Abstruse Diskussionen haben mich schon immer fasziniert.
Man liest Meinung A, B, C….es gibt wissenschaftliche Untersuchungen die sowohl das eine als auch das Gegenteil beweisen, dann noch eine Portion Emotionen dazu….und aus allem versucht man, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Ein gutes Beispiel dafür ist die uns ADHSlern bekannte Diskussion um die Vergabe von Methylphenidat & Co insbesondere bei Kindern.
Da reden Psychologen, Politologen, Soziologen , Pädagogen und sonstige – ogen drauf los was das Zeug hält …. ab an mischen auch mal Eltern und Betroffene mit. Und natürlich bereiten die Medien immer wieder alles in der ihnen eigenen Art und Weise auf.
Nun hat Deutschland eine neue Debatte, mindestens genauso abstrus, zumindest was die Art und Weise, wie sie geführt wird, an geht:
Soll die aus religiösen Gründen durchgeführte Beschneidung von Jungen strafrechtlich sanktioniert werden?
Ein Kölner Gerichtsverfahren hat den Stein in‘ s Rollen gebracht, nun gibt es kein Halten mehr. Die Zeitungen sind voll, der Bundestag beschließt eine Resolution, Stammtische haben endlich ein Sommerloch – Gesprächsthema.
Ein aus meiner Sicht guter Kommentar war bei Sueddeutsche.de zu lesen:
Für Juden und Muslime ist die Beschneidung männlicher Kinder mehr als ein frommer Brauch. Ein deutsches Gericht hat den chirurgischen Eingriff aus religiösen Gründen nun erstmals als strafbare Handlung gewertet. Das Kölner Urteil ist Ausdruck unserer säkularen Gesellschaft. Manchmal aber ist es überhaupt nicht gut, wenn sich Richter über Religionen stellen.
Und weiter:
Der Sinn für die eigenen christlichen Rituale geht verloren, die der anderen Religionen bleiben erst recht unverstanden, werden bestritten, bekämpft, die Gerichte werden angerufen – und zum Schiedsrichter.
Manchmal zu Recht, wenn es zum Beispiel um dramatische Menschenrechtsverletzungen geht wie die Frauenbeschneidung, die nicht mehr ist als eine Gewalttat zum Zeichen dafür, dass Frauen nicht Herrinnen ihrer Sexualität sein dürfen. Manchmal aber ist es überhaupt nicht gut, wenn sich Richter zu Schiedsrichtern der Religion machen, sich über sie stellen, einen Rechtspositivismus quasi zur Ersatzreligion machen. Wo diese Grenze zwischen legitimem Einspruch im Namen des Grundgesetzes und Grenzüberschreitung liegt, das werden in den kommenden Jahren viele Urteile von vielen Gerichten neu justieren müssen, bis hin zum Verfassungsgericht.
Vollständiger Text: hier
Neben dem juristischen und medizinischen Aspekt hat Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken eine weitere, nicht unerhebliche Überlegung auf ihrer HP vorgenommen:
Auffällig an der Debatte um das Beschneidungsverbot ist, dass einige der entschiedensten Befürworter eines solchen Verbots aus Kreisen kommen, in denen eine religiöse Beschneidung nicht üblich ist. Dagegen finden sich kaum öffentliche Verbotsbefürworter unter Menschen, die selber aus religiösen Gründen beschnitten wurden. Im besten Falle handelt es sich um ein paternalistisches Vorgehen vieler an sich wohlwollender Beschneidungsgegner.
Doch es drängt sich auch der Verdacht auf, dass für viele bei dieser Debatte das Kindeswohl nur vorgeschoben wird, um antisemitischen und antimuslimischen Vorurteilen Vorschub leisten zu können. Vor dem Hintergrund der Entrechtung und Ermordung der Juden unter dem Nazifaschismus, aber auch vor der jüngeren unter fremdenfeindlichen Vorzeichen geführten Integrationsdebatte, lautet die Botschaft der Beschneidungsdebatte bei vielen jüdischen und muslimischen Menschen schlicht: Ihr seid unerwünscht in Deutschland.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte ein Beschneidungsverbot mit den Worten ab: „Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben können.“ Nur zur Erinnerung: Auslöser des Kölner Urteils war eine Beschneidung in einer muslimischen Familie.
Durch Merkels Äußerung entsteht der Eindruck, ein Beschneidungsverbot wäre rechtens, wenn es sich ausschließlich gegen einen muslimischen Ritus richten würde. Gegenüber Muslimen muss dies als Affront erscheinen.Ich persönlich lehne die Beschneidung von Babys und Kindern aus religiösen Gründen zwar ab. Doch vor dem oben geschilderten Hintergrund halte ich ein generelles Beschneidungsverbot für ein ungeeignetes und missverständliches Mittel zum Schutze der betroffenen Kinder. Geboten ist Aufklärung über mögliche gesundheitliche Risiken – und ein Appell an die Eltern, doch mit einem solchen unwiderruflichen Eingriff zu warten, bis sich ihre Kinder ab dem 14.Lebensjahr aus freier Entscheidung für oder gegen die Religion ihrer Eltern entscheiden können.
Als Familie mit christlichem und muslimischem Hintergrund ohne Zugehörigkeit zu einer wie auch immer gearteten Religionsgemeinschaft ist das für mich die einzige vernünftige Position.
Ach ja, diese Diskussion hat auch einen schönen Nebeneffekt: ADHS ist zur Zeit ein wenig aus der „Schusslinie“ …
Noch mehr Lesens-und hörenswertes zum Thema:
Podcast NDR-Redezeit
Blog von Rechtsanwalt Oliver Tolmein, Hamburg
Jungle World Blog- Beitrag
Bundestag
Zeit online so kam es zu dem Urteil
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