eine lange Pause. Viele nette Bücher, ja. Selten fesselnd.

Mit Teenie dann entdeckt Lindgren, Funcke, Steinhöfel. Das waren die Bücher, die ich gern als Kind selbst gelesen hätte, die mich aber auch als Erwachsene noch angesprochen haben.

Nachgespürt

Und jetzt bin ich über Sabine Bode gestolpert. Mit den Worten „lies mal, ist ganz interessant“ bekam ich das Buch in die Hand gedrückt und dachte noch…na ja, mach ich mal.

Ich bin mit Kriegsgeschichten aufgewachsen. Meine Oma hatte beide Weltkriege erlebt und war die einzige der Familie, die von den Schreckenszeiten, der Angst und dem Verloren-sein erzählte.

Meine Eltern, Ende der 20ger Jahre geboren, schauten nach vorn. Wir Kinder fragten nicht.

Ich las tagelang über Dinge, die ich doch schon längst wusste. Und auch wieder nicht. Denn bei all meiner Auseinandersetzung mit dem 2. Weltkrieg habe ich mich dem Thema immer nur rational genähert, Fakten gecheckt, versucht zu verstehen, warum so viele Menschen so brutal werden konnten. Das System der Vernichtung zu begreifen. Und aktiv dazu beizutragen, dass so etwas nicht noch einmal geschieht.

Aha!

Das Lesen der vielen Interviews der Kriegskinder, Nachkriegskinder und Kriegsenkel hat mich so gebannt wie schon lange nichts mehr. Bekannte Muster meiner eigenen Biografie.

Ich hab ja gut funktioniert: Ausbildung, Job, ein Kind begleiten, die Welt retten.

Aber getrauert über die durch Kriegserlebnisse verschüttete Gefühlswelt in unserer Familie und in unserer Gesellschaft, hab ich nie. Auch nicht gesehen, in welchem Ausmaß ich eine Schuld übernommen habe, die nicht die meine ist.

Ist wohl an der Zeit, da mal genauer hinzuschauen und sich zu trauen, traurig zu sein.

Diese Bücher sind  mehr als aufschlussreich und erleichtern, bei allen Schilderungen der persönlichen Schicksale dennoch die gesellschaftliche Einordnung eines tabuisierten Massen- Phänomens.

 

Sabine Bode: Die vergessene Generation ( 2004 ), Nachkriegskinder ( 2011) , Kriegsenkel (2009)

vergesssene Generation     Kriegskinder ( Jg. 1930-1945) brechen ihr Schweigen

Nachkriegskinder    Nachkriegskinder sind in etwa die Jahrgänge bis 1960 – in West und    Ost.  Ihre Eltern waren keine Kriegskinder, sondern haben als Erwachsene den Krieg erlebt.

Kriegsenkel   Kriegsenkel sind Menschen der Generation, die in Deutschland etwa zwischen 1960 und 1975 geboren wurden.

 

Zwei in Einem

Nun habe ich endlich mal ein Buch in die Finger bekommen, in dem es um Autismus und ADHS geht. Meist werden diese Seins-Formen ja gesondert behandelt. Dabei sind beide oft miteinander vergesellschaftet. Nicht nur im neuropsychologischen Sinne.
ADHSler sind häufig befreundet mit Autisten und umgekehrt, in vielen Familien kommen beide Prägungen vor.

Mit seinem Buch Autismus und ADHS – zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und neuropsychiatrischer Krankheit geht  Prof.Dr.med. Ludger Tebarg van Elst der Frage nach,  wo die Grenzen zwischen Normvariante, Störung und psychischer Erkrankung verlaufen. Autismus steht dabei exemplarisch im Vordergrund, ADHS wird in einem eigenen Abschnitt behandelt und Parallelen zu Tic-Störungen werden immer wieder aufgezeigt.

Aber darf man Autismus oder ADHS überhaupt als Normvariante begreifen?
Das subjektive Empfinden von nicht so schwer betroffenen Menschen im Spektrum und solchen mit guten Rahmenbedingen im sozialen Umfeld plus individuellen Kompensationsmöglichkeiten geht sicherlich eher dahin, die eigene neuropsychologische Sonderformatierung als Normvariante zu sehen.
Ich habe hier schon oft betont, wie fatal ich es finde, nötige Unterstützung nur im Rahmen des Therapie-Business zu bekommen und sich damit als krank definieren zu müssen ( definiert zu werden). Diese unpassenden Hilfen taugen meist wenig, denn sie schießen über das Ziel hinaus. Praktische Unterstützung bei der Alltagsbewältigung (oft bei den kleinen , „einfachen “ Dingen) wäre oft besser und nachhaltiger.

Viele Menschen im Spektrum kämpfen jedoch mit massiven Einschränkungen. Dieses Leid darf nicht klein-geredet werden, nötige medizinische und soziale Unterstützung nicht beschnitten werden.
Das sieht auch der Autor und geht am Ende des Buches ( S. 154) auf diese Befürchtungen ein. Er macht deutlich, dass seine Intention in die andere Richtung geht: differenzierte Betrachtung ohne Leid zu verharmlosen.

Wann werden Symptome und Eigenschaften zur Störung oder Krankheit?

Was ist normal?
Was ist eine Krankheit?
Was ist eine psychische Störung?
Was ist eine Persönlichkeitsstörung?
Was ist Autismus?
Was ist ADHS?
Wie denken wir über unsere Gesundheit?

Das Buch ist viel zu detailliert und komplex, um hier näher auf die inhaltliche Abarbeitung der  obigen Kapitel einzugehen. Ich habe es als Laie gelesen – und mir hat besonders gefallen, dass neben der medizinischen, wissenschaftlichen Betrachtungsweise immer auch eine historische und philosophische Perspektive eingenommen wurde.  Ich fand es spannend, mehr  über den Wandel der klassifikatorischen Prinzipien psychischer Störungen zu erfahren: habe man früher noch nach Ursachen gesucht( Ätiologie), definierten die Klassifikationssysteme ICD und DSM heute nach rein deskriptiven Kriterien unter weitgehender Aufgabe eines kausalen Denkens ( S. 42). Folge davon sei, dass der Störungsbegriff von Patienten, Ärzten und Wissenschaftlern im Sinne einer klassischen Krankheitskategorie missverstanden würden ( S.47).

Auch wenn es im Ergebnis m.E. gut ist, dass mit dem Spektrum-Störungs-Begriff auch Menschen erfasst werden, die nicht so stark betroffen sind, aber dennoch Unterstützung gut gebrauchen können, so wird mir doch schummerig bei dem Gedanken, dass medizinische Kategorien  so stark  von Moralvorstellungen und Kompromissen in gesundheitspolitischen Gremien ( die sich dann auf Klassifikationssysteme einigen) abhängen.

Diversity
Eigentlich geht es doch darum, Menschen mit unterschiedlichster Persönlichkeitsstruktur Raum für individuelle Entfaltung zu geben, nicht jede Abweichung vom vermeintlich Normalen zur Krankheit zu erklären und jeden Menschen in seiner Besonderheit anzunehmen.
Und zu unterstützen, wenn und wie er es braucht.

Ein lesenswertes Buch mit Blick über den
medizinischen/wissenschaftlichen Tellerrand,  das für ein solches Verständnis von Menschen mit Autismus/ADHS wirbt.

 

Ich freue mich über feedback- wie immer ohne Registrierung  möglich.

 

 

 

 

 

 

 

Anders

Mein Vater gibt sich Mühe. Meine Mutter nennt mich weiter Felix. Sie erträgt es schlecht, wenn Dinge sich ändern. Man muss dafür Verständnis haben, oder?

Anders‚  von Andreas Steinhöfel – eine Buchbesprechung

Felix ist ein eher unscheinbarer, gut behüteter 10jähriger Junge.

Bis er einen Unfall hat, der ihm eine Kopfverletzung,  eine Zeit im Koma und  eine partielle Amnesie beschert. Zwar beherrscht er noch immer unsere Kulturtechniken, aber an die Menschen aus der Zeit vor dem Unfall kann er sich nicht mehr erinnern. Auch nicht an sich selbst.

Nicht nur er muss seine Eltern und Freunde neu kennenlernen, sondern auch umgekehrt. Felix benimmt sich völlig anders, hat andere Vorlieben, Stärken und vor allem: er nimmt die Welt auf eine besondere Weise war und verhält sich entsprechend.
So ist es nur konsequent von ihm, dass er nicht mehr Felix heißen möchte.
Anders, diesen Namen hat er sich ausgesucht, denn so fühlt er sich auch.

Die Mutter, gewohnt, ihrem Sohn den Alltag vorzugeben, zu bestimmen was wichtig ist und was nicht und damit seine Entwicklung akribisch zu lenken, sieht sich nun mit der Unmöglichkeit der Fortsetzung ihres Konzeptes konfrontiert.
Aus dem formbaren Sohnemann ist ein eigenwilliger Mensch, der seinen Weg auf seine Weise geht, geworden.
Plötzlich ist sie eine Mutter, dessen Kind nicht mehr funktioniert, wie es in ihrem sozialen Umfeld sonst üblich ist. Kein Kind zum Vorzeigen.

Nicht ganz so schwer tut sich der Vater.
Auch er nimmt sich vor, seinen Sohn neu kennen zu lernen. Und merkt, dass er ihn auch vorher nicht besonders gut kannte. Er schafft es, sein verändertes Kind anzunehmen, vielleicht sogar mehr als das Kind vor dem Unfall.
Konflikte zwischen den Eltern sind vorprogrammiert.

Bleibt noch die Sicht der Kinder, denn  Anders/Felix  hat Freunde, geht zur Schule und wie es sich für ein Jugendbuch gehört, liegt der Focus der Geschichte nicht bei den Befindlichkeiten der Eltern sondern dem Treiben der Kinder in Form einer spannenden Geschichte. Denn eigentlich ist es aus deren Sicht gar nicht so wünschenswert, wenn Anders sich an früher erinnert….

Gekauft habe ich Andreas Steinhöfels Buch ‚Anders‘ nicht für mich, sondern für Teenie. Nach ein paar Seiten hab ich es nicht mehr her gegeben.
Mir gefiel, wie Anders Eigenheiten die Mutter mit ihrem Perfektionismus ausbremste.
Der Wandel von Felix zu Anders eröffnet dem Vater hingegen eine Beziehung zu seinem Kind, wie er sie vorher nicht haben konnte und setzt zudem einen ganz persönlichen Emanzipationsprozess bei ihm in Gang.

Im Vergleich zwischen Felix und Anders schnitt Letzterer mit seiner inneren Autonomie gesellschaftlichen Normen gegenüber deutlich besser auf meiner Sympathie-Skala ab.
Sicher auch, weil ich in Anders neuer Sensibilität, Reizoffenheit und ungewöhnlichen Fähigkeiten häufig mein eigenes Kind wieder erkannte.

Ohne sich medizinischer Diagnosen zu bedienen, beschreibt Steinhöfel ein Kind, für das unsere Gesellschaft die Schubladen des DSM 5 bereit hält.
Er beschreibt es mit Sicht auf seine Stärken. Wie schon bei den Büchern über Rico und Oscar, schafft er es, stigmatisierende Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen wie z.B. ADHS, Autismus, Synästhesie als ganz gewöhnlich und überhaupt nicht bedrohlich darzustellen.

Steinhöfels neues Buch geht über die Beschreibung der Welt der Kinder weit hinaus. Es zeigt auch auf, in welchen gesellschaftlichen Mustern die Erwachsenen verhangen sind. Wie sie den Schein der perfekten Familie wahren. In der Leistungsgesellschaft dabei sein wollen. Ihren Kindern um den Preis der Kindheit versuchen, einen guten Platz darin zu verschaffen. Zur Reflexion ihres Tuns nicht in der Lage sind.

Sie holt mich immer ab. Überall…..Man ist dauernd überwacht. Man kann nichts alleine machen. Mein ganzes Leben ist ein Scheiß-Überwachungsstaat. (S. 116)

Sich selber, auch wenn sie spüren, dass das alles nicht gut und richtig ist, dennoch den Gepflogenheiten und deren Hütern unterordnen.

Einen Menschen wie Anders brauchen, um endlich zu sehen, was falsch läuft in ihrem Leben.
Aber auch, dass ein Wandel dieser gesellschaftlichen Werte nebst Veränderung der Lebensgewohnheiten derzeit den Preis des Nicht-Mehr-Dazu-Gehörens hat.

Weitere Protagonisten wie eine Nachbarin, ein ex-Nachhilfelehrer, das pädagogische Personal und die Kinder nebst ihren Eltern in der Schule verdeutlich die möglichen Reaktionen auf Menschen wie Anders: Abgrenzung, Angst, Bewunderung, Respekt, Verunsicherung.

Ich bin gespannt, was Teenie zu dieser Geschichte sagt.

Ihre erste Ablehnung gegen das Buch ( lass mich mit dem anders-Scheiß in Ruhe, ich bin Teenie, mich interessiert das nicht, nicht ich hab Probleme sondern der Rest der Welt ) ist der Neugier gewichen, schließlich geht es um ihr bekannte Wahrnehmungsweisen und es ist von einem ihrer Lieblingsautoren.

Außerdem reizt sie der Diskurs darüber mit mir.
Ein willkommener Anlass, wieder einmal über unser Zusammenleben und die uns leitenden Werte zu reden. Ich bekomme da manchmal mein Fett ab… aber dennoch:
Ich freu mich drauf.

Mit Anhieb schafft dieses Buch den highscore auf meiner Lieblingsbuch-Liste.
Steinhöfel ist ein tolles, unaufdringliches Plädoyer für Inklusion gelungen.

Unbegingt lesenswert.

Leise Zweifel bleiben lediglich bei der Altersangabe des Verlages. Für 12jährige scheint es mir noch etwas früh.

Ich freue mich über Feedback. Wie immer ohne Registrierung möglich.

Logisch flirten, aber wie?

„Wehe, wenn du mich enttäuscht,“ sagte Rosie.
„Ich erwarte permanente Verrücktheit.“

Das Rosie Projekt, Graeme Simsion , Fischer Krüger 2014

Don hat eine Assistenzprofessur am Institut für Genetik.
Gene, sein einziger und bester Freund , ausgewiesener Halodri vom Institut für Psychologie bittet ihn, einen Vortrag über das Asperger -Sydrom für ihn zu übernehmen.
Trotz geringer Vorkenntnisse und einem extrem durchgeplanten Tagesablauf, in den so ein Extra eigentlich nicht passt, übernimmt Don. Nicht ohne Recherche:

Natürlich wurden in den Büchern und Forschungsarbeiten auch die Symptome des Asperger-Syndroms beschrieben, und ich kam zu dem vorläufigen Schluss, dass die meisten davon lediglich Variationen der menschlichen Hirnfunktionen seien, die man unzutreffend als medizinisch auffällig eingestuft hatte, weil sie nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen. Gesellschaftliche Normen sind dabei jedoch kulturell bedingt und spiegeln nur die gängigsten menschlichen Konfigurationen wider anstatt das gesamt Spektrum.
Der Vortrag war für 19:00 an einer Schule in einem nahe gelegenen Vorort angesetzt. Ich kalkulierte zwölf Minuten für die Fahrt mit dem Fahrrad ein und gab weitere drei Minuten dazu, um meinen Computer hochzufahren und mit dem Projektor zu verbinden. ( S.13 )

Schnell wird dem Leser klar, dass Don mit dem Thema selbst mehr zu tun hat, als er selbst ahnt. Als er seinen Freund bei der Veranstalterin mit Angabe des wahren Grundes – ein Date – entschuldigt, kommt er hinsichtlich der Ausrede in Bedrängnis:

Es scheint mir kaum möglich, eine derart komplexe Situation, in der es um Täuschung und Einschätzung der mutmaßlichen emotionalen Reaktion eines anderen Menschen geht, zu analysieren und dann eine eigene plausible Lüge zu entwerfen, während man gleichzeitig ein Gespräch in Gang halten muss. Aber genau das ist es, was die Leute von einem erwarten. ( S. 16 )

Don macht seine Sache gut.
Die Zuhörer, betroffene Kids, sind begeistert, die Eltern und Veranstalterin eher weniger.

In einem nachfolgenden Gespräch mit der Veranstalterin des Vortrags weist diese ihn darauf hin, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass sie Asperger -Autisten sind. Und während Don noch daran denkt, dass man das doch mit einem Fragebogen ermitteln könnte, bekommt er eine geniale Idee, um eines seiner eigenen, ihm unter den Nägeln brennenden Probleme anzugehen.

Eine Zeitlang haben Gene und Claudia ( Genes Frau, A.d.V.) versucht, mir beim Partnerin- Problem zu helfen. Leider beruhte ihr Ansatz auf dem traditionellen Verabredungsparadigma, das ich bereits aufgegeben hatte, da die Erfolgswahrscheinlichkeit in keinem Verhältnis zu Aufwand und negativen Erfahrungen stand.
Ich bin neununddreißig Jahre alt, groß, durchtrainiert und intelligent, mit relativ hohem gesellschaftlichen Status und überdurchschnittlichem Einkommen als Assistenzprofessor.
Gemäß den Gesetzen der Logik sollte ich für eine ganze Reihe von Frauen attraktiv sein. …….
……Schon immer habe ich mich schwergetan, Freundschaften zu schließen. Und die Mängel, die diesem Problem zugrunde liegen, scheinen auch meine Bestrebungen hinsichtlicher romatischer Beziehungen zu beeinträchtigen.
( S. 9 )

Don beschließt, einen Fragebogen zur Ermittlung der perfekten Ehepartnerin zu entwickeln und geht dabei äußerst akkribisch vor.
Beratung dabei erhält er von seinen Freunden Gene und Claudia.
Mit dem Fragebogen ist es natürlich nicht getan, er muss Frauen finden, die ihn ausfüllen und eine Reihe von realen sozialen Begegnungen in Kauf nehmen.
Die kommunikativen und konventionellen Fallstricke, in denen er sich dabei immer wieder verheddert, hindern ihn nicht, sein Ziel hartnäckig zu verfolgen.

Er lernt die eher chaotische Rosie kennen, die sich von Anfang an als Ehefrau disqualifiziert und ihm seinerseits ihr Projekt, die Suche nach ihrem biologischen Vater, schmackhaft macht.

Wir erleben eine Reihe von tragisch- komischen Ereignissen, in denen Don zum einen über sich selbst hinaus wächst, zum anderen aber seine Grenzen erkennt und schlussendlich zu sich selbst findet.
Letzteres führt jedoch über den Irrweg des sich Verstellens, woran seine Freunde Gene und Claudia mit ihren (neurotypischen) Tipps nicht ganz unschuldig sind und was fast beinahe dazu führt, dass Don seine absolut unpassende Rosie doch nicht bekommt.

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Eine kurzweilige, humorvolle Geschichte mit einer Spur (Selbst?)Ironie erzählt.
Beste Urlaubslektüre.

Und wer jemals mit Asperger-Autisten zu tun hatte oder selbst einer ist, wird so einiges aus seinem eigenen ( Beziehungs-)Leben wieder erkennen.
Aber natürlich komplett unwissenschaftlich.
Daran ändert auch der beste Fragebogen als roter Faden der Geschichte nichts.

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Schau mal an

Hätte es dieses Buch schon vor zehn Jahren gegeben: ich hätte mindestens 10 davon gekauft und an Teenies Lehrer_innen, die Schulleitung, Musik-und Sportverein, und natürlich auch diversen lieben Familienmitgliedern geschenkt.

Nicht, dass ich diesen Personenkreis nicht informiert hätte.
Es gibt sehr gute Bücher zum Thema ( z.b. Tony Attwood, Christine Preißmann).
Es gibt Handreichungen von Autismus Deutschland, kleine Broschüren, nicht teuer und doch gut.

Es gibt Tante google.

Und es gibt leider Ignoranz.

Deshalb hätte ich es auch nicht den Ärzten gegeben, die mögen es nämlich nicht, wenn man ankommt und sagt: hier, da bin genau ich/ bzw. mein Kind beschrieben.

Die wollen ihren ICD-Katalog abarbeiten.
Ihre standardisierten Fragen und Tests loswerden.
Im Prinzip richtig, aber ….
Haben sie jemanden vor sich, der weiß, was NT’s (1) tun oder sagen würden und kann es gut nachahmen, dann denken sie: o.k., ein bisschen schräg, das eine oder andere Kriterium erfüllt, aber insgesamt bildet sich das

a) die Mutter ein ( meistens der Mensch, der mit dem Kind zum Arzt latscht)
b) ist das Kind manipuliert, verwöhnt oder sonst wie falsch erzogen
c) die Eltern wollen es sich mit einen Modediagnose einfach machen
d) bei der Mutter hätte ich auch ein Trauma
e) … und allerhand mehr aus der Psychokiste, meist tiefenpsychologisch orientiert

Oder so.
Das ist nicht erfunden, sondern so erlebt und einiges davon haben wir schwarz auf weiß.

Aber nun haben wir dieses Buch.
Es spult nicht die Diagnosekriterien ab, ergänzt mit ein paar Beispielen.
Leser_innen müssen keinen gedanklichen Transfer von abstrakten Formulierungen in ein Nachempfinden von Erlebtem leisten.
Man muss nicht in der Lage sein, komplizierte Texte zu lesen oder sich auf ausführliche Beschreibungen zu konzentrieren.
Es ist unwissenschaftlich.
Kurzweilig.
Ein Bilderbuch.
Nicht für Kinder, aber über ein Kind.
Ein autistisches, und wie es seine Kindheit erlebt hat.
Sehr schön anzuschauen und zu lesen mit älteren Kids und überhaupt nicht langweilig für Erwachsene.

Daniela Schreiter, bekannt im Netz als Fuchskind, hat mit ihrem Comic Schattenspringer ein wunderbares Buch vorgelegt, in dem anschaulich vom Alltag eines autistischen Kindes erzählt wird.

“ Ich begann ein Doppelleben zu führen. Draußen war ich der NT, der so gut wie möglich versuchte, normal zu wirken, was auch immer das hieß und bedeutete. ( ‚…..hoffentlich mache ich nichts falsch! Gehe ich normal oder wirkt mein Gang komisch? Und was………. ) “

“ Zu Hause war ich wieder ich ICH und lebte mein Leben, wie es mir gut tat.“

“ Ich war ein Superheld der besonderen Art und niemand wusste von meiner geheimen Identität“.(2)

Dazu gibt es wunderbare Zeichnungen, zusammen mit den sorgfältig ausgewählten problematischen Situationen eine treffender als das andere. Leseprobe hier

Obwohl die einzelnen Kapitel von den Schwierigkeiten autistischer Menschen im Alltag handeln, kam bei keinem ein beklemmendes Gefühl auf.
Nur ein : ja, so ungefähr hat mir Teenie das auch beschrieben.

Das Dilemma mit sozialen Kontakten, mit dem Sport- und erst Recht Schwimmunterricht, die heilige Ordnung persönlicher Dinge, das Unbehagen in Menschenmengen und die vielen Bemühungen, sich genau wie die anderen zu verhalten und doch so anders gestrickt zu sein.

Daniela Schreiter berichtet aus ihrem eigenen Leben.
Sie beschreibt ohne zu bewerten.
Das macht das Buch so lesenswert.
Sie hilft ein wenig die Augen zu öffnen für Dinge, die NT’s nicht sehen (können).

Teenie, sonst eher abgeneigt diesem Thema gegenüber, weil sie SIE sein will und keine Diagnostische Bezeichnung, wurde neugierig durch meine Bemerkung:
‚ich wusste gar nicht, dass du heimlich ein Buch mit herausgegeben hast‘ ,
schnappte das Buch und las und las und las.

„Wie kann jemand so genau mein Leben beschreiben? “

Ja, wie wohl ? 😉

Ein Buch, das in jedem Lehrerzimmer, in betroffenen Familien oder wo auch immer unsere special heroes sich regelmäßig aufhalten, herumliegen sollte.

Ich wette, da kann kaum einer die Finger von lassen!

(1) Neuro Typisch
(2) Schattenspringer S. 142

Nicht zu nah – unter die Haut

Liebt‘ ich am Himmel einen hellen Stern
Und wünscht‘ ihn zum Gemahl; er steht so hoch!

An seinem hellen Glanz und lichten Strahl
Darf ich mich freuen ; in seiner Spähre nie.

Shakespeare, Ende gut, alles gut

Ein Jugendbuch, das mit einem Zitat von Shakespeare beginnt, Teenie’s eigenen Geldbeutel schmälert und sie fast pausenlos 1,5 Tage lang fesselt, weckt meine Neugierde.
Nachdem Teenie aus dem 450seitigem Land der Fantasie – nach durchlesener Nacht – wieder aufgetaucht ist, befrage ich sie.

LW: Du hast Frostblüte von Zoë Marriott quasi in einem Stück gelesen.
Warum?
T: Frostblüte ist interessant, spannend und gut zu verstehen.

LW: Wovon handelt es?
T: Einem Mädchen, das Frost heißt und einen Wolfsdämon in sich trägt.

LW: Wo und wann spielt es?
T: In einer ausgedachten Welt in einer mittelalterlichen Zeit.

LW: Frost, was ist das denn für ein Name?
T: Eigentlich heißt sie Saram, aber die Leute nennen sie Frost, weil sie eine Narbe im Gesicht hat, die immer kalt ist. Nur ihre Mutter sagt Saram und das bedeutet ‚ Kummer‘.

LW: Wie kommt Frost zu dem Wolfsdämon?
T: Bei ihrer Geburt hatte sie die Nabelschnur um den Hals gewickelt und starb.
Ihre Mutter rief einen Wolfsdämon um Hilfe und hat mit ihm einen Pakt geschlossen: das Kind würde wieder leben, dafür aber den Wolfsdämon in sich tragen.
Der Vater, ein großer Jäger, wird vor Frost’s Geburt vom Wolfsdämon getötet.

LW: Weiss Frost, dass sie einen Wolfsdämon in sich hat?
T: Erst mal nicht. Aber als sie 8 Jahre alt ist, wird sie geärgert und von Jungs mit Steinen beworfen. Davon blutet Sie. Da kommt der Wolfsdämon erstmals zum Vorschein.
Immer wenn sie verletzt oder von Gefühlen überwältigt ist, bricht der Wolfsdämon durch.

LW: Erschrickt sie sich darüber ?
T: Nein, in diesen Momenten merkt sie ihre Veränderung nicht.
Der Wolfsdämon beschützt sie auch.

LW: Was sagen ihre Freunde dazu?
T: Sie hat keine.

LW: Wie geht die Geschichte weiter?
Die Mutter stirbt und als Jugendliche ist sie allein auf Wanderung um zu arbeiten, mal hier, mal da. Sie bleibt höchstens 2 Tage an einem Ort, um keine Menschen zu verletzen, falls der Wolfsdämon aus ihr heraus bricht.

LW: Ist sie deshalb unglücklich?
T: Nein, aber auch nicht glücklich.

LW: Lernt sie noch Menschen kennen ?
T: Ja. Vor allem Luca und Arian. Luca ist der Anführer der Soldaten, die das Königreich vor Aufständischen beschützen sollen und Arian ist sein Leutnant.

LW: Wissen diese, dass sie einen Wolfsdämon in sich trägt?
T: Am Anfang nicht.

LW: Findet sie doch noch einen Freund?
T: Ja, aber wen, verrate ich nicht.

LW: Was gefällt dir besonders an dem Buch?
T: Wie die Geschichte sich mehrmals wendet.
Dass das Ende anders als erwartet ist.
Die Geschichte zeigt, dass jeder Mensch 2 Gesichter hat, nicht nur gut oder nur böse ist.
Es kommt viel Gefühl darin vor.
Frost finde ich sympathisch, weil sie anders als die anderen ist. Sie ist mutig , aber sie macht auch Fehler. Dann versucht sie, diese wieder gerade zu biegen.
Sie bleibt teilweise eine Einzelgängerin, nur manchmal nicht.
Das hat in manchen Situationen im Buch nicht gepasst, ich hätte das anders gemacht.
Es wäre aber für alle zu riskant, wenn sie zu eng mit anderen Menschen wäre, deshalb verstehe ich sie andererseits.
In der Geschichte finden Frost und die Soldaten Freunde, verlieren aber auch welche. Manchmal verlieren sie sich sogar selbst.
Man erkennt, dass es nichts bringt, sich zu verstellen sondern besser ist, zu sich, so wie man ist, zu stehen.

LW: Wem würdest du das Buch empfehlen?
T: Jugendlichen, die Spannung und Fantasy mögen aber auch gerne nachdenken. Egal ob Junge oder Mädchen.
Manche Stellen sind nicht leicht zu verstehen, besonders wenn es um Gefühle geht. Da braucht man etwas Geduld und muss eine Denkpause machen.

LW : Vielen Dank, dass ich deine Buchbesprechung auf meinem Blog veröffentlichen darf.
T: Gerne doch. Das Buch kann man gut verschenken * grins *

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Frostblüte, Zoë Marriott, Carlsen Verlag – erhältlich im steuerzahlenden regionalen Buchhandel und öffentlichen Bibliotheken.

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Überraschend anders….

…Mädchen und Frauen mit Asperger

Ein Buch von Dr. Christine Preißmann.
Gerade erschienen im Trias-Verlag.

Es ist nicht mein erstes Buch zum Thema.
Um es gleich vorweg zu nehmen: es ist das Beste, dass ich je zum Thema gelesen habe.

Tony Attwood beschrieb bereits in diesem Artikel, dass bei Mädchen in Hinblick auf Asperger etwas anders geschaut werden muss als bei Jungen und der bezweifelt, dass Jungen so krass überproportional betroffen sind, wie immer behauptet wird. Er geht vielmehr davon aus, dass sich die autistischen Besonderheiten bei Mädchen u. a. sozialisationsbedingt anders äußern als bei Jungen.
Ihre Spezialinterssen sind häufig weniger ausgefallen als die der Jungen, aber die Intensität und Qualität übersteigt die ihrer Alterskameradinnen um vieles. Auch ist die soziale Kompetenz meist besser entwickelt- geschuldet dem entsprechenden Erwartungsdruck der Gesellschaft auf das weibliche Geschlecht.

Obwohl mittlerweile bekannt ist, dass Frauen häufig körperlich und psychisch andere Symptome entwickeln als Männer, wird dies bei der Diagnostik nur wenig berücksichtigt (1) und viele Mediziner und Therapeuten ignorieren diese Tatsache weiterhin.
So orientieren sich die Diagnosekriterien des ICD-10 auch heute noch an den männlichen Symptomen und deshalb erhalten viele betroffene Mädchen nicht die Diagnose Asperger, sondern alles Mögliche andere: Sozialphobie , Zwangsstörung, Depression, sehr häufig ADHS oder oppositionelle Charakterzuordnungen – der reinste Gemischtwarenladen fehldiagnostizierter psychischer Krankheiten. (2)

Um so begrüßenswerter ist dieses Buch.
Angenehm, ein deutschsprachiges Buch in den Händen zu halten. Nicht selbstverständlich.
Hilfreich vom Alltag in Deuschland mit dreigliedrigem Schulsystem, hiesigem Ausbildungs- und Gesundheitswesen zu lesen.
Was die Bewertung der Symptome angeht, ist unsere westeuropäischen Kulturprägung Maßstab.
Ausnahmsweise einmal sinnvoll, diese Begrenzung, denn so hilft es den hier geprägten Mädchen und Frauen am meisten.

Hier werden nicht die Diagnosekriterien rauf und runter analysiert.
Es kommen betroffene Erwachsene ebenso zu Wort wie Mütter von betroffenen Mädchen.

Das An-Erkennen der autistischen Besonderheit, die sich anders äußert als bei Jungen, deren Akzeptanz durch Familie und Umfeld, das Bestehen im Alltag stehen im absoluten Vordergrund.

Die Autorin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie und selbst Autistin.
Sie ist nicht nur eine Fachfrau, sondern kann aus eigenem Erleben berichten.
Sehr anschaulich, wenn es um ihre Probleme in ihrer Kindheit und Jugend, in ihrer Ausbildung und im Arbeitsallltag geht.

Im Abschnitt über die Schulzeit wird schnell klar, wie autistische Mädchen sich anstrengen, nicht aufzufallen, eher überangepasst sind. Autistische Mädchen können ihre Besonderheiten besser tarnen als Jungen. Einerseits hilfreich- andererseits Dauerstress pur.
Hier sind die Lehrer gefordert, genau hinzusehen und die erforderliche Unterstützung zu geben.

Mütter ebenso wie erwachsene Betroffene schildern, wie sich die Probleme während der Pubertät in dem Maße verstärken, wie die sozialen Anforderungen an die jungen Frauen steigen.
Tiefe Einsamkeit– dadurch zeichnet sich für fast alle Mädchen die Pubertät aus. Die Entfernung zu Gleichaltrigen nimmt zu.
Es ist zu lesen von sich selbst für ihr „Anders-sein“ bestrafenden Mädchen und von hilflosen Müttern, denen es das Herz bricht, ihr Kind so einsam zu sehen und kaum helfen zu können.

Von der Diskrepanz, das weibliche Schönheitsideal vor Augen zu haben, zu sehen, wie es anderen Mädchen und Frauen nicht nur Stress, sondern auch Freude bringt, sich chic zu machen – und selbst überhaupt keine Lust, oft noch nicht einmal eine Ahnung davon zu haben, wozu das gut sein soll.
Von der unterschiedlichen Bewertung der Verweigerung von Konventionen durch Mädchen/Frauen oder Jungen/Männer.
Der Schwierigkeit, zwar beruflich auf Kongressen unterwegs sein zu können, aber im Schwimmbad die Orientierung zu verlieren. Dem Unverständnis der Umwelt.

Das Thema Partnerschaft und Sexualität.
Allein der Frauenkörper erfordert mehr Flexibilität im Umgang mit sich selbst, als Männer sich vorstellen können. Ein Hort der Verunsicherung für jede junge Frau – erst Recht aber wenn sie Autistin ist. Die meist extrem sensorische Empfindsamkeit ist dabei eine zusãtzliche Last.

Betroffene Männer finden oftmals eine Frau, die sich gerne kümmert, die sozialen Kontakte pflegt und vieles mehr. Erwachsene Autistinnen sind da mehr auf sich gestellt. Der Typ “ zerstreuter Professor“ ist als Rollenmodell für Frauen nicht vorgesehen und löst bei Männern eher selten einen Beschützerinstinkt aus.

Das Thema Kinderwunsch/ Familie bleibt selbstverständlich nicht außen vor.
Da viele Frauen erst sehr spät ihre Diagnose erhalten, gibt es bis jetzt wenig offizielle Hilfsangebote für autistische Mütter. Eine Familie stellt nicht gerade geringe Ansprüche an Flexibilität, soziale Kompetenz, Multitasking und sensorische Belastbarkeit.
Dinge, die auch Nicht-Autistinnen belasten und ohne Unterstützung kaum zu schaffen sind.
Hier die klare Aufforderung an Betroffene, sich darüber Gedanken zu machen, welches Lebensmodell zu ihr passt. Unter Berücksichtigung eigener Möglichkeiten und Vorlieben.
Kein Ratgeber im Sinne von: Autistinnen sollten lieber so oder anders leben.

Das Leben einer Asperger-Autistin in einer Welt von Nicht-Autisten ist brutal anstrengend.(3)
Frauen mit Autismus sind einem höheren Risiko für Depressionen ausgesetzt als betroffene Männer. Sie haben oft ein stärkeres Bewußtsein für soziale Schwierigkeiten, die sie erleben, und die lebenspraktischen Konsequenzen. Sie sind auch einem größeren gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. (4)

Bei allem ist das Buch dennoch positiv.
Es enthält viele Beispiele gelungener Problemlösestrategien, oft erfolgreich aufgrund besonderer Fähigkeiten, derer sich die Betroffenen häufig lange nicht bewußt sind.
Jedes Kapitel schließt mit hilfreichen Tipps zur eigenen Alltagsbewältigung bzw. Unterstützung durch Lehrer, Eltern, Freunde etc. ab.

Wie kann ich entspannen?
Wie finde ich die richtige berufliche Nische, wie will ich leben?

Berichte über positive Erfahrungen mit Selbsthilfe-und Therapiegruppen für Mädchen und Frauen- die es leider viel zu wenig gibt, runden das Bild ab.

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Nicht 1 Mal wird das Wort “ Störung“ benutzt, womit sich das Buch wohltuend von anderen Publikationen abhebt. Wohl wird von “ Behinderung“ gesprochen, jedoch weniger im Sinne von Krankheit denn von in der Person und Umwelt bedingten Hindernissen, auf deren Größe durchaus Einfluss genommen werden kann.

Immer wieder wird deutlich, wie wichtig es für die Mädchen und Frauen ist, ihren eigenen Lebensweg zu finden, der nicht selten ungewöhnlich ist.
Und dann in seiner Befolgung Unterstützung durch Eltern und andere Bezugspersonen zu erhalten.

Ein Buch, mit dem das Verständnis der weiblichen Ausprägung von Asperger erheblich erhöht wird-wenn es denn gelesen wird von Eltern, Lehrern, Ärzten, Therapeuten, Selbsthilfegruppen und nicht zuletzt von den Betroffenen selbst.

(1) Dieser generell fehlende Genderblick im medizinischen Bereich kann dann schon mal Frauen das Leben kosten – wenn z.B. ein Herzinfarkt nicht als solcher erkannt wird, um ein extremes Beispiel zu nehmen.. hier
(2) S.157
(3) S. 145
(4) S. 111

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